Die deutsche Radsportlerin Lisa Brennauer
interview

Topsportlerin beendet Karriere Lisa Brennauer - Aufhören, wenn es am schönsten ist

Stand: 03.08.2022 10:19 Uhr

Olympiasiegerin, Welt- und Europameisterin auf der Bahn, Team-Weltmeisterin auf der Straße – all diese Titel gewann Lisa Brennauer allein 2021. Nun beendet die 34-jährige ihre lange Karriere.

Lisa Brennauer gehört zu den erfolgreichsten Sportlerinnen Deutschlands. Im Interview mit der Sportschau spricht sie über die Gründe für ihr Karriereende, Gänsehautmomente bei der Tour de France Femmes, aber auch über Zukunftspläne sowie ihren Abschied bei der Heim-EM in München.

Sportschau: Wieso haben Sie sich dazu entschieden, Ihre Karriere zum Ende der Saison zu beenden?

Lisa Brennauer: Die Entscheidung habe ich nicht von heute auf morgen getroffen, das war eher ein Prozess. In vielen Gesprächen mit meinem Umfeld wurde mir immer wieder gesagt, dass man den richtigen Zeitpunkt für das Karriereende schon spüren würde. Aber so wirklich wusste ich nicht, was sie damit meinen. Jetzt weiß ich es. Und es fühlt sich tatsächlich richtig an. Es stand aber auch schnell fest, dass die Tour de France Femmes zusammen mit den European Championships in München riesige Highlights sind, die ich noch einmal mitmachen und mir als Ziel setzen wollte. Auf dem Weg dorthin habe ich dann irgendwann gemerkt, okay, das ist jetzt auch das Ziel im wirklichen Sinne.

Sie sind seit 2004 im Radsport unterwegs, sind Olympiasiegerin und Weltmeisterin auf der Bahn und Straße. Wie blicken Sie auf Ihre lange Karriere zurück?

Brennauer: Ich blicke auf viele Jahre wunderschöner Momente zurück. Ich bin in der glücklichen Situation, dass ich nur wenige Rückschläge und mehr Höhen als Tiefen hatte. Das kann nicht jeder Athlet oder Athletin von sich behaupten, denke ich. Ich durfte wahnsinnig viel erleben, viele Erfolge feiern und hatte auch immer das Quäntchen Glück auf meiner Seite.

Sie haben die Neuauflage der Tour de France erwähnt, die Sie auf dem 58. Platz beendet haben. Wie war’s?

Brennauer: Also sportlich gesehen hätte ich mir natürlich mehr erhofft und wäre gerne weiter vorne gewesen. Aber so etwas wie die Tour habe ich in meiner Karriere noch nie erlebt. So eine Stimmung, so eine Atmosphäre. Ich glaube, wir alle haben erwartet, dass die Tour groß wird. Aber das hat alle Erwartungen übertroffen. In jeder Ortschaft, durch die wir gefahren sind, bei jeder Bergwertung waren so viele Leute da, die uns angefeuert und den Frauenradsport gefeiert haben. Das macht mir Mut für die Zukunft. Ich kriege heute noch Gänsehaut, wenn ich an den Jubel der Leute denke, als wir auf der letzten Etappe über den Berg gefahren sind.

Haben solche Momente wie bei der Tour de France sie nicht gereizt, noch ein paar Jahre an Ihre Karriere dranzuhängen? Immerhin erlebt der Radsport der Frauen gerade einen großen Aufschwung.

Brennauer: Der Reiz ist irgendwie immer da. Ich denke, ich könnte auch noch jahrelang Radsport machen. Das ist überhaupt nicht das Thema, weder mental noch vom Körperlichen her. Die Frage ist ja, wann fühlt es sich richtig an, den Schritt zu gehen. Die Erfolge des vergangenen Jahres spielten eine Rolle. Wenn man den Zeitpunkt für das Karriereende selbst wählen kann und nicht dazu gezwungen wird, dann hat man ebenfalls schon sehr vieles richtig gemacht. Und wenn man dann auch noch aufhört, wenn es am schönsten ist - auch wenn es eine blöde Floskel ist - dann ist es schon etwas Besonderes.

Haben Sie schon Pläne für Ihr Leben nach der Sportkarriere?

Brennauer: Ich freue mich darauf, Radfahren gehen zu können, wenn ich es möchte und es kein Training mehr ist. Ich habe von vielen Sportlern und Sportlerinnen gehört, die so lange ihren Sport ausgeübt haben, bis es ihnen aus den Ohren raushing und sie dann überhaupt keine Lust mehr darauf hatten. Das sehe ich bei mir jetzt nicht kommen. Beruflich gesehen bin ich Berufssoldatin in der Sportfördergruppe der Bundeswehr. Dort werde ich auch bleiben. Am liebsten möchte ich nah am Sport arbeiten, um mein Wissen sowie meine Erfahrungen weitergeben zu können. Aber da sind noch nicht alle Gespräche gelaufen.

