Tischtennis | Sportpolitik Dimitrij Ovtcharov über den Krieg: "Mussten klar Stellung beziehen"

Stand: 26.04.2022 14:00 Uhr

Kaum ein anderer deutscher Spitzensportler ist privat dermaßen vom russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine berührt wie Dimitrij Ovtcharov. Nun sprach der Tischtennis-Star über die Rettung seiner Oma, den Zwiespalt wegen seines Vaters und den Ausschluss russischer Sportler.

Er wurde in Kiew geboren. Seine Großmutter lebte noch in den ersten Kriegstagen in der ukrainischen Hauptstadt. Er spielte mehr als elf Jahre für den besten russischen Klub. Sein Vater war früher sowjetischer Meister.

Erst die Familie, dann der Sport

Der völkerrechtswidrige Angriff auf die Ukraine trifft Dimitrij Ovtcharov auch in seinem engsten Kreis. In den vergangenen Wochen half er, seine Großmutter aus dem umkämpften Kiew nach Deutschland zu holen und auch anderen Kriegsflüchtlingen in seinem Lebensmittelpunkt Düsseldorf eine Wohnung zu organisieren.

"Erst mal habe ich tagelang an Tischtennis überhaupt nicht denken können. Die Zeit war aufreibend", sagte der Olympia-Dritte von Tokio 2020. In Interviews der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" und der "Süddeutschen Zeitung" hat er nun - abgesehen von einem Instagram-Post - zum ersten Mal öffentlich darüber gesprochen.

Ovtcharovs Priorität war klar: erst die Familie, dann die sportliche Zukunft. Seine 85-jährige Großmutter habe in Kiew "zwei-, dreimal selbst probiert, in den Zug am Hauptbahnhof zu steigen. Da waren ja Tausende von Menschen dort, das Gedränge war riesengroß, sie schaffte es einfach nicht hinein", erzählte er der "FAZ".

"Jetzt geht es nicht mehr"

Später habe "ein alter Tischtennis-Freund meines Vaters" angerufen, der seine Familie ins Ausland bringen wollte. "Er selbst musste in der Ukraine bleiben und das Land verteidigen. Er bat meinen Papa, ihm bei der Wohnungssuche und den Behördengängen zu helfen, weil niemand in der Familie Deutsch spricht. Im Gegenzug nahm der Freund meine Oma mit."

Erst als sie in Sicherheit war, kündigte der 33 Jahre alte Ovtcharov seinen Vertrag mit dem russischen Spitzenklub Fakel Orenburg, mit dem er seit 2010 vier Mal die Champions League gewann und der von dem russischen Energie-Unternehmen Gazprom gesponsort wird. "Am ersten Tag des Krieges war uns klar: Jetzt geht es nicht mehr. Obwohl die Menschen im Verein nichts mit dem Krieg zu tun haben, mussten wir klar Stellung beziehen", sagte der Weltklasse-Spieler der "SZ".

Doch insbesondere für jemanden mit Ovtcharovs Familiengeschichte verläuft die Trennlinie nicht einfach zwischen Russen und Ukrainern. Sein Vater spielte noch für den Staat, dem Russen, Ukrainer und auch Belarusen bis 1991 zusammen angehörten. "Er war Nationalspieler für die Sowjetunion. Und egal ob ich in der russischen Liga gespielt oder bei Turnieren ukrainische Funktionäre getroffen habe, alle wollten immer wissen, wie es meinem Vater geht", erzählte Ovtcharov.

Russische Kollegen beim neuen Klub

Einer seiner engsten Freunde ist der dreimalige Europameister Wladimir Samsonow aus Belarus, das in diesem Krieg die Russen unterstützt ("Wir telefonieren regelmäßig. Er ist sehr traurig.") Und wenn Ovtcharov in diesem Sommer zum TTC Neu-Ulm nach Deutschland zurückkehrt, wird er zusammen mit den russischen Nationalspielern Lev Katsman, Wladimir Sidorenko und Maksim Grebnew in einem Klub spielen und beim russischen Trainer Dimitri Masunow trainieren.

Ovtcharovs Credo ist: "Ich hätte nur ein Problem damit, wenn sie den Krieg befürworten würden. Dann könnte ich nicht mit ihnen spielen. Aber das gilt für alle Spieler, ganz egal, aus welchem Land sie kommen: Sie müssen sich von dem russischen Krieg klar distanzieren."

"Traurig und ungerecht"

Aus diesem Grund kritisiert der frühere Weltranglisten-Erste auch, dass russische und belarusische Sportlerinnen, Sportler und Teams pauschal von Wettbewerben wie der Fußball-WM oder dem Tennisturnier in Wimbledon ausgeschlossen werden. Der russische Tennisprofi Andrej Rublew habe den Krieg "schon am ersten Tag klar verurteilt".

Es sei dann "traurig und ungerecht für Einzelsportler wie ihn, die ihren Beruf nur deshalb nicht ausüben können, weil sie den falschen Pass besitzen. Am Ende ist Sport nur Sport. Die Athleten können nichts dafür."