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Sportpolitik | DOSB DOSB: Große Herausforderungen für die neue Führung

Stand: 21.09.2021 18:00 Uhr

Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) steckt in der größten Krise seit seiner Gründung 2006. Nun soll eine Findungskommission unter Führung des Ex-Bundespräsidenten Christian Wulff einen honorigen Menschen als geeigneten Kandidaten oder Kandidatin für das DOSB-Präsidenten-Amt finden. Der Mann oder die Frau an der Spitze muss nicht nur die Einheit des Sports wieder herstellen, sondern auch den bedeutenden Imageschaden beheben, der im Laufe der Jahre in der Öffentlichkeit angerichtet wurde.

Drei Arbeitsgemeinschaften mit den Aufgaben Inhalt, Struktur und Personal, in denen Vertreter der DOSB-Mitgliedsorganisationen sitzen, mühen sich nun seit einem Vierteljahr um einen Neuanfang des organisierten Sports und seiner Dachorganisation. Ihre nun vorliegenden Berichte sind nicht nur eine Analyse des Ist-Zustandes, sondern zeigen schonungslos Fehler und Versäumnisse der Vergangenheit auf. Am Ende steht nun ein Zwölf-Punkte Plan, der den DOSB in eine neue Zukunft führen soll.

Neuer Fokus auf alte Themen

Ingo Weiss, Sprecher der Spitzenverbände, Basketball-Präsident und einer der Koordinatoren des geplanten Neuanfangs, möchte nicht in die Vergangenheit schauen, sondern zukunftsorientiert sein, wie er am Dienstag (21.09.2021) bei einer Online-Pressekonferenz betonte. Doch für einen Neustart muss man auch den Blick in die Vergangenheit richten.

Auf der Liste der Themen, die nun in den Fokus rücken sollen, stehen Kinder-, Jugend- und Schulsport. Oder Talentsichtung in den Vereinen. Oder Digitalisierung. Oder der Schutz vor Gewalt im Sport. Themen, die man eigentlich schon seit Jahrzehnten angeblich im Blick hat, aber um die man sich dann offenbar doch nicht so intensiv gekümmert hat.

Erst auf Nachfrage, warum eigentlich die Mitgliedsorganisationen nicht früher auf erkennbare Fehlentwicklungen reagiert haben, räumte Weiss "Versäumnisse der Verbände" ein. Wobei er hauptsächlich wohl von den Spitzenverbänden sprach, die sich ungern die Gunst der DOSB-Führung verderben wollten. Anders als die Landessportbünde, deren Vertreter immer mal wieder ihre Unzufriedenheit über den DOSB-Kurs laut artikuliert haben.

DOSB künftig als Koordinator?

So spülte erst die Pandemie das Interesse an Kindern und Jugendlichen im Sport plötzlich wieder nach oben, obwohl in den vergangenen Jahren gerade dort Probleme deutlich wurden: Nicht nur der demographische Faktor zwang Vereine schon vorher zu Fusionen, wenn sie denn überleben und noch Teams in den Ligabetrieb schicken wollten.

Ganztagsschulen, berufstätige Eltern in flexiblen und ständig verfügbaren Arbeitsprozessen - alles das hat auch auf die sportlichen Aktivitäten von Kindern, Jugendlichen und deren Familien einen erheblichen Einfluss gehabt. Eine angemessene Reaktion des DOSB auf diese gesellschaftlichen Entwicklungen war aber nicht zu erkennen. Die Landessportbünde und manche Einzelverbände haben dagegen nicht nur reagiert, sondern auch agiert.

Insgesamt scheint der DOSB, zumindest auf der Führungsebene, von diesen Entwicklungen überfordert (gewesen) zu sein. Die Empfehlungen der AG Inhalt lassen sich nun dahingehend lesen, dass man den Gestaltungsanspruch des DOSB beschränken solle. Der Dachverband würde dann künftig eher eine koordinierende Rolle übernehmen.

