Motorsport | Formel 1 Formel 1 in Saudi Arabien: Zwischen Superlativen und Kritik

Stand: 01.12.2021 21:01 Uhr

Die Formel-1-Welt schaut nach Saudi Arabien, das ist ganz im Sinn der Ausrichter dieses Grand Prix. Der neue Kurs sieht grandios aus, doch der Vorwurf des "Sportswashings" fährt mit.

Dass die Formel 1 eine sehr nützlicher und finanziell attraktiver Anker für übergeordnete Interessen sein kann, hat Alfa Romeo gerade erst bei der Verpflichtung des chinesischen Piloten Guanyu Zhou ganz offen zugegeben. Natürlich sei auch der Fahrer sportlich hochqualifiziert, aber die sich mit Zhou eröffnenden Marktchancen für den Absatz von Autos in China klangen aus jedem Statement des Rennstalls mindestens genauso deutlich durch wie der Glaube an das Talent des 22-Jährigen.

Beim Großen Preis der Königsklasse ab Freitag (03.12.2021) in Dschidda in Saudi Arabien (alle Sessions und das Rennen am Sonntag im Liveticker bei sportschau.de), dem vorletzten Rennen dieser Saison und möglicherweise schon Showdown im Titelkampf, geht es ebenfalls um viele Schauplätze neben der Strecke.

Saudi Arabien drängt in den Spitzensport

Saudi Arabien will sich mit dem erstmals im Rennkalender aufgenommenen Grand Prix - das hat das Land nicht exklusiv - von seiner besten Seite zeigen. Es ist die konsequente Fortsetzung einer Politik, die mit sehr viel Geld sehr viel Spitzensport angelockt hat: Tennisturniere, Golf, Box-Veranstaltungen oder Snooker gehörten in der jüngeren Vergangenheit dazu.

Scharfe Kritik von Amnesty International

In die Premier League ist Saudi Arabien ebenfalls gerade eingestiegen: Der Staatsfond PIF ist neuer Mehrheitseigner von Newcastle United.

Amnesty International  kritisiert, dass die Menschenrechte in Saudi-Arabien weiterhin extrem eingeschränkt sind. Abweichler, Frauenrechtler, Journalisten und selbst Verwandte von Aktivisten werden eingeschüchtert, willkürlich verhaftet und verurteilt, Dutzende hingerichtet, berichtet die Menschenrechtsorganisation.

Das Formel-1-Spektakel sei daher analog zum "Greenwashing", bei dem Umweltschutz vorgegaukelt wird, "Sportswashing". Helfen würden laut Amnesty dabei auch die Sportler, Sponsoren und beteiligte Popstars, die beim Grand Prix auftreten.

Die Gastgeber weisen das zurück. Prinz Chalid bin Sultan al-Faisal, als Präsident des örtlichen Motorsportverbands auch verantwortlich für die Austragung des Grand Prix, sagte britischen Medien zuletzt, man habe "nichts zu verbergen" und wünsche sich, dass "die Menschen kommen und sehen, wer wir wirklich sind."

Mord an Kashoggi vor drei Jahren

Aber wer sind sie wirklich und wie soll man das bei einem Autorennen herausfinden? Jahrelang in den internationalen Schlagzeilen war Saudi Arabien zuletzt nach dem Mord an Jamal Khashoggi am 2. Oktober 2018. Der regierungskritischer Journalist war im saudischen Konsulat in Istanbul von einem 15-köpfigen Spezialkommando aus Riad getötet worden. Seine Leiche wurde zerstückelt.

Die Führung des islamisch-konservativen Königreichs, vor allem Kronprinz Mohammed bin Salman, den Kashoggi zuvor mehrfach in seiner Berichterstattung kritisiert hatte, war danach weltweit scharfer Kritik ausgesetzt. Der Kronprinz soll direkte Verbindungen zu den Mördern Kashoggis gehabt haben.

Bin Salman gilt als heimlicher Herrscher Saudi Arabiens. In seinem Reich wird nun Formel 1 gefahren, laut Vertrag für die kommenden zehn Jahre. 900 Millionen US-Dollar soll die Antrittsprämie betragen haben, im März 2022 ist die Strecke erneut Teil des Jahreskalenders.

Gebaut von den Tilkes

Rein sportlich gesehen wird es spektakulär und extrem schnell - was normalerweise dem Mercedes-Team mit Weltmeister Lewis Hamilton besser liegt als dem in der Gesamtwertung mit acht Punkten führenden Max Verstappen im Red Bull. Die Strecke ist die frischste der Szene, sie ist erst in letzter Sekunde fertiggestellt worden. Fahrerlager und Boxengasse waren in der vergangenen Woche noch im Bau.

Der Vollgasanteil ist rekordverdächtig und mit angeblich knapp 78 Prozent noch etwas höher als bei den Highspeedstrecken in Spa und Monza. Die Durchschnittsgeschwindigkeit soll bei rund 250 Stundenkilometern liegen, was am Sonntag ab 18.30 Uhr zu bestaunen sein wird.

Auffällig ist beim Layout der 6,175 Kilometer langen Strecke, die mal wieder vom Aachener Architekten Hermann Tilke und seinem Sohn Carsten entworfen wurde, die sehr schmale und längliche Ausrichtung mit nur zwei wirklich langsamen Haarnadel-Kurven ganz rechts und ganz links.

Dazwischen gehen die Fahrer, die bisher nur im Simulator üben konnten, auf den elf Rechts- und 16 Linkskurven so gut wie kaum vom Gas. Überholen soll an drei Stellen sehr gut möglich sein - das war die ausdrückliche Anforderung an Familie Tilke.

Vorbei an der "Schwimmenden Moschee"

Einen Blick für die Szenerie abseits der Strecke werden die Fahrer kaum übrig haben, was sehr schade ist. Denn es geht entlang der Küste des Roten Meeres und an der Al-Rahma-Moschee vorbei. Die sogenannte "Schwimmende Moschee" ist das Wahrzeichen der Stadt und steht auf weißen Stützpfeilern.

Lewis Hamilton kennt die Kritik an Saudi Arabien natürlich und will das Rennen zu einer erneuten Demonstration nutzen. Wie schon in Katar fährt der siebenmalige Titelträger mit seinem neuen Helm in Regenbogen-Farben. Hamilton hat bereits erklärt, damit die LGBTQI+-Community auf der Arabischen Halbinsel unterstützen zu wollen.