Auswahltrainer im Gespräch mit der Sportschau Kuntz und Olympia - Ärger, "Überraschungsei" Kruse und Corona

Stand: 07.07.2021 11:29 Uhr

Als letzten Punkt auf seiner Agenda des Sommers muss Stefan Kuntz noch das olympische Fußballturnier abstreichen. Vorher sprach der Trainer über die "Welle", die er weiter reiten wolle, Ärger mit Vereinen, das "Überraschungsei" Max Kruse und die Coronabedingungen in Japan.

Der zweite Haken ist gesetzt. Nach der Europameisterschaft mit der U21, die mit dem Titelgewinn endete, ist nun auch das kontinentale Turnier der A-Auswahlen für Stefan Kuntz beendet. Am letzten Sendetag der Sportschau begleitete der Experte das Halbfinale zwischen Italien und Spanien.

Mit dem letzten Elfmeter und der letzten Analyse rückte der dritte wesentliche Punkt im Sommer des Stefan Kuntz in den Blickpunkt - die Olympischen Spiele.

Eröffnungsspiel wie das Finale 2016

Am Dienstag (13.07.2021) wird der Auswahltrainer des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) mit seiner Mannschaft nach Tokio fliegen. Neun Tage später wird er dann wieder im Ersten zu sehen sein, an der Seitenlinie beim Eröffnungsspiel gegen Brasilien.

Exakt mit jener Partie endete das olympische Turnier 2016 in Rio de Janeiro. Deutschland verlor das Finale im Elfmeterschießen, gewann aber laut Kuntz die Aufmerksamkeit: "Für mich hat Olympia einen sehr hohen Stellenwert, weil man als Fußballer lange Zeit gar nicht hinkommen konnte. Vor fünf Jahren, als Horst (Hrubesch, Auswahltrainer, d. Red.), in Rio das Endspiel erreichte, hat man Fußball erstmals wahrgenommen."

Sporthistoriker*innen werden ihn belehren und auf die Spiele 1988 in Seoul verweisen, als eine Männernannschaft mit unter anderen Jürgen Klinsmann und Thomas Häßler erstmals eine Medaille gewann, die bronzene.

"Auf dieser Welle wollen wir weiter schwimmen"

Für die jüngeren Generationen aber stimmt Kuntz' These, denn bis zu den Spielen in Brasilien qualifizierte sich seit denen in Südkorea nie eine Auswahl des DFB für Olympia.

Der aktuelle Trainer hofft, dass sich die Zuschauer*innen wie vor fünf Jahren wieder für den Fußball bei Olympia begeistern können: "Auf dieser Welle wollen wir weiter schwimmen."

Kuntz glaubt, dass die Teilnahme an den Spielen in Tokio "sehr viel zur Persönlichkeitsentwicklung von Spielern" beitragen könne, die dort im Gespräch mit anderen Sportler*innen erfahren könnten, "welche intrinsische (aus sich selbst heraus entstehende, d. Red.) Motivation verschiedene Sportarten haben müssen, die teilweise trotzdem noch einen geregelten Berufsalltag hinbekommen".

Drei Spieler mehr wären möglich

Am Montag (05.07.2021) hatte Kuntz seinen nur 19 Spieler starken Kader bekannt gegeben. Ob der aktuelle verletzte Josha Vagnoman vom Hamburger SV mit nach Japan fliegen wird, ist offen. "Es könnte sein, dass Deutschland als einziges Land mit 18 oder 19 Spielern nach Tokio fliegt und nicht mit 22. Das halte ich für die Außenwirkung auch nicht für gut", klagte Kuntz und nahm damit Bezug auf eine kurzfristige Änderung der FIFA, die das Turnier für das Internationale Olympische Komitee (IOC) organisiert. Der Fußballweltverband erlaubte aufgrund der Pandemie eine Vergrößerung der Kader auf 22 Spieler.

Neidisch blickt Kuntz auch in diesem Punkt nach Spanien. Dort sei die Zahl der "olympiawilligen Spieler" so groß, dass es überhaupt kein Problem sei, den Kader in wenigen Tagen aufzufüllen. In Deutschland aber gab es schon Reibereien um 19 Spieler. "Große Vereine", so Kuntz sogar in der offiziellen Mitteilung des DFB, seien nicht so hilfsbereit gewesen wie erhofft.

"Bisschen mehr Unterstützung wäre noch gegangen"

Auch der Sportschau nannte Kuntz weder Namen von Vereinen noch Spielern, die er gerne mitgenommen hätte, sagte aber: "Vor zwei Jahren sind wir, initiiert von Oliver Bierhoff, mit Sportdirektoren der Bundesligisten nach Amerika geflogen. Damals habe ich breite Unterstützung bekommen. Zum Schluss hat jetzt der ein oder andere Verein aktiv drauf eingewirkt, dass Spieler abgesagt haben. Ein bisschen mehr Unterstützung wäre noch gegangen."

"Unangepasst, unberechenbar, abgezockt"

Lobend erwähnte Kuntz die Bundesligisten FC Augsburg, Hertha BSC und den 1. FC Union Berlin, die jeweils zwei Spieler abgestellt hätten. Einer der Unioner ist Max Kruse. "Das Überraschungsei" im Kader nennt Kuntz den schon 33 Jahre alten Profi und hebt hervor: "Er gehört zu den älteren Spielern, die von Anfang an gesagt haben, sie möchten unbedingt mit zu Olympia, die sich aus Eigeninteresse immer wieder mal gemeldet haben, um zu hören, wie der aktuelle Stand ist." Kruse sei "ein bisschen unangepasster, auf dem Platz unberechenbarer, auch abgezockt".

Ohne sich schon eingehend mit den anderen Kadern beschäftigt zu haben, ruft Stefan Kuntz eine Medaille als Ziel aus. Sieben der Spieler, die unter ihm im Juni den Titel mit der U21 gewannen, sind auch im Olympiakader. Bei dem Turnier der Nachwuchsmannschaften galt Deutschland als Außenseiter, auch vier Jahre zuvor waren andere Teams favorisiert, trotzdem gewann die Mannschaft unter Kuntz, 2019 kam sie immerhin ins Finale.

Erfolgsrezept Teamgeist

"Ich glaube, die Spieler haben verstanden, dass Teamgeist Individualqualität schlägt, und sie haben verstanden, dass sie ihr eigenes Image als Talent besser in den Fokus rücken können, weil doch manchmal noch lieber Spieler aus dem Ausland geholt werden als U21-Nationalspielern das Vertrauen zu geben", so Kuntz mit einem Seitenhieb gegen Bundesligaklubs.

Coronalage in Japan konträr zu der in London

An seinem letzten Tag als Sportschau-Experte für diesen Sommer analysierte Kuntz ein Spiel, das knapp 60.000 Zuschauer*innen in London sahen. Für Japan "wissen wir noch nicht, ob Zuschauer zugelassen werden", so Kuntz. Die Lage in Tokio stelle sich ganz anders dar als in Großbritannien, wo trotz steigender Inzidenzzahlen weiter gelockert werde: "Ich musste nochmal zwei Apps runterladen, ohne die wir gar nicht reinkommen würden, obwohl einige, auch ich, komplett durchgeimpft sind."