Interview Para-Biathletin Vivian Hösch: "Ich habe auf mein Herz gehört"

Stand: 08.12.2021 20:59 Uhr

Seit mehr als elf Jahren ist Vivian Hösch im Para-Weltcup unterwegs. In diesem Winter stehen ihre dritten Paralympics an - dabei hatte sie bereits ihre Karriere beendet. Im Sportschau-Interview spricht sie über Stürze, Angst, die starke Konkurrenz und den Wechsel ihres Guides.

Von Maria Köhler-Thiel

Sportschau.de: Ihre Sehbehinderung bedeutet, dass Sie nicht einmal die Streckenumrisse erkennen. Warum wagen Sie sich trotzdem auf die Skier?

Vivian Hösch: Ich stand ja schon als Kleinkind auf Skiern. Wenn man erst einmal den Schnee und die Geschwindigkeit lieben lernt, ist es egal, ob man noch etwas sehen kann oder nicht. Wenn es gut läuft, gibt das Bestätigung. An Rückschlägen muss man arbeiten.

Sportschau.de: Ihre Kollegin Clara Klug, die ebenfalls in die Kategorie B1 eingeordnet wird, stürzte vor wenigen Tagen in einer Abfahrt. Ihr Handgelenk ist verstaucht, und es ist offen, ob sie an den Paralympics teilnehmen kann. Was macht dieser Sturz mit Ihnen?

Hösch: Ja klar, Stürze sind nicht gut für das Selbstvertrauen. Man entwickelt etwas Respekt und Angst. Das gilt es immer wieder loszukriegen. Manche Stürze verlaufen echt doof, vor allem, wenn man sich verletzt. Manchmal kann man aber auch direkt weiterlaufen. Da muss man so reagieren, wie es angemessen ist.

Sportschau.de: Zur Vorbereitung auf den Winter waren Sie oft in Livigno. Ist das längst Ihre zweite Heimat?

Hösch: Definitiv. Man kennt jedes Eck. Das ist super mit der Höhe (der Ort in Norditalien liegt etwa 1.800 Meter über dem Meeresspiegel, Anm. d. Red.). Wir hatten auch viele Kilometer zum Laufen. Insgesamt lief die Vorbereitung seit Ende April, Anfang Mai mit verschiedenen Leergängen gut. Wir sehbehinderten Frauen können uns innerhalb der Mannschaft gut messen. Mit den Nachwuchsstarterinnen sind wir fünf Frauen. Es ist dann spannend, wie es im internationalen Vergleich aussieht.

Sportschau.de: Dabei hatten Sie Ihre Karriere nach den Paralympics 2018 eigentlich beendet.

Hösch: (lacht) Pyeongchang hat mich zurückgeworfen. Danach hatte ich eine Knieoperation (Eine Schleimhautfalte, die sich mehrfach eingeklemmt hatte wurde gekürzt, Anm. d. Red.). Man muss sich meistens recht schnell entscheiden, wie es weitergeht. Ich wollte, dass mein Knie vollständig regeneriert. Mit drei Monaten Trainingsrückstand zu starten, hätte sich nicht gut angefühlt. Im November 2018 machte das Knie aber wieder mit, und ich konnte wieder joggen. Es fehlte mir. Da habe ich einfach versucht, zurückzukommen. Ich habe auf mein Herz gehört und wollte noch einmal angreifen.

Sportschau.de: Anna Panferowa, Vera Chlyzowa und Anastasija Bagijan landen meistens vor Ihnen. Wie beurteilen Sie die Russinnen?

Hösch: Sie sind sehr stark. Anastasija Bagijan ist eine neue B1-Läuferin. Marina Galitsyna fällt auch in diese Kategorie. Auch Chlyzowa und Panferowa sind volle Pulle in den Weltcup eingestiegen. Ich denke auch, dass von denen ein sehr hohes Niveau zu erwarten ist.

Zur Info: Vivian Hösch ist bei den sehbehinderten Starterinnen in die Kategorie B1 eingeordnet. Sie erkennt von der Strecke und ihrem Guide nichts. Im Wettkampf muss sie zudem eine abgedunkelte Brille tragen. Von ihrer Laufzeit gehen 88 Prozent in die Wertung ein. Aktuell setzt sie auf Guide Florian Grimm. Mit Norman Schlee und Florian Schillinger arbeitete sie sechs bzw. vier Jahre zusammen.

Sportschau.de: Welche Ziele haben Sie sich für diesen Winter mit den Para-Snow-Weltmeisterschaften im Januar und Ihre dritten Paralympics im März gesteckt?

