Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft steht nach dem Spiel im Kreis - im Hintergrund sind die Zuschauer im Wembley-Stadion zu sehen.

Großes Interesse an Turnier in England Fußball-EM endet mit deutschem TV-Zuschauerrekord

Stand: 02.08.2022 10:53 Uhr

Die Fußball-EM in England hat alle Erwartungen übertroffen. Nicht nur das spielerische Niveau ist enorm gestiegen, auch das Zuschauerinteresse: Das Finale verfolgten alleine in Deutschland fast 18 Millionen Fernsehzuschauer. Einer von mehreren Rekorden.

Die Fußball-EM im "Mutterland" England war angetreten, den Fußball der Frauen in der Wahrnehmung auf ein neues Level zu heben - und genau dies scheint gelungen zu sein. Die Live-Übertragung des Finals zwischen der DFB-Elf und England (1:2 nach Verlängerung) aus dem Londoner Wembley-Stadion hat den elf Jahre alten Einschaltquoten-Rekord von der Fußball-WM 2011 geknackt. Durchschnittlich 17,9 Millionen Menschen - in der Spitze sogar 21,8 Millionen - sahen am Sonntag (31.07.2022) das Spiel im Ersten. Nie zuvor hatten so viele Menschen in Deutschland ein Fußballspiel von Frauen im Fernsehen angeschaut. "Die deutschen Spielerinnen haben uns noch einmal ein hoch spannendes und emotionales Finale geboten, das uns nicht nur einen neuen Allzeit-Rekord bei der Zuschauerquote gebracht hat, sondern vor allem viel Lust auf das, was in Zukunft von diesem DFB-Team noch kommen wird", sagte ARD-Sportkoordinator Axel Balkausky.

Der Marktanteil der rund zweistündigen Übertragung lag nach Angaben der AGF-Videoforschung bei 64,8 Prozent. Der bisherige Bestwert (16,95 Mio./59,3 Prozent) war beim Viertelfinale der Heim-WM zwischen Deutschland und Japan (0:1) vor elf Jahren aufgestellt worden. In Großbritannien hatte das Finale gegen die DFB-Elf nach Angaben der BBC in der Spitze 17,4 Millionen TV-Zuschauer. Zusätzlich erlebten weitere 5,9 Millionen den ersten EM-Erfolg der "Lionesses" via Livestream.

Starke Zahlen für ARD und ZDF

Das Turnier in England bescherte ARD und ZDF starke Zahlen, die mit den deutschen Erfolgen stetig stiegen. Der bisherige EM-Bestwert war beim Halbfinale gegen Frankreich mit durchschnittlich 12,2 Millionen Menschen und einem Marktanteil von 47,2 Prozent aufgestellt worden. Den 2:0-Erfolg gegen Österreich im Viertelfinale sahen 9,5 Millionen Zuschauende im Ersten. Bei den drei Partien der DFB-Auswahl in der Vorrunde hatten durchschnittlich 6,6 Millionen Menschen zugeschaut.

TV-Zuschauerinteresse enorm gestiegen

Schon vor den Halbfinalspielen hatte die UEFA verkündet, dass in diesem Jahr etwa 60 Prozent mehr Fans die Spiele der Fußball-EM vor den TV-Geräten verfolgt haben als beim Turnier 2017 in den Niederlanden. Der vorherige Rekord von 164 Millionen Gesamt-Zuschauenden war demnach bereits nach den Viertelfinals übertroffen. "Diese hervorragenden TV-Zuschauerzahlen zeigen die enorme Strahlkraft des Turniers sowie die starke Entwicklung des Frauenfußballs in den vergangenen Jahren", sagte UEFA-Marketingdirektor Guy-Laurent Epstein.

Stadien in England waren sehr gut ausgelastet

Aber nicht nur das Interesse an den heimischen Bildschirmen war groß, auch in die Stadien selbst kamen mehr Zuschauer als bei jeder anderen EM der Frauen zuvor - ein Beleg dafür, dass die höhere Qualität der Spiele auch mehr öffentliches Interesse hervorruft und das Wachstum beim Fußball der Frauen anhält.

Fast 69.000 Menschen besuchten das Eröffnungsspiel zwischen England und Österreich im Old Trafford in Manchester, das Endspiel in Wembley sahen rund 87.000 Fans. Insgesamt kamen mehr als 500.000 Zuschauer zu den 31 Turnierspielen in die Stadien. Die bisherige Bestmarke lag bei 240.000 Fans bei der EM 2017 in den Niederlanden.

