Paralympics | Team Ukraine "Bleibt stark" – das ukrainische Team zwischen Medaillen in Peking und Krieg daheim

Stand: 05.03.2022 15:03 Uhr

Allein sieben Medaillen holte das ukrainische Team zum Auftakt der Paralympics in Peking und führt im Medaillenspiegel. Überschattet wird all das von den Sorgen und Ängsten über den Krieg daheim.

Von Maximilian Hendel

Zum Abschluss eines denkwürdigen ersten Wettkampftages der Winter-Paralympics in Peking stehen Vitali Lukianenko, Oleksandr Kazik und Dmytro Suiarko Arm in Arm mit ihren drei Guides zusammen – und lächeln.

Sieben Medaillen für die Ukraine am Samstag

Unter dem gleißenden Sonnenlicht im Biathlonstadion von Zhangjiakou posieren die seh-beeinträchtigten ukrainischen Biathleten für die Kameras nach ihrem Dreifachtriumph im Sprint über sechs Kilometer. Es ist schon jetzt einer der Momente, der überdauern wird – sportlich sowieso, aber natürlich auch angesichts des russischen Angriffskriegs in der Ukraine über 6.000 Kilometer entfernt.

Lukianenko, Kazik und Suiarko sowie Oksana Schischkowa, Grigori Wowtschinski, Ludmila Liaschenko und Taras Rad haben an diesem Samstag (05.03.2022) sieben Medaillen für das blau-gelbe Team geholt. Allesamt im Biathlon. Die Ukraine führt damit aktuell die statistische Spielerei des Medaillenspiegels vor den Gastgebern aus China an. Drei goldene, drei silberne und eine bronzene Medaille. Jede einzelne davon darf als Symbol verstanden werden, von dem Waleri Schuschkewitsch zuvor sprach.

Schuschkewitsch ist seit 25 Jahren Präsident des paralympischen Komitees der Ukraine. In Peking ist er derzeit vor fast jeder Kamera, an fast jedem Mikrofon zu finden. Gefühlt ist Schuschkewitsch bei den Paralympics momentan überall – um über und für sein Land zu sprechen.

"Wir müssen hier präsent sein"

"Wir müssen hier präsent sein. Es ist ein Symbol, das mein Land heute existiert und zwar als ein unabhängiges und souveränes Land", hatte Schuschkewitsch unter anderem in einem ARD-Interview gesagt: "Hier zu sein, ist unser spezieller Beitrag, für den Frieden und gegen den Krieg zu kommunizieren und zu kämpfen."

Ein Weg dafür können besagte sportliche Auftritte sein, ein anderer sind friedensbewegte Aktionen abseits des Wettkampfgeschehens. Die deutschen Para-Teammitglieder etwa setzten am Freitag bei der Eröffnungsfeier – wenn auch nicht in der weltweiten TV-Liveübertragung eingefangen – schweigend für einige Momente ihre Wintermützen ab und zeigten den 30.000 Zuschauern in Pekings Olympiastadion mit den Händen das international bekannte Friedenszeichen.

Schreie nach Frieden

Die vom Krieg geplagte ukrainische Delegation wiederum hatte sich vorab in den Katakomben des "Vogelnest" versammelt, um unter Applaus der umstehenden Athleten aus anderen Nationen, Volunteers und Offiziellen mit zwei großen Bannern und lauten Sprechchören nach dem Stopp des Krieges und dem Frieden in ihrem Land zu rufen.

Dem schloss sich wenig später im Stadion auch Andrew Parsons, der Präsident des Internationalen Paralympischen Komitees, an. Seine für einen international hohen Sportfunktionär ungewohnt politische Eröffnungsrede ("Ich bin entsetzt, was gerade jetzt in der Welt passiert" oder "Das 21. Jahrhundert ist eine Zeit für Dialog und Diplomatie, nicht Krieg und Hass".) beendete er mit einem flammenden Appell: "Peace!" – Frieden!, schrie der 45-jährige Brasilianer. Dem chinesischen Staatsfernsehen schienen manche Ausdrücklichkeiten zuviel. Teilweise wurde der Originalton zensiert.

54-köpfiges ukrainisches Team in Peking

Nicht zuletzt die unter kompliziertesten und für einige auch lebensgefährlichen Umständen nach Peking gereiste 54-köpfige paralympische Delegation der Ukraine – darunter 20 Athletinnen und Athleten – wird Parsons Sätze aufmerksam verfolgt haben. Bereits vor dem Einlauf ins Olympiastadion flossen Tränen, es wurde umarmt, Trost gespendet.

Kaum 48 Stunden vorher war Parsons stellvertretend für das IPC in heftigste Kritik geraten, als die paralympische Dachorganisation zunächst die Teams aus Russland und Belarus unter "neutraler Flagge" starten lassen wollte.

Einen Tag vor der Eröffnungszeremonie revidierten die Organisatoren nach weltweit scharfer Kritik dann doch ihre Entscheidung und schlossen beide Nationen von den Paralympics aus.

Grüße nach Charkiw

"Wir sind hochmotiviert und wollen gewinnen", hat Waleri Schuschkewitsch vor Beginn in Peking noch gesagt. Damit meinte der ukrainische Delegationschef nicht nur die internationale Aufmerksamkeit, sondern auch so viele sportliche Wettbewerbe wie möglich.

Genauso aber erinnerte der 67-Jährige auch daran, wie nervös die Teammitglieder seien, wie sie in jeder freien Minute in ihre Telefone starren, wie sie Angst um ihre Familien daheim haben.

Biathlet Lukianenko, der am Samstag seine bereits siebte Paralympics-Goldmedaille seit 2006 einheimste, kommt aus dem erheblich zerstörten Charkiw. Noch am Freitag berichtete eine Verbandssprecherin, dass er aktuell keinen Kontakt zu seiner Frau und seiner Tochter habe. Lukianenko widmete seine neueste Medaille den Beschützern "unserer Städte" und grüßte außerdem "meine Verwandten aus Charkiw. Bleibt stark."