Olympia | Winterspiele Athletensprecher Klein zu Olympia: Sportlicher Boykott wird abgelehnt

Stand: 07.12.2021 13:44 Uhr

Maximilian Klein kümmert sich für die Vereinigung Athleten Deutschland um internationale Sportpolitik. Im Interview mit der Sportschau spricht er über den "Fall Peng Shuai", seine Forderungen an das IOC und einen möglichen diplomatischen Boykott der Olympischen Winterspiele in Peking.

Sportschau: Als Reaktion auf fehlende Aufklärung im "Fall Peng Shuai" hat der internationale Frauen-Tennisverband (WTA) angekündigt, alle Turniere in China vorerst auszusetzen. Wie bewerten Sie diesen Schritt der WTA?

Maximilian Klein: Wir begrüßen diesen Schritt sehr. Weil es zeigt, dass die WTA den Schutz von Athletinnen und Athleten über politische und vor allem wirtschaftliche Interessen stellt. Und die WTA auch konsequent handelt.

Sportschau: Wie wird diese Entscheidung von Athletinnen und Athleten aufgenommen?

Klein: Die Entscheidung der WTA wird sehr positiv aufgenommen in Athleten-Kreisen. Vor allem, weil es ein ganz klares Signal an die Athletinnen und Athleten sendet, dass alles für den Schutz der Spielerinnen und Spieler getan werden soll und ihr Schutz, ihre Menschenrechte, auch nicht wirtschaftlichen Interessen untergeordnet werden.

Sportschau: In weniger als zwei Monaten finden die Spiele in Peking statt. Das IOC rühmt sich, als einzige Organisation Video-Gespräche mit Peng Shuai geführt zu haben. Gleichzeitig bleiben viele Fragen offen. Wie sind diese Gespräche zu bewerten?

Klein: Diese beiden Telefonate und auch die Stellungnahmen sind eigentlich nichtssagend. Sie sind auch sehr zweifelhaft, weil das IOC sowohl das Verschwinden als auch die Missbrauchsvorwürfe nicht einmal thematisiert. Das IOC schweigt also zu den Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs, und es gibt weiterhin keine Belege, ob sich die Spielerin frei bewegen kann, ob sie Entscheidungen treffen kann und ob sie in Sicherheit ist.

Und darauf muss das IOC bestehen. Genauso wie es auch auf eine unabhängige Untersuchung bestehen muss. Und sollte diesen Forderungen nicht entsprochen werden, muss sich das IOC auf Konsequenzen vorbereiten, so wie sie die WTA auch gezogen hat.

Sportschau: Welches Signal sendet das IOC an Athletinnen und Athleten, wenn es sich eben nicht wie die WTA demonstrativ vor sie stellt, sondern weiterhin seinen Ansatz der "stillen Diplomatie" verfolgt?

Klein: Das IOC lässt nicht zum ersten Mal Zweifel daran aufkommen, wie bei der mächtigsten Organisation des Weltsports die Prioritäten gelagert sind. Es sendet das Signal, dass die menschenrechtliche Verantwortung des Sports und auch der Einsatz für den Schutz der Athletinnen und Athleten politischen und vor allem wirtschaftlichen Interessen, mit Blick auf die Winterspiele zum Beispiel, untergeordnet werden.

Sportschau: Das IOC äußert sich zur Menschenrechtssituation in China eher zurückhaltend. Welche Gefahr geht von so einem Ansatz aus?

Klein: Permanent zu schweigen riskiert natürlich, dass das IOC mit seinem Verhalten, mit dieser Passivität und Ignoranz, die Menschenrechtsverletzungen ein Stück weit legitimiert oder zumindest stillschweigend hinnimmt. Und sich damit auch möglicherweise zum Kollaborateur der chinesischen Staatsführung macht.

Deshalb ist es ganz wichtig, dass das IOC mit Blick auf die Winterspiele seiner menschenrechtlichen Verantwortung nachkommt, eine Menschenrechtsstrategie umsetzt und vor allem auch auf die Zusagen, die angeblich von chinesischer Seite gemacht wurden, drängt.

Das Problem ist, dass es bei der Vergabe der Spiele Zusagen gegeben haben soll. Diese wurden bis heute nicht veröffentlicht. Es ist nicht klar, wie diese Zusagen umgesetzt werden und wie überprüft werden soll, dass das umgesetzt wird. Es gab also Handlungsspielräume, und das IOC muss jetzt ganz klar Farbe bekennen und dieser Sorgfaltspflicht, die es mit Blick auf die Umsetzung der Spiele hat, auch nachkommen.

Sportschau: Und dieser Verantwortung kann das IOC nicht mit seinem Mittel der Wahl, der "stillen Diplomatie", gerecht werden?

