José Mourinho nach dem Gewinn der UEFA-Conference-League

Europa League gegen Sevilla Zucker in den Tank - warum Mourinho in Rom geliebt wird

Stand: 31.05.2023 10:09 Uhr

Roma-Coach José Mourinho kann zum erfolgreichsten Trainer der europäischen Wettbewerbe werden. Mit einem Fußball, der polarisiert, weil für Mourinho immer nur das Ergebnis zählt. In Rom lieben sie ihn dafür. Am heutigen Mittwoch (31.05.2023, 21 Uhr, im Live-Ticker bei sportschau.de) trifft Mourinho mit AS Rom im Finale der Europa League auf den FC Sevilla.

Zucker in den Tank. Reifen zerstechen. Das mag nicht jeder. Frag nach in Leverkusen. Dort wissen sie, was sie von José Mourinhos Verständnis von Fußball halten. Der Auftritt der AS Rom im Halbfinale der Europa League sei "eine Frechheit" gewesen, meinte Bayer-Mittelfeldmann Nadiem Amiri.

Kerem Demirbay empfand den Roma-Sieg als "sehr, sehr bitter für den Fußball". Als "große Verarschung" geißelte Leverkusens Geschäftsfüher Sport, Simon Rolfes, das Zeitspiel der Mourinho-Truppe. Am Ende aber stand der Finaleinzug - ins Endspiel am Mittwochabend (31.05.2023) gegen den FC Sevilla in Budapest.

Vergangene 15 Rom-Heimspiele ausverkauft

In Rom können sie ohnehin nicht nachvollziehen, was sie da in Leverkusen und dem Rest der Welt reden. Die Roma-Fans verehren Mourinho, der in seiner Zeit bei Inter Mailand einmal gesagt hat: Im Fußball müsse man dem Gegner auch mal "Zucker in den Tank schütten und die Reifen zerstechen", um ein Spiel zu gewinnen.

Im römischen Olympiastadion, wo Mourinho-Fußball derzeit aufgeführt wird, waren die vergangenen 15 Heimspiele mit jeweils über 64.000 Zuschauern ausverkauft. Nicht einmal in der bislang letzten Meistersaision 2000/2001 wollten so viele Menschen die AS Rom sehen.

"Mou-numentaler" Finaleinzug

Das Verlesen der Mannschaftsaufstellungen ist stets Mourinho-Feierstunde. Immer am lautesten rufen die Fans seinen Namen. Joséééé Mouuurinhooooo. Die römischen Fußball-Radios senden Lobeshymnen in Dauerschleife und die in Rom meistgelesene Sportzeitung, der "Corriere dello Sport", liest sich wie ein Mourinho-Fanzine.

Nach dem Auftritt in Leverkusen war die Rede von einem "Meisterwerk" und einer "märchenhaften Nacht", von "Leidensbereitschaft und Einsatz". Darüber als Verbeugung vor dem Trainer die Schlagzeile: "Mou-numentale".

Mourinho hat Rom im Griff

Mourinho hat Rom im Griff wie bislang keine Stadt, in der er gearbeitet hat. Hier, wo die Begeisterung für Fußball seit Jahrzehnten im Missverhältnis zu erzielten Erfolgen steht, fühlen sie sich geehrt, dass einer der erfolgreichsten Trainer aller Zeiten jetzt für die Roma arbeitet.

Und den Verein in zwei Jahren gleich zweimal in ein europäisches Endspiel geführt hat, was in 95 Jahren vorher nur dreimal gelang. Mourinhos Art passt außerdem in die Stadt, die sich seit Romulus mit Pathos, Bauernschläue und Gnadenlosigkeit in Konflikten auskennt.

Der Fußball, den er in Rom spielen lässt, ist Mourinho 2.0. Selbst in England, wo der Mann aus Setubal am längsten gearbeitet hat, staunten sie, als sich die Roma in diesem Sommer in einem Vorbereitungsmatch gegen Tottenham präsentierte. LiveScore-Gründer Mitch Fretton twitterte: "Es ist lächerlich zu sehen, dass in einem Freundschaftsspiel der Bus geparkt wird und ab der 50. Minute das Zeitspiel beginnt."  