Größte Zuschauerzahlen bei EM-Spielen insgesamt
Zuschauer Begegnung Datum
87.192 England - Deutschland 31.07.2022, Finale EM 2022
68.871 England - Österreich 06.07.2022, Vorrunde EM 2022
41.301 Deutschland - Norwegen 28.07.2013, Finale EM 2013
30.785 Nordirland - England 15.07.2022, Vorrunde EM 2022
29.092 England - Finnland 05.06.2005, Vorrunde EM 2005
28.994 England - Spanien 20.07.2022, Viertelfinale EM 2022
28.624 England - Schweden 26.07.2022, Halbfinale EM 2022
28.182 Niederlande - Dänemark 06.08.2017, Finale EM 2017
27.445 Deutschland - Frankreich 27.07.2022, Halbfinale EM 2022

Spielniveau hat sich stark verbessert

Das Lob für den Qualitätssprung beim Fußball der Frauen kommt von allen Seiten. Vor dem Endspiel äußerten sich jede Menge Experten aus der deutschen Männer-Bundesliga, aus der Premier League und vielen anderen Profiligen anerkennend und regelrecht begeistert. "Ich muss wirklich sagen, dass ich den Frauenfußball liebe. Die Qualität des Turniers ist Wahnsinn", sagte etwa FC-Liverpool-Coach Jürgen Klopp. Die EM sei Werbung für den Frauenfußball. Dieser sei bei der Entwicklung in den vergangenen Jahren explodiert. "Taktisch und technisch ist es ein unglaublich hohes Niveau. Die Intensität der Spiele - physisch ist es richtig, richtig gut. Ich liebe es, mir das anzuschauen."

Dem ist wenig hinzuzufügen. Das Spielniveau hat sich gegenüber vorangegangenen Großveranstaltungen enorm entwickelt. Die Frauen sind weitaus athletischer geworden, taktisch und spielerisch haben sie sich zudem sehr stark entwickelt. Vielleicht das beste Beispiel ist Deutschlands "Sechserin" Lena Oberdorf. "Sie würde unser U21-Trainer Antonio Di Salvo gern für seine Männerauswahl nominieren", erzählte DFB-Sportchef Joti Chatzialexiou nur halb scherzhaft.

Debatte um die Leistung der Videoschiedsrichter

Bei den Spielen gab es mehrmals irritierend lange Unterbrechungen, wenn es zum Einsatz des Videoschiedsrichters kam. Minutenlang zeigten die TV-Kameras dann die ratlosen und ebenfalls wartenden Gesichter der beteiligten Schiedsrichterinnen auf dem Feld.

Schwedens Mittelfeld-Regisseurin Kosovare Asllani sprach die Misere direkt an:  "Bei unserem Turnier 50 Prozent weniger Kameras zu verwenden als bei den Männern, das ist wirklich eine Katastrophe!" Den Schwedinnen wurden in vier Spielen fünf Tore durch die Technologie aberkannt. Mindestens zwei davon fälschlicherweise. Bei einem aberkannten Treffer von Stürmerin Stina Blackstenius wurde schlicht und einfach die Abseits-Kalibrierungslinie falsch gezogen. Auch im Endspiel zwischen England und Deutschland gab es eine Handspielszene im Strafraum der Engländerinnen, die für viele Diskussionen sorgte.

Soziale Medien sind und bleiben zweischneidiges Schwert

Nicht nur im Fernsehen erreichte das diesjährige Turnier unbekannte Höhen, in den sozialen Medien verzeichnete die Europameisterschaft einen Rekord an Interaktionen. Doch es gibt auch eine fiese Seite der neuen Popularität. DFB-Angreiferin Svenja Huth machte das deutlich, als sie homophobe Hass-Kommentare, die sie selbst auf ihrem Instagram-Profil als Reaktion auf Hochzeitsfotos mit ihrer Frau bekommen hatte, postete. Es waren Anfeindungen auf unterstem Niveau.

Vor der EM hatte Huth in der "Bild"-Zeitung erklärt, warum sie sich selbstverständlich mit ihrer Frau im Internet zeigt: "Das ist mein Leben, sie ist mein starker Rückhalt. Ich wüsste nicht, warum ich so etwas Schönes verheimlichen sollte. Ich möchte damit auch Vorbild für Menschen sein, zu sich zu stehen."

Die deutsche Fußballspielerin Svenja Huth in Aktion bei dem Länderspiel gegen Frankreich.