Klein: Ganz klar. Das IOC hat viel zu lange geschwiegen. Das hat Tradition, nicht nur mit Blick auf China, sondern auch mit Blick auf viele andere Menschenrechtsfragen im Sport. Das IOC muss ein klares Bekenntnis für die Menschenrechte und auch für seine menschenrechtliche Verantwortung machen. Ansonsten wird der Eindruck erweckt, dass eben stillschweigend Verbrechen gegen die Menschlichkeit und auch schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen geduldet werden.

Sportschau: Kann das IOC aktuell glaubhaft versichern, dass die Sicherheit von Athletinnen und Athleten in China gewährleistet ist?

Klein: Diese Frage stellt sich uns auch. Das IOC muss jetzt gerade nach dem aktuellen Fall Beweise erbringen, dass es willens und auch in der Lage ist, den Schutz und die Sicherheit von Athletinnen und Athleten zu gewährleisten. Da geht es um die körperliche Unversehrtheit, es geht aber auch um die Gefahr von Überwachung und Ausspähung. Genauso wie um die Meinungsfreiheit. Gerade wenn sich Athletinnen und Athleten kritisch äußern möchten.

Sportschau: Was muss das IOC Ihrer Meinung nach konkret tun, um diese Sicherheit zu gewährleisten?

Klein: Das ist auf der einen Seite natürlich eine Frage der Glaubwürdigkeit, aber auf der anderen Seite hat das IOC auch ein beträchtliches Einflussvermögen. Das ist die mächtigste Organisation im Weltsport und es muss eben dieses Einflussvermögen nutzen, um Menschenrechtsstandards durchzusetzen. Insbesondere mit Blick auf die Vorbereitung und Umsetzung der Winterspiele.

Gerade weil es so große Bedenken gibt, ist es ganz wichtig, dass das IOC transparent agiert. Dass Zusagen veröffentlicht werden und dass das IOC auch Risikoanalysen vorlegt für die Menschenrechtsrisiken vor Ort. Und dann auch klar darlegt, wie eben diesen Menschenrechtsrisiken begegnet und auch der Schutz der beteiligten Personengruppen gewährleistet wird.

Sportschau: Aktuell werden vor allem die Forderungen nach einem diplomatischen Boykott der Spiele – also dem Fernbleiben von Politikerinnen und Politikern – lauter. Wie stehen Sie zu solchen Forderungen?

Klein: Entscheidungen über einen diplomatischen Boykott müssen die jeweiligen Regierungen selbst treffen, das liegt in deren Verantwortung. Es ist schon nachvollziehbar, dass man dem chinesischen Regime keine Plattform bieten will für seine Zwecke.

Sportschau: Und wie sieht es mit einem Boykott der Athletinnen und Athleten aus?

Klein: Wir müssen hier unterscheiden zwischen einem diplomatischen Boykott auf der einen Seite und einem sportlichen Boykott auf der anderen Seite. Aus Athletensicht – und das hören wir immer wieder, wenn wir mit Athletinnen und Athleten sprechen – wird ein sportlicher Boykott klar abgelehnt. Weil die Athletinnen und Athleten sich in einem Dilemma befinden. Weil sie in eine unmögliche Situation gebracht worden sind, für die sie gar nichts können.

Sie haben sich jahrelang vorbereitet auf die Spiele, auf ihren persönlichen und sportlichen Höhepunkt. Und sollen jetzt Verantwortung für etwas tragen, die sie eigentlich nicht zu tragen haben. Und deshalb ist der sportliche Boykott aus Athletensicht auszuschließen. Der diplomatische Boykott – da liegen die Entscheidungen bei der Politik.

Sportschau: Müssen sich Athletinnen und Athleten also gar nicht positionieren, wenn sie zu Gast in einem Land sind, in dem Menschenrechte verletzt werden?

Klein: Auch da würde ich nochmal unterscheiden: Athletinnen und Athleten sind natürlich Vorbilder, sie können inspirierende Kraft entfalten. Gleichzeitig sollten sie Wahlfreiheit haben. Es ist ihr sportlicher Höhepunkt. Sie müssen im Kopf frei sein. Und es gibt auch viele, die sich deshalb nur auf Sport konzentrieren möchten. Diejenigen, die sich aber kritisch äußern wollen – und es gibt eine hohe Sensibilisierung innerhalb der Athletenschaft für die problematische Lage in China – denen muss es möglich sein, sich kritisch zu äußern.

Und die müssen da auch geschützt werden. Ihre Rede- und Meinungsfreiheit muss beschützt werden. Und da haben wir auch wieder unsere Zweifel, ob das denn so in dem Maße in China möglich ist. Da würden wir uns wünschen, dass klare Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden, damit diejenigen, die sich äußern möchten, das auch tun können.

Das Gespräch führte Tom Klees