Olympia | Doping China oder die Furcht vor neuem Staatsdoping

Stand: 04.02.2022 10:07 Uhr

Zahlreiche Auffälligkeiten nähren Zweifel an der Aufrichtigkeit des Anti-Doping-Kampfes im olympischen Gastgeberland China.

Von Hajo Seppelt, Jörg Mebus, Nick Butler, Jörg Winterfeldt

Neulich filmte ein Kameramann der ARD in Peking das Gebäude, in dem die chinesische Anti-Doping-Agentur ihren Sitz hat und auch das von der Welt-Anti-Doping-Agentur akkreditierte Labor untergebracht war. Es ist ein schmuckloser, grauer Betonklotz, den die drei Flaggen davor nicht maßgeblich aufhübschen können. Nach nur wenigen Sekunden sorgten zwei chinesische Sicherheitsleute dafür, dass der Kameramann seine Arbeit beenden musste.

Es sind diese Kleinigkeiten, die Intransparenz der Diktatur, Chinas Abschottung nach außen und, insoweit Doping betroffen ist, die umfangreiche Sportbetrugshistorie des bevölkerungsreichsten Landes der Welt, die die Skepsis der ausländischen Sportler, Betreuer und Journalisten nähren, ob tatsächlich alles mit rechten Dingen zugeht im sportlichen Reiche Xi Jinpings.

Sotschi im Hinterkopf

Vor acht Jahren tunte Russland mit einem geheimdienstlich gedeckten Staatsdopingprogramm seine Athleten zu potenziellen Olympiasiegern. "Ich fürchte, dass wir ein Déjà-vu von Russland erleben könnten", sagt der frühere amerikanische Skilangläufer Noah Hoffman, Olympiateilnehmer in Sotschi 2014, der ARD-Dopingredaktion: "Denn wir haben keine echten Sanktionen nach Russlands Staatsdoping erlebt. Warum also sollte China das nicht wiederholen?"

Eine Reihe von weiteren Auffälligkeiten im chinesischen Anti-Doping-Kampf sind zudem durchaus geeignet, weiteres Misstrauen an Chinas sportlicher Aufrichtigkeit zu schüren. Nach ARD-Recherchen werden in China genommene Dopingproben einheimischer Top-Athleten zumindest in manchen Sportarten kaum von unabhängigen internationalen Kontrollinstanzen analysiert - sondern von chinesischen Forschern selbst. Ausländische Experten bemängeln fehlenden Zugriff auf die Proben und Intransparenz.

Falsche Testergebnisse

Die WADA selbst, die nach außen beteuert, keinen Anlass zum Zweifel an der Ehrenwertigkeit des chinesischen Anti-Doping-Kampfes erkennen zu können, sah selbst bereits intern Grund zur Kritik. So suspendiert sie Pekings Labor 2016, als sie feststellte, dass dort positive Dopingtests als negativ deklariert worden waren. Bloß Inkompetenz oder gar ein Vertuschungsversuch?

Zudem rügte die WADA in einem der ARD vorliegenden vertraulichen Bericht von 2017 gleich die gesamte Konstruktion des chinesischen Anti-Doping-Kampfes: Chinas Anti-Doping-Agentur fehle es an "operativer Unabhängigkeit von den zuständigen staatlichen Institutionen”, und das Labor wiederum arbeite nicht ausreichend unabhängig von der Agentur, werde gar aus demselben Budget bedient. Vor kurzem erklärten die chinesischen Behörden zwar, man habe die von der WADA angemahnten Änderungen umgesetzt, wie auch immer ein Mangel an Unabhängigkeit in einem autoritären Staat abgestellt werden kann. Klar ist aber: Kurz vor den Spielen kommen mögliche Maßnahmen für ein glaubwürdiges Anti-Doping-System auch für chinesische Wintersportler zu spät.

Sonderbehandlung chinesischer Gewichtheber

Wie auffällig China offenbar darauf erpicht ist, im Anti-Doping-Kampf die Fäden bei Kontrollen der eigenen Athleten in der Hand zu haben, zeigt ein Beispiel aus dem Sommersport: Im Gewichtheben, einer Sportart, die notorisch dopingverseucht ist, werden nahezu alle sogenannten Steroidprofile auf internationaler Ebene vom Kölner Anti-Doping-Labor überwacht. Etwa die aller Goldmedaillengewinner von Tokio 2021, wie die WADA der ARD bestätigt hat. Nur die Profile von sechs Olympiasiegern von Tokio nicht: alles Chinesen, alle geführt vom Labor in Peking.

Zudem hieß es in einem vertraulichen Schreiben des Pekinger Labors vor kurzem, dass "von Ende Januar bis Mitte März nur Proben von den Winterspielen analysiert und angenommen werden". Heißt im Umkehrschluss: Während Winter-Olympia könnten sich für dopinganfällige Sommerathleten Kontroll-Schlupflöcher in China öffnen.

Ausfuhrprobleme bei Dopingproben

Für sich allein gesehen ist das keineswegs ungewöhnlich. Andere Proben werden für gewöhnlich bei Spielen in der Zwischenzeit einfach an ein naheliegendes WADA-akkreditiertes Labor zur Analyse umgeleitet. In China gibt es jedoch derzeit noch kein offizielles zweites Labor. Wenn aber in China genommene Dopingproben zur Analyse ins Ausland gehen sollen, wird das offenbar immer wieder verhindert.

Die in Monte Carlo sitzende Integritätseinheit des Leichtathletik-Weltverbandes mit ihrem Chef Brett Clothier hat genau das erlebt. „Wir haben kein Problem, aus jedem Land der Welt Proben in Labore unserer Wahl zu schicken“, sagte Clothier der ARD-Dopingredaktion, „das einzige Land, in dem das nicht klappt, ist China. Wir waren zwar in der Lage, Proben zu nehmen, durften sie aber oft nur in China analysieren lassen.”

Wie sich Chinas Alleingänge im Anti-Doping-Kampf auf die Winterspiele auswirken, ist ungewiss.