Nationalspielerin Svenja Huth erreichten im Netz vor der EM homophobe Hass-Kommentare.

Kampf um Gleichberechtigung, gegen Sexismus

Ex-Nationalspielerin Anja Mittag berichtete davon, während ihrer aktiven Zeit diverse Erfahrungen mit Sexismus gemacht zu haben. Im Interview mit sportschau.de resümmierte sie: "Ich glaube, dass in letzter Zeit in der Gesellschaft viel passiert ist in Sachen Akzeptanz von Frauen. Wir werden mehr gehört und schaffen uns auch eine eigene Plattform dafür. Es wird jetzt eben nicht mehr einfach weggelächelt. Und Frauen werden natürlich auch mutiger, wenn sie sehen, dass andere sich stark machen."

Zuvor hatten bereits andere ehemalige und aktive Spielerinnen in einem Bericht von NDR und "Süddeutscher Zeitung" sexistische und herabwürdigende Kommentare angeprangert, die noch immer zum Alltag gehörten. Der Kampf um Akzeptanz und Anerkennung scheint noch nicht gewonnen, die Chancen könnten sich durch die erfolgreiche EM aber deutlich verbessert haben.

Rekorde überall: Tore, Titel, Siege

Der Treffer der eingewechselten Engländerin Ella Toone zum 1:0 im EM-Finale gegen Deutschland war das 500. Tor bei einer Fußball-EM-Endrunde der Frauen. Das letzte runde Jubiläum hatte Danielle van de Donk gefeiert: Die Niederländerin erzielte im Halbfinale 2017 gegen England das 400. Tor in der Geschichte der Europameisterschaften.

England oder Deutschland - wer gewinnt die EM 2022? Diese Frage war vor dem Endspiel auch für die Statistik interessant. Denn während Deutschland schon acht Titelgewinne verbuchen konnte, gelang England vor 2022 noch keiner. Dieses Manko beseitigten die "Lionesses" am 31. Juli 2022 mit dem 2:1-Erfolg nach Verlängerung im "Traumfinale" gegen den Rekord-Titelträger.

EM-Turniersiege insgesamt
Titelgewinne Nation
8 Deutschland
2 Norwegen
1 England
1 Niederlande
1 Schweden
EM-Finalteilnahmen insgesamt
Finalspiele Nation
9 Deutschland
6 Norwegen
4 Schweden
3 England
2 Italien
1 Dänemark
1 Niederlande

Trainer-Triumphe: Wiegman schafft's zum zweiten Mal

Sarina Wiegman ist die erste Nicht-Deutsche, die zum zweiten Mal den EM-Titel als Trainerin gewinnen konnte. Sie ist zudem die erste, die mit zwei unterschiedlichen Nationen triumphierte: 2017 war die Niederländerin mit ihrem Heimatland Europameister geworden, fünf Jahre später mit den Engländerinnen.

Die meisten Titel als Trainer
Titelgewinne Trainer
3 Gero Bisanz (Deutschland)
3 Tina Theune (Deutschland)
2 Silvia Neid (Deutschland)
2 Sarina Wiegman (Niederlande/England)

Die meisten Turniertore

Beth Mead und Alex Popp trafen während der EM bis zum Endspiel in Wembley sechs Mal. Im Finale konnte die Engländerin kein Tor nachlegen, die DFB-Kapitänin fehlte verletzt. Es bleibt also dabei: Sieben Treffer bei einer Endrunde hat bisher keine Spielerin erzielt.

Beth Mead nach dem Spiel gegen Spanien

Beth Mead gewann den Titel der Torschützenkönigin, da sie zu ihren Treffern noch fünf Torvorlagen gab.

Die besten Turnier-Torschützinnen
Tore Name Nation/Turnier
6 Alexandra Popp Deutschland/2022
6 Inka Grings Deutschland 2009
6 Beth Mead England 2022
5 Lotta Schelin Schweden 2013
5 Jodie Taylor England 2017

Die meisten EM-Tore insgesamt

Treffsicherste Nation bei allen bisher ausgetragenen EM-Turnieren ist Deutschland. Alex Popp markierte im Halbfinale beim 2:1 über Frankreich mit dem 1:0 das 100. Turniertor für eine DFB-Elf.

Turniertore insgesamt
Tore Nation
102 Deutschland
72 Schweden
62 England
51 Norwegen
39 Frankreich
38 Italien
33 Dänemark

Dieses Thema im Programm: Das Erste | Sportschau | 31.07.2022 | 17:30 Uhr