Erweiterung des Catenaccio

Mourinho und die Roma des Catenaccio zu bezichtigen, ist untertrieben - und fachlich nicht richtig. Der von Helenio Herrera erfundene Ur-Catenaccio hatte ansehnliche Momente und verdankte seine Siege auch offensivfreudigen, schnellen Außenverteidigern, die das Konterspiel aus massiver Defensive erfolgreich machten.

Mourinho hat den Offensivteil des Catenaccio in dieser Saison vernachlässigt, geschuldet auch Formkrisen und Verletzungen seiner Außenbahnspieler. Da wurde häufig nicht einfach ein einstöckiger Bus vor dem Tor geparkt, sondern ein Doppeldecker.

Chris Smalling und Roger Ibañez feiern den Finaleinzug der Roma

Überdurchschnittlich viele Standard-Tore

Gleichzeitig kippt Mourinho mehr Zucker in den Tank. Zeitspiel, Provokationen und eine Bank, die Schiedsrichter und Gegner über die gesamte Spielzeit unter Feuer hält. Die für eine Spitzenmannschaft unterdurchschnittlich wenigen Tore (48 in 37 Spiele) fallen überdurchschnittlich oft durch Standards. 40 Prozent ihrer Treffer erzielt die Roma nach ruhenden Bällen, so viele wie keine anderen Mannschaft in Italien.

Die Qualifikation für die Champions League in der Serie A wurde trotzdem klar verfehlt. In den Alles-oder-nichts-Spielen der Europa League wirkt der Zucker im Tank besser.

Was auch in Italien nicht immer auf Begeisterung stößt. Im dort viel geklickten Streaming-Format Bobo TV fluchte der ehemalige National- und Roma-Stürmer Antonio Cassano, es sei zum Fremdschämen, wie sich Mourinho mit seinem Team für das Endspiel qualifiziert habe. Der Fußball, den die Roma in dieser Saison spiele, sprach der zu drastischen Urteilen neigende Cassano, "fa cacare". Was fast wörtlich übersetzt bedeutet: Die Roma spiele einen, pardon, Kack-Fußball.

AS Rom alleine gegen alle

Nicht nur seine Taktik auf dem Platz, auch seine Psychospiele jenseits des Rasens hat Mourinho in Rom auf eine neue Ebene gehoben. Beginnend beim Prinzip Wagenburg, immer ein wichtiges Merkmal der Mourinho-Erfolge. Motto: Wir rücken eng zusammen, denn draußen lauern nur Feinde. Die Gegner, die Schiedsrichter, der Fußballverband, dunkle Mächte überall.

Mourinhos Klagen über die Referees sind legendär, seine drei Roten Karten in seiner Zeit in Rom aber Rekord, genauso wie die acht Platzverweise für Mitglieder seines Trainerteams. Keine Bank ist während des Spiels derart im permanenten Störmodus wie die der AS Rom. Immer nach dem Motto: Wir sind unsympathisch? Auch das schweißt zusammen!

Trainer José Mourinho feiert mit seinen Spielern den Finaleinzug

Erinnerungen an die EURO 1996

Selbst aus den ungewöhnlichen Verletzungsproblemen der Roma in dieser Saison zog Mourinho Motivationssaft. In keiner Pressekonferenz fehlte die theatralische Klage über die Ausfälle von Leistungsträgern. Und befeuerte die "Trotz-alledem"-Mentalität.

Wie sich die AS Rom durch die Saison kämpft, erinnert ein wenig an die deutsche Nationalmannschaft der EURO 1996, die sich gepflastert und bandagiert durchs Turnier biss und am Ende weniger mit fußballerischer Klasse als mit Mentalität und Teamspirit den Titel gewann.

Ein Titelgewinn "against all odds" der Roma in Budapest, wäre für Mourinho auch ein persönlicher Triumph. Mit sechs Triumphen in den europäischen Wettbewerben stiege der selbst ernannte "Special One" zumindest in dieser Disziplin, vor Giovanni Trapattoni, zum erfolgreichste Trainer aller Zeiten auf.