Jahresrückblick 2021 Dominanz pur in der Dressur

Stand: 29.12.2021 09:00 Uhr

Kein Gesicht hat die Dressur in diesem Jahr so geprägt wie ihres: Jessica von Bredow-Werndl. Sieben Goldmedaillen - mit dem Höhepunkt in Tokio.

"Jetzt reicht es aber", sagt Isabell Werth. Die erfolgreichste Reiterin aller Zeiten blickt hinüber zu Jessica von Bredow-Werndl. Die hat gerade zum x-ten Mal betont, wie dankbar sie ihrer ehemaligen Lehrerin ist. "Du bist einfach eine gute Reiterin", schickt Werth mit einem Lächeln hinterher. Es ist der 23. Juli. Morgen beginnen die Dressurwettbewerbe bei den olympischen Spielen.

Gut gelaunte Reiterinnen in Tokio

Ich sitze zusammen mit der deutschen Dressur-Equipe und einer Handvoll Journalisten aus Deutschland im olympischen Reitstadion in Tokio. Die Reiterinnen sind erfrischend ehrlich und gut gelaunt. Vor allem aus Jessica von Bredow-Werndl sprudelt es immer wieder heraus: "Hier geht mein Kindheitstraum in Erfüllung".

Mit 35 Jahren ist sie das Küken im Team. Einmal im Leben wollte die Profireiterin für Deutschland bei Olympia starten. Mit diesem Ziel vor Augen hat sie sich vor einigen Jahren die olympischen Ringe in die Stallgasse auf ihrem Hof Gut Aubenhausen bei Rosenheim malen lassen.

Rasante Entwicklung: Jessica von Bredow-Werndl und Dalera

Von Bredow-Werndl ist ehrgeizig und hat hart für ihren Erfolg gearbeitet. Ihr Kindheitsidol: Isabell Werth. Fünf Jahre lang hat sie bei ihr auch trainiert. In einer schwierigen Phase, betont von Bredow-Werndl immer wieder, habe Isabell sie wieder auf Kurs gebracht. "Gott sei Dank hat sie richtig was gelernt", lacht Werth und kontert gewohnt charmant.

Was in diesem Jahr folgt, ist fast schon abzusehen gewesen. Seit 2018 haben sich von Bredow-Werndl und ihre Trakehner-Stute Dalera von Wettkampf zu Wettkampf gesteigert. Bei den deutschen Meisterschaften in Balve Anfang Juni wird mir endgültig klar, dass die beiden jetzt auf die Überholspur gewechselt sind.

Hochleistungssportlerin und Mutter

Sie holen sich erst den Titel im Grand Prix Special und dann mit einer beeindruckenden Vorstellung auch den Titel in der Kür. In Balve konnte ich die Bayerin nicht nur als herausragende Sportlerin beobachten, sondern auch als Familienmenschen. Kurz vor der Siegerehrung hebt sie abseits des Rummels ihren Sohn in den Sattel von Dalera.

Der kleine Moritz und die Mama genießen diesen innigen Moment sichtlich. "Das ist für mich ein wahnsinnig schöner Moment. Weil ich dann meine beiden großen Lieben vereinen kann. Den Sport und Mama sein", sagt sie hinterher zu mir im Interview.

Am 28. Juli sitzt der kleine Moritz mit der Oma und dem Rest der Familie zu Hause auf dem Hof in Aubenhausen. Und schaut zu, wie seine Mama unter dem Nachthimmel von Tokio reitet wie vom anderen Stern. Es ist so unglaublich schade, dass im olympischen Reitstadion wegen Corona keine Zuschauer dabei sind.

Gold mit der Mannschaft und im Einzel

Das Einzelfinale würde sie von den Sitzen reißen, so wie mich vom Reporterstuhl. Schon gestern ist es atemberaubend gewesen, als Jessica von Bredow-Werndl im Mannschaftsfinale die Gold-Medaille mit einer beeindruckenden Souveränität nach Hause geritten hat.

Heute ist ihre Kür zu Musik aus dem Hollywood-Blockbuster "La La Land" ist ein Kunstwerk. Jessica von Bredow-Werndl und Dalera tanzen so harmonisch und leichtfüßig durchs Dressur-Viereck, dass am Ende eine Wertung von 91,732 Prozent steht. Erst einmal hat es bei olympischen Spielen ein besseres Ergebnis gegeben.

Von ihrer Gold-Medaille erfährt sie vor einem Monitor, umringt von Journalisten. Isabell Werth und ihre Stute Bella Rose können noch nachlegen, liefern ebenfalls eine Weltklasse-Vorstellung ab. Es ist knapp, aber es reicht für Jessica von Bredow-Werndl. Auch Dorothee Schneider kann die Rosenheimerin nicht von Platz eins verdrängen.

Emotionaler Moment mit Isabell Werth

Sie schlägt die Hände vors Gesicht, springt ihrem Mann Max in die Arme und hört an diesem Abend gefühlt gar nicht mehr auf zu weinen. Im Interview mit der ARD-Sportschau fehlen ihr erst die Worte: "Abgefahren ... verrückt … ich weiß es nicht." Und dann fügt sie hinzu: "Es ist einfach nicht in Worte zu fassen, was da emotional in einem abgeht. Ich muss gleich wieder weinen."

Ein Moment ist mir bei diesem Einzelfinale besonders in Erinnerung geblieben. Unmittelbar vor der Siegerehrung geht Isabell Werth hinter Jessica von Bredow-Werndl her, legt die Hand auf ihre Schulter und nimmt sie kurz in den Arm. Die Anerkennung ihrer früheren Lehrmeisterin bedeutet Jessica von Bredow-Werndl extrem viel, das ist bis hoch zu meinem Reporterplatz spürbar.

Sie wischt sich Tränen aus beiden Augen. Während der Nationalhymne weiß sie gar nicht, wohin mit sich und ihren Emotionen. Sie atmet mehrmals tief durch, sie lacht, sie weint, sie schüttelt mehrmals mit dem Kopf. Es ist die Krönung eines unglaublichen Olympiadebüts mit zwei Gold-Medaillen.

Sieben Mal Gold in einem Jahr

Zurück in der Heimat darf sich Stute Dalera von Olympia und den Reisestrapazen erholen. Um im September bei der Europameisterschaft in Hagen am Teutoburger Wald dort weiterzumachen, wo sie in Tokio aufgehört hat. Am Ende der EM stehen alle drei Titel: Gold mit der Mannschaft, Gold im Grand Prix Special und Gold in der Kür erneut mit einem Ergebnis von über 91 Prozent.

Für Jessica von Bredow-Werndl und Dalera sind es die Gold-Medaillen fünf, sechs und sieben in diesem Jahr. Ich freue mich schon jetzt auf das Wettkampfjahr 2022 mit der Weltmeisterschaft im dänischen Herning.