Formel 1 Hamilton-Sieg in Brasilien: Comeback eines Weltmeisters

Stand: 15.11.2021 11:00 Uhr

Nach dem grandiosen Comeback von Lewis Hamilton beim GP in Brasilien erscheint die Formel-1-WM wieder völlig offen. Das Duell mit Max Verstappen wird womöglich erst beim Saisonfinale entschieden, so wie einst zwischen Ayrton Senna und Alain Prost.

Die Formel 1 steuert drei Rennen vor Schluss weiter auf das spannendste Saisonfinale seit Jahren zu. Dank des unerwarteten Comebacks von Lewis Hamilton, der beim Großen Preis von Brasilien im Duell mit dem WM-Führenden Max Verstappen eindrucksvoll zurückschlug und nach seinem Sieg überschwänglich gefeiert wurde, vor allem in der Heimat. "Absolut überwältigend. Eine der besten Leistungen, die ich jemals in der Formel 1 gesehen habe, von irgendeinem Fahrer", schrieb der frühere Weltmeister Damon Hill bei Twitter.

Hamilton: "Vielleicht das beste Wochenende meiner Karriere"

Hamilton sprach nach der mitreißenden Aufholjagd, die ihn von Startplatz zehn zum Sieg in São Paulo führte, von der größten Herausforderung, die er in seiner Karriere zu bewältigen hatte. "Was die Fahrleistung angeht, war es vielleicht das beste Wochenende meiner Karriere", sagte Hamilton. Auch der sonst eher zurückhaltende "Guardian" bescheinigte dem Briten ein "Weltmeisterrennen".

Jagd auf Verstappen - nur noch 14 Punkte Rückstand

Nur noch einmal zur Erinnerung: Hamilton hat am Sonntagabend (14.11.2021) auf dem Kurs in Interlagos nicht etwa schon seinen achten WM-Titel eingefahren. Der Rückstand auf Verstappen beträgt 14 Punkte. Aber die Art und Weise, wie der vor dem Start fast schon abgeschriebene Hamilton zurückkam, gab bei Mercedes allen Anlass zu hoffen, dass der Weltmeister am Ende womöglich doch noch triumphieren könnte. Nur eine Woche nachdem Verstappen in Mexiko einen überlegenen und für Mercedes demütigenden Sieg herausgefahren hatte, der schon ziemlich nach einer Vorentscheidung aussah.

Hamilton-Comeback trotz Strafen

Die 19 Punkte Rückstand, die Hamilton mit nach São Paulo brachte, waren nach einer Qualifying-Strafe vor dem Rennen sogar auf 21 Punkte angewachsen. Wegen eines regelwidrig eingestuften Motorenwechsels wurde Hamilton auch in der Startaufstellung nach hinten versetzt.

Das Rennen fuhr Hamilton dann, als wäre es wirklich seine letzte Chance. Der Brite rollte das Feld von hinten auf und ließ am Ende auch Verstappen hinter sich, nachdem er seinen Rivalen zum Teil über die Streckenbegrenzung hinaus gejagt hatte. Zusätzlich angestachelt wurde Hamiltons Kampfgeist wohl auch dadurch, dass das Wochenende in Brasilien einmal mehr von gegenseitigen Verdächtigungen, Anschwärzereien und Diskussionen über Strafen geprägt war.

Materialkrieg und Psychospielchen auch in Interlagos

Der Materialkrieg zwischen den beiden führenden Teams, der sich schon durch die komplette Saison zieht, setzte sich auch in São Paulo fort. Mercedes fühlte sich nach der zweifachen Strafe gegen Hamilton ungerecht behandelt, verzichtete aber auf einen Einspruch bei der Rennleitung, auch dies Teil der Psycho-Spielchen: "Sie sind gegen uns. Aber diese Entscheidungen machen uns als Team nur stärker. So ist die Stimmung bei uns in der Garage", sagte Mercedes-Teamchef Toto Wolff, der schon länger den Trash-Talker gibt. Auch mit gezielten Provokationen gegen sein Gegenüber Christian Horner, der sich anschickt, mit Red Bull auch in der Konstrukteurswertung die siebenjährige Mercedes-Dominanz zu brechen.

Siegesgewissheit bei Verstappen und Red Bull verflogen

Bei Red Bull ist die Siegesgewissheit fürs Erste jedenfalls dahin. Verstappen, der in Mexiko noch sicher wie auf Schienen den Sieg herausgefahren hatte, schlich in São Paulo um den Mercedes-Heckflügel herum wie ein misstrauischer Verkehrspolizist. Dafür kassierte er 50.000 Euro Geldstrafe, weil er wohl verbotenerweise den Wagen des Konkurrenten berührt hatte: "Ich hoffe, sie haben ein schönes Dinner und trinken viel guten, teuren Wein", kommentierte Verstappen das Urteil - und klang dabei wieder mehr wie der alte arrogante Heißsporn als wie ein nervenstarker, souveräner WM-Spitzenreiter.

Käme Verstappen im nächsten Rennen bei einem weiteren Sieg Hamiltons nur als Dritter ins Ziel, wäre die Führung futsch. Die Entscheidung über den Titel fällt nun in den drei ausstehenden Wüstenrennen in Katar, Saudi-Arabien und Abu Dhabi - alles Strecken, deren Profil dem Red-Bull-Team erst einmal keine klaren Vorteile bietet, im Gegensatz zu den beiden vorangegangenen Kursen.

Zu denken geben dürfte Red Bull, dass der neu eingesetzte Mercedes-Motor sich schon in São Paulo als überlegen präsentierte, vor allem im Speed-Duell auf den Geraden. Red- Bull-Teamchef Horner sprach im Anschluss von Schadensbegrenzung: "Es wird hart, gegen sie Rennen zu fahren. Wenn das so weitergeht, wird es schwierig." Bemerkenswert war, dass dieser Satz, mit sehr ähnlichem Wortlaut, schon in der vergangenen Woche beim Rennen in Mexiko gefallen war - allerdings von Lewis Hamilton, der die Überlegenheit von Verstappens Auto einräumte.

Erinnerungen an Prost gegen Senna

Das Rennen um den Titel ist nun also wieder offen. Und womöglich kommt es im Saisonfinale zu einem Showdown wie 1990 zwischen Alain Prost und Ayrton Senna, den viele Experten und Beobachter schon mehrmals in Erinnerung gerufen haben: Prost und Senna lieferten sich vor 30 Jahren ein ähnlich erbittertes Duell wie nun Hamilton und sein niederländischer Herausforderer.

Der seinerzeit WM-Führende Senna sicherte sich am Ende durch einen wohl absichtlich herbeigeführten Crash mit seinem Rivalen in Suzuka den Titel. Ein solches Szenario hatte auch Mercedes-Sportchef Wolff für das letzte Rennen in Abu Dhabi prophezeit. Es bleibt wohl spannend bis zum Schluss.