Hösch: Auf alle Fälle möchte ich Spaß haben. Das ist die wichtigste Voraussetzung. Ich habe meine Hausaufgaben gemacht. Ich will mein Bestes geben. Es wird sich zeigen, welches Ergebnis ich dann erzielen kann.

Sportschau.de: Welchen Untergrund bevorzugen Sie?

Hösch: Ich mag griffige und trotzdem noch schnelle Bedingungen. Wenn es eisig oder tief ist, ist es anspruchsvoll. Die Kunst ist aber auch, dass man sich anpassen kann. Ich habe auch schon im tiefen Untergrund gut gelaufen, zum Beispiel bei einem Weltcup in Finsterau, wo der Schnee sulzig war. 

Sportschau.de: Ist der Biathlon-Sprint Ihrer Paradedisziplin? Immerhin wurden sie darin in Sotschi Fünfte und in Pyeongchang Siebte.

Hösch: Jein. Ich habe viele Erfolge im Sprint zu verbuchen. Aber auch der lange Biathlon gefällt und liegt mir. Es ist auch abhängig von der Tagesform. Ein Sprint kann gut laufen, ein langes Rennen aber auch.

Sportschau.de: Was ist wichtig, damit Sie mit einem Rennen zufrieden sind?

Hösch: Die Atmung spielt zum Beispiel auch am Berg eine Rolle, Da arbeite ich an guten Denkmustern und konzentriere mich auf die Technik. Wenn viel los ist, ruft mein Guide vor mir meinen Namen. Das Grundkommando "Hopp" bekommen ja auch die anderen Starterinnen. Florian ruft also: "Hopp, Vivi". Gerade im Sprint ist das echt elementar. In Norwegen waren wir mal drei Starterinnen eng beisammen. Wenn es dann so euphorisch ist, will ich genau wissen, wer ist mein Guide und wo muss ich hin.

Sportschau.de: Im Sport der Sehbehinderten kommt es manchmal zu kuriosen Momenten. Clara Klug wähnte sich schon einmal über der Ziellinie, obwohl diese noch vor ihr lag. Waren Sie schon einmal in einer ähnlichen Situation?

Hösch: Da kann ich mich an nichts erinnern. Im Eifer des Gefechts kann so etwas passieren.

Sportschau.de: Ihr Guide Florian Grimm hat laut Bundestrainer Ralf Rombach beim Weltcup im kanadischen Canmore einen Wolf gesehen. Was hat er Ihnen berichtet?

Hösch: Es war schon ein beeindruckendes Erlebnis. Er hatte aber auch Respekt. Er war erfreut, und es war auch ein Nervenkitzel bei dieser unbekannte Situation.

Sportschau.de: Wie lange sind Sie nun schon mit Ihrem Guide unterwegs?

Hösch: Das ist die erste Saison, die wir nun komplett als Zweiergespann laufen. Es ist von der räumliche Distanz ein Jonglieren, wie man das Training gestaltet. Er hat aber Erfahrung als Guide (Grimm verhalf Wilhelm Brem zu Paralympics-Gold im Biathlon, Anm. d. Red.). In der vergangenen Saison bin ich mit jemandem gelaufen, der ganz neu als Guide angefangen hat. Wenn man erklären muss, was es überhaupt heißt, blind zu sein, ist es schwierig in der Loipe "all in" zu gehen. Diese Zusammenarbeit wollte ich nicht weiterführen. Es dauert Jahre, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen.

Sportschau.de: Was wünschen Sie sich für den Parasport?

Hösch: Die Medienpräsenz wird mehr. Das hat sich schon entwickelt. Menschen mit einer Behinderung sollten nicht als etwas Exklusives gesehen werden. Es sollten keine Berührungsängste entstehen, dass man als normaler Mensch gesehen wird. Das gilt übergreifend - nicht nur für uns Sportler. Es sollte keine Zweiklassengesellschaft geben.

Sportschau.de: Eine Studie des Schnee- und Lawinenforschungszentrums SLF in Davos rechnet bis zum Ende des Jahrhunderts mit 70 Prozent weniger Schnee. Inwiefern ist Wintersport aus Ihrer Sicht längst nicht mehr umweltschonend?

Hösch: Klar macht man sich schon einmal Gedanken, wenn man die Schneekanone laufen hört. Wer weiß, wie es in zehn Jahren ist. Vielleicht gibt es dann noch technische Neuheiten.