Mit Ihren Erfolgen sind Sie das Aushängeschild des deutschen Frauenradsports. Wie sehen Sie den deutschen Frauenradsport, wenn Sie Ihre Karriere beendet haben?

Brennauer: Wenn ich eins in meiner Karriere gelernt habe, ist es, dass man mit seinen Aufgaben wächst. Ich denke, in Deutschland schlummern noch ganz viele Talente, die noch gar nicht so richtig wissen, was eigentlich in ihnen steckt. Die jetzt aber dadurch, dass jemand wie ich, der vielleicht immer so ein bisschen vornedran saß, wegfällt, schnell Verantwortung übernehmen müssen. Gerade Liane Lippert ist in den vergangenen Jahren schon gut in diese Rolle reingewachsen und hat sich auch international zu einer Topfahrerin entwickelt. Auch Ricarda Bauernfeind hat als junge Fahrerin einen riesigen Sprung gemacht. Oder Franziska Koch, eine Sportlerin, die mich in den vergangenen Jahren sehr begeistert hat.

Sie nehmen bei den Europameisterschaften in München an den Bahn- und Straßenwettbewerben teil. Das Straßenrennen wird aber voraussichtlich das letzte Rennen Ihrer Karriere sein. Was geht Ihnen bei diesem Gedanken durch den Kopf?

Brennauer: Der Rücktritt ist eine Entscheidung, hinter der ich total stehe. Aber gleichzeitig ist die Bindung zum Radsport so groß, dass es kein leichter Tag wird. Immerhin habe ich mehr als die Hälfte meines Lebens damit verbracht. Es werden auf jeden Fall emotionale Momente, keine einfachen und trotzdem wunderschön. Bis dahin wird auch noch das ein oder andere Tränchen fließen. Aber ich habe echt Lust auf die EM und will nochmal richtig gut fahren. Gerade auf der Bahn haben wir super Chancen, um eine Medaille oder den Sieg mitzufahren.

Das Interview führte Katarina Schubert

Lisa Brennauers Erfolgsbilanz
Jahr Ergebnis
2005 1. Junioren-WM Einzelzeitfahren
2008 3. EM 1er-Straße
2010 3. EM Ma-Verfolgung, 2. DM Einer-Verfolgung
2011 2. EM Ma-Verfolgung, 1. DM Omnium, 7. WM Ma-Verfolgung
2012 8. Olympische Spiele Ma-Verfolgung
2013 1. WM MZF Straße, 1. DM Einer-Verfolgung, 1. DM EZF
2014 1. WM EZF Straße, 1. WM Ma-ZTF Straße, 2. WM Einer-Straße, 1. DM Einer-Straße, EZF und Berg, Etappensieg Holland-Ladies Tour und Thüringen-Rundfahrt, Radsportlerin des Jahres
2015 3. WM EZF, 1. WM Mannschaftszeitfahren Straße
2016 2. Gent-Wevelgem, 2. DM Einer-Straße, 3. DM EZF, 8. OS EZF, 2. WM Ma-ZTF Straße
2017 1. und Prologsiegerin Thüringen-Rundfahrt, 2. DM Einer-Straße, 2. DM EZF
2018 1. EM 1er Verf., 3. EM Ma-Verfolgung, 1. DM Einerverfolgung, 3. EM 1er Straße, 1. DM EZF, 1. und Etappensieg ThüringenRundfahrt, 5. WM Ma-Verf., 4. WM Einerverfolgung
2019 2. WM 1er Verf., 2. EM 1er Verf., 2. EM Ma-Verf., 2. EM und WM Mixed Staffel Straße, 1. DM Einer-Straße, 3. DM EZF, 1. Madrid Challenge, 1. GW Festival E. Jacobs, 2. Bahn-Weltcup Ma-Verfolgung in Minsk und Glasgow
2020 2. WM Einerverfolgung, 3. WM Mannschaftsverfolgung, Europameisterin Teamzeitfahren Straße, 4. EM Zeitfahren., 6. EM Straße, 4. WM Zeitfahren, 9. WM 1er Straße, 4. Flandern-Rundfahrt, Deutsche Straßenmeisterin, Gesamt- und Etappensiegerin Madrid Challenge
2021 Olympiasiegerin, Welt- und Europameisterin Mannschaftsverfolgung, Welt- und Europameisterin Einerverfolgung, Deutsche Meisterin Einer Straße und Einzelzeitfahren, Weltmeisterin Mixed-Staffel, Radsportlerin des Jahres, Auszeichnung mit dem Bahnvierer als "Mannschaft des Jahres" in Baden-Baden
2022 Deutsche Meisterin Einer- und Mannschaftsverfolgung, Deutsche Meisterin Einzelzeitfahren