Vertrauensfrage im DOSB - das kann weitreichende Folgen haben

Stand: 11.06.2021 11:51 Uhr

Die DOSB-Chefetage um Präsident Alfons Hörmann hat mit der Ankündigung der Vertrauensabstimmung zumindest in Teilen der Empfehlung der Ethikkommission entsprochen. Das kann weitreichende Folgen haben - nicht nur für Funktionäre. Sportschau.de erklärt, wie es nun weitergeht.

Im Spätsommer - nach den Olympischen und Paralympischen Spielen in Tokio (23. Juli bis 5. September) - wird es auf Beschluss der Führungsetage zu einer außerordentlichen Mitgliederversammlung des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) kommen.

Dann werden Präsident Hörmann und seine Präsidiumskolleginnen und -kollegen die Vertrauensfrage stellen. Auslöser der DOSB-Krise war ein anonymer Brief mit schweren Vorwürfen ob des Führungsstils ("Kultur der Angst") Hörmanns, der durch die Untersuchung der Ethikkommission aber bereits "einige der erhobenen Vorwürfe entkräftet" sieht.

Was bedeutet "Vertrauensfrage" beim DOSB?

Allgemein ist die Vertrauensfrage ein Instrument, das etwa von der Führung einer Organisation oder eines Landes eingesetzt werden kann. Damit überprüft im hier vorliegenden Fall das Präsidium des DOSB, ob es noch die Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder hat.

Die Vertrauensfrage kommt aus der Politik. Im Gegensatz zum Misstrauensvotum, das zum Beispiel auf Länderebene durch einen Antrag des Parlaments initiiert wird, ist charakteristisch für die Vertrauensfrage, dass die Führungsperson die Initiative ergreift. Beim DOSB traf dies jetzt nur eingeschränkt zu - denn die Ethikkommission empfahl Hörmann und dem Präsidium die Vertrauensfrage dringend.

Was bedeutet die Abstimmung für die Führung?

Das Gremium um den ehemaligen Bundesinnenminister Thomas de Maizière mahnte im Zuge dessen allerdings auch "vorgezogene Neuwahlen für das gesamte Präsidium" an, von denen nun im Schreiben der Verbandsspitze noch keine Rede war. Regulär stünden erst 2022 die Wahlen an. Die beiden möglichen Zwecke der Vertrauensfrage: die eigene Macht stabilisieren oder eben doch Neuwahlen herbeiführen, je nach Ausgang.

Das Drängen Hörmanns auf einen schnellen Vertrauenstest nach dem 5. September muss vor dem Hintergrund gesehen werden, dass es durchaus fraglich ist, ob sich in dieser recht kurzen Zeit eine schlagkräftige Opposition formieren kann. Geht das Votum pro Hörmann aus, wären Neuwahlen erst einmal vom Tisch.

Welche Folgen kann ein negatives Urteil haben?

Auch den DOSB-Vorstand und die Kommissionen betrifft dieses Votum indirekt. Denn der fünfköpfige Vorstand wird vom Präsidium bestellt. Der Vorstand wiederum ernennt acht von neun Kommissionen - nur die Athletenkommission wird von der Vollversammlung der Sportlerinnen und Sportler gewählt.

Ein möglicher Machtwechsel hätte somit auch weitreichende Folgen beispielsweise für die Ausrichtung des Jugendsports, aber auch für die Trainerinnen und Trainer in Deutschland. Denn der Vorstand ist das Ausführungsorgan des Präsidiums.

Wer hat wie viel Einfluss?

Stimmberechtigt sind die 100 Mitgliedsverbände des DOSB. Dazu gehören 39 olympische (z.B. Schwimmen) und 27 nichtolympische Spitzenverbände (z.B. American Football).

Außerdem gehören die 16 Landessportbünde sowie 19 Verbände mit besonderen Aufgaben (z.B. DJK oder Makkabi) dazu. Darin sind etwa 90.000 Vereine in Deutschland organisiert. 15 von der Mitgliederversammlung gewählte persönliche Mitglieder dürfen ebenfalls abstimmen.

Mächtig sind hier neben den olympischen Spitzenverbänden (263 Stimmen) auch die Landessportbünde (173) mit insgesamt über 24 Millionen Mitgliedschaften. Denn die Stimmen sind gewichtet je nach Größe der Mitgliedsorganisationen.

Während Organisationen bis 100.000 Mitglieder nur eine Stimme bekommen, haben Organisationen mit bis zu einer Million Mitglieder fünf Stimmen. Jede weitere angefangene Million bringt eine weitere Stimme.

Wo sind Hörmanns Gegner zu finden?

Der NRW-Sportbund hat mit etwa fünf Millionen Mitgliedern also schon als Basis neun Stimmen - plus sechs zusätzliche, die die größten acht Landessportbünde bekommen.

Ausgerechnet in NRW findet sich in Präsident Stefan Klett ein Gegner Hörmanns, der ihn zuletzt zum Rücktritt aufforderte. Auch Basketball-Präsident und Sprecher der Spitzenverbände Ingo Weiss betonte, man werde bei der Versammlung "Tacheles reden".

Wie sehen die Reaktionen aus?

"Eiskaltes Kalkül" vermutete Dagmar Freitag hinter der Entscheidung des DOSB, in der Führungskrise von der Empfehlung der Ethikkommission abzuweichen. Für die Vorsitzende im Sportausschuss des Bundestages steht fest: Hörmann und Co. denken gar nicht daran, "das eigene Verhalten ernsthaft zu hinterfragen".

Freitag bewertet die Vertrauensfrage an Stelle von Neuwahlen als eine "demonstrative Missachtung des Votums der Ethikkommission".

Auch der unabhängige Verein Athleten Deutschland ist nicht einverstanden mit dem Vorgehen des DOSB. "Aus unserer Sicht ist es geboten, den Empfehlungen der Ethikkommission strikt zu folgen - alleine schon, um die Glaubwürdigkeit der Ethikkommission nicht zu gefährden", hieß es in einer Stellungnahme