Vermisste Tennisspielerin IOC-Videocall mit Peng Shuai - mehr Fragen als Antworten

Stand: 22.11.2021 14:38 Uhr

Der Fall der vermissten chinesischen Tennisspielerin Peng Shuai bringt das IOC vor den anstehenden Winterspielen in Peking in Bedrängnis. Auch die Mitteilung über eine Videokonferenz zwischen Präsident Thomas Bach und Peng Shuai sorgt nicht für Aufklärung.

Das Internationale Olympische Komitee (IOC) verschickte am frühen Sonntagabend (21.11.2021) eine Botschaft, die in großen Teilen der Sportwelt seit mehr als zwei Wochen mit Spannung erwartet wurde. Die chinesische Tennisspielerin Peng Shuai, die seit Anfang November als verschwunden gilt, sei wohlauf und in Sicherheit in ihrem Haus in Peking, ließ das IOC mitteilen.

IOC-Mitteilung: Videocall mit Bach und Peng Shuai

Präsident Thomas Bach habe demnach am Sonntag einen halbstündigen Videocall mit Peng Shuai geführt, den das IOC auch mit einem Foto dokumentierte. Chinas Tennisspielerin, die einen Spitzenpolitiker des sexuellen Übergriffes beschuldigt hatte, bedankte sich laut IOC-Mitteilung für die Sorge um ihr Wohlergehen. Sie wolle im Moment aber vor allem Zeit mit ihrer Familie verbringen und bitte deshalb darum, ihre Privatsphäre zu respektieren, hieß es weiter. Außerdem verabredete sie sich für ein gemeinsames Abendessen mit Bach, wenn der IOC-Präsident im Januar zu den Olympischen Winterspielen nach China reist.

Da war es also, das eigentliche große Thema, das auch den IOC-Chef am Sonntag an den Arbeitsplatz beorderte: die anstehenden Olympischen Spiele in Peking. Denn in dem Fall geht es ja längst nicht mehr nur um den ungeklärten Aufenthaltsort von Peng Shuai und den anschließenden Aufruhr auf der Tennis-Tour WTA, die offen wie kaum ein Verband zuvor mit der Aufkündigung der Geschäftsbeziehungen zu China drohte. Sondern auch um die Frage, wie in knapp drei Monaten das größte Wintersportfest der Welt stattfinden soll, mit China als Gastgeber, solange der begründete Verdacht im Raum steht, der Machtapparat in Peking habe womöglich eine unliebsame Sportlerin zum Schweigen gebracht.

Internationale Kritik und viele Fragen - auch an das IOC

Dementsprechend richtete sich die internationale Kritik in den vergangenen Tagen nicht mehr nur gegen Chinas Regime. Sondern mehr und mehr auch gegen das IOC und seinen deutschen Präsidenten, der mehr als zwei Wochen lang beharrlich geschwiegen hatte. Erst am Samstag hatte sich die IOC-Athletenkommission geäußert, deren Sprecherin Emma Terho zeigte sich "besorgt über die Situation der dreimaligen Olympionikin", bei der Aufklärung wolle man den "stillen diplomatischen Ansatz" des IOC unterstützen. Zu einem Zeitpunkt, als Peng Shuais Verschwinden bereits weltweit für Entsetzen gesorgt hatte, nicht nur bei Sportlern und Funktionären, sondern auch in der großen Politik - bis hin zum US-Präsidenten Joe Biden.

Bis nun die Bilder von der Videokonferenz des IOC-Chefs mit der bis eben noch unauffindbaren Tennisspielerin auftauchten, mit der frohen Botschaft: 'Alles gut, wir sehen uns beim Dinner in Peking.'

Kritik an China - von Bach bislang vermieden

Ob das IOC das brisante Thema damit aber vom Tisch hat, zumindest bis zu den Spielen, ist fraglich. Es bleiben zumindest weiter Zweifel an der offiziell verbreiteten Darstellung - zumal Bach bislang jegliche Konfrontation mit dem Olympia-Gastgeber vermieden hat, auch bei anderen drängenden Themen: das gewaltsame Vorgehen des KP-Regimes gegen die Demokratiebewegungen in Hongkong und Tibet zum Beispiel, oder die Unterdrückung der Uiguren, von Völkerrechtlern als Genozid eingestuft.

Für WTA bietet IOC-Videocall keine Aufklärung

Für die Profiorganisation WTA jedenfalls ist auch der am Sonntag vom IOC präsentierte Videocall kein ausreichender Beleg dafür, dass Peng Shuai wohlauf sei. Und vor allem, dass sie frei, "ohne Zensur und Zwang" sprechen könne, wie die "New York Times" aus einem Statement der WTA und deren Chef Steve Simon zitierte: "Dieses Video ändert nichts an unserer Forderung nach einer umfassenden, unzensierten, fairen und transparenten Untersuchung des von ihr erhobenen Vorwurfs des sexuellen Übergriffs."

In der Tat ist es weiter völig unklar, ob das heikle Thema überhaupt zur Sprache kam in der Videokonferenz, bei der laut IOC neben Bach und Athletensprecherin Terho auch das chinesische IOC-Mitglied Li Lingwei teilnahm. Das IOC ließ nichts weiter über den Inhalt des Gesprächs verlauten. Und lieferte damit auch keine überzeugenden Antworten, warum Peng Shuai und ihre Familie für die WTA über Wochen nicht zu erreichen waren. Sollte es tatsächlich die offizielle Erklärung sein, dass Shuai nach den öffentlichen Vergewaltigungsvorwürfen gegen einen Parteifunktionär erst einmal abgetaucht war und sich zu Hause eingeschlossen hatte, um dem zu erwartenden Aufruhr aus dem Weg zu gehen, so wurde dies in der vom IOC verbreiteten Version höchstens angedeutet.

Zweifel an der Authentizität der Bilder aus China

Begründete Zweifel sind zudem angebracht, ob die übermittelten Bilder vom Videocall aus China tatsächlich authentisch sind. Bereits in den Tagen zuvor hatten chinesische Staatsmedien Fotos und Videos verbreitet, die vorgeblich Peng Shuai zeigen. Etwa bei einem Tennisturnier und einem Abendessen, bei dem die Anwesenden wie zufällig auch das Datum des folgenden Tages, den 21. November, erwähnten. Veröffentlicht wurde das Material auf Twitter-Kanälen, adressiert wohl vor allem ans Ausland, unter Chinas Internet-Zensur jedenfalls ist dasTwitter-Netzwerk nicht erreichbar.

Besonders dubios erschienen Fotos vom Account eines regierungsnahen Journalisten, die angeblich eine fröhliche Peng Shuai zeigen, vor einem Regal mit Stofftieren. Die darauf abgebildete Frau wirkt jünger als die 35-jährige Tennisspielerin, das Motiv mit den Stofftieren im Hintergrund wiederum tauchte auch auf dem IOC-Foto vom Videocall mit Shuai auf.

Es bleibt damit der Verdacht, dass womöglich auch das IOC Teil einer Inszenierung der chinesischen Medienwächter wurde - dies konnte auch Präsident Bach nicht entkräften.