Gesellschaftspolitisch im Schlafwagen

So schlägt sich der Sport mit alten Problemen herum, während neue Aufgaben eigentlich schon längst angegangen sein müssten: etwa die Klimakrise. Sie ist für manchen Sportverband Herausforderung und Überlebensfrage zugleich.

In den siebziger und achtziger Jahren war der Deutsche Sportbund in Umweltfragen ein Vorreiter. Jetzt ist er ein Trend-Follower, der ohne Nachhaltigkeit auf öffentliche Debatten aufspringt. Dabei gibt es im durchaus DOSB Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Antworten auf aktuelle Probleme hätten, wenn man sie den ließe.

Gleichzeitig wächst der nicht organisierte Sport. Welche Rolle hat dieser in dem vom scheidenden DOSB-Präsidenten Alfons Hörmann propagiertem Sportdeutschland? Auch darauf gibt es keine überzeugende Antwort. Gesellschaftspolitisch sitzt der DOSB mittlerweile im Schlafwagenabteil.

Jörg Ammon, Präsident des Bayerischen Sportverbandes (BLSV) und Sprecher der Landessportbünde, weiß, dass der deutsche Sport insgesamt, und der DOSB im Besonderen, in Ex- und Implosionsgefahr ist. "Wir haben ein gemeinsames Ziel, das heißt Sport für alle, und darauf arbeiten wir hin", sagte er erst kürzlich.

Es knirscht und kracht hinter den Kulissen

Ammon betont nun besonders die gute und partnerschaftliche Zusammenarbeit in den AGs, beschwört immer wieder die Einheit des Sports und versucht, nicht nur über Transparenz zu reden, sondern sie auch sichtbar zu machen. Auch wenn er die Frage nach der künftigen Gewichtung von Breiten- und Spitzensport dann salomonisch irgendwie umschifft, indem er erklärt, dass beide unverzichtbare Säulen des Sports sind.

Die öffentliche Harmonie kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es hinter den Kulissen immer wieder knirscht und kracht. Ärger soll es auch um die zu lange "Geheimhaltung" der Namensliste für die Findungskommission gegeben haben. Deshalb kommt Punkt fünf im Bericht der AG-Empfehlungen "Mehr und verbindlicher mit den Mitgliedern kommunizieren" sicher gut bei den internen Kritikern an.

Von der Mitgliederversammlung müsse ein Zeichen des Aufbruchs ausgehen, forderte Uwe Tronnier, der Barbara Oettinger, Sprecherin der Verbände mit besonderen Aufgaben, am Mittwoch vertrat. Ob das gelingt? Nun müssen erst mal die Papiere der Arbeitsgemeinschaften von den Mitgliedsorganisationen durchgearbeitet werden. Am 23. Oktober sollen sie nach einer Diskussion mit den Mitgliedsverbänden finalisiert werden.

Deadline für die Präsidiumsmitglieder

Eine Deadline - letzte Oktoberwoche/Anfang November - gibt es auch für die Präsidiumsmitglieder, die immer noch nicht erklärt haben, ob sie zurücktreten, auf ihren Stühlen sitzen bleiben oder kandidieren wollen. In der Zwischenzeit werden die Präsidenten-Anwärter und Anwärterinnen gesucht. Es könnte eine Short- oder eine Longlist geben - je nachdem, wie erfolgreich die Findungskommission sein wird. Am 4. Dezember, dem Tag der Mitgliederversammlung in Weimar, könnte dann sogar auch noch der eine oder andere Überraschungskandidat aus den Kulissen treten.

Die AGs haben auch die Abschaffung des Ressortprinzips im Präsidium vorgeschlagen. Das heißt, jeder im Präsidium ist dann für alles zuständig. Dafür braucht es eine Satzungsänderung. Ob das alles den deutschen Sport voranbringt? Viele im Sport haben da ihre Zweifel. Ein Verbandspräsident sagte vor einigen Tagen: "Wir wissen ja gar nicht, wo wir wirklich hin wollen."