Die deutsche Weitspringerin Malaika Mihambo bei der WM in Eugene, Oregon

Busemanns WM-Kolumne Mihambo und der Fokus auf die eigenen Fähigkeiten

Stand: 24.07.2022 06:46 Uhr

Der Fokus auf sich selbst und die eigenen Fähigkeiten, darauf kommt es im Leistungssport an, weiß ARD-Leichtathletik-Experte Frank Busemann. Die Staffel-Mädels haben gezeigt, wie es geht und die erste Medaille geholt. Die nächste könnte durch Malaika Mihambo folgen - dem "Fokus-Prototypen".

Von Frank Busemann

Sie sah, sie kam und qualifizierte sich. So einfach kann das sein. Malaika Mihambo musste liefern und tat das mit Bravour. Genau so wie Julian Weber. Auch er brauchte in der Qualifikation nur einen Versuch. Diese beiden haben aber auch einen Puffer. Mihambo machte einen Sicherheitssprung auf 6,84 Meter. Weber einen guten Wurf auf 87,28 Meter. Das ist so ein Selbstverständnis, das wir brauchen. Bei sich sein und zeigen, was geht. Das geht aber nur, wenn man sich seiner Sache sicher ist und davon überzeugt ist, dass es auch klappt.

Eine Mihambo will immer gewinnen

Mihambo wurde gefragt, ob sie diesen Druck spüre, dass sie es eigentlich richten muss und die Erwartungen einer ganzen Mannschaft auf sich vereint. Druck spüren Athletinnen und Athleten oft selbst. Den machen sie sich auch. Eine Mihambo will immer gewinnen. Bo Kanda Lita Baehre meint, es bringe aber nichts, aufgeregt zu sein. Stimmt. Mit flatterndem Hemd ist schlecht Leistungssport zu machen. Deshalb richtete er all sein Können nach innen, überflog die Quali-Höhe und schrie seine Erleichterung nach außen.

Weber: Wenn man mehr kann, aber irgendwie nicht darf

Im Speerwurf-Finale ging auf einmal die Flatter der Panik durch deutsche Fan-Herzen. Julian Weber fasste sich beim Einwerfen an den Rücken. Und fing an, sich zu verrenken, um sich einzurenken. Er machte einen Wurf nach dem anderen. In der Hoffnung, dass es vielleicht einen Re-Knack gibt und alles wieder gut ist. Doch weit gefehlt. Die Form seines Lebens wurde durch einen kleinen gesundheitlichen Streich zunichte gemacht. Wieder Platz vier, wie in Tokio im vergangenen Jahr. Trotzdem Platz vier. Wahnsinn. Wahnsinnig traurig. Wenn man mehr kann, aber irgendwie nicht darf.

Ach, wie ist das schön - die erste Medaille

Dafür gab es Bronze für die Frauen-Staffel. Da ist die erste Medaille. Ach, wie ist das schön. So oft waren sie Vierte oder Fünfte. So oft haben sie gehofft, da vorne mit reinzulaufen. Nie hat es geklappt. Immer war es knapp. Aber jetzt. Auch bei den Damen hörte man im Vorfeld Zuversicht und Freude. Und eine gute Form. Manchmal muss man einfach geduldig sein - und wird belohnt.

Wie trubelig und hektisch Staffel-Rennen sein können, haben wir am vorletzten WM-Tag wieder erlebt. Mit Volldampf durchs Gewusel auf den Vordermann oder die Vorderfrau laufen, den Abstand einschätzen, ein kurzer Schrei, die Hand finden. In Bruchteilen von Sekunden. Viel Ablenkung bei vollkommener Konzentration. Nur so geht's.

Ist jetzt der Knoten geplatzt?

Dem ein oder anderen scheint der Geduldsfaden schon gerissen zu sein, aber jetzt könnte es doch wie am Schnürchen laufen. Allein die Möglichkeiten fehlen. Einen Tag haben wir noch. Wir erinnern uns gern an Mihambos WM-Titel von Doha. Im dritten Versuch pulverisierte sie die Konkurrenz. Wir erinnern uns gern an die Olympischen Spiele. Im letzten Versuch gewann sie die Konkurrenz. Die weiß, wie sich Druck anfühlt. Und kann damit umgehen.

"Ich habe keinen Zwang mehr, irgendetwas zu beweisen"

Sportschau, 12.07.2022 14:23 Uhr

Es liegt in der Natur des Leistungssports, dass es auch in die Hose gehen kann. Na, und? Dann ist es halt dieses Mal nicht so gut gelaufen. Wenn sie vor dem inneren Auge immer sehen würde, was sie alles verlieren könnte, dann wird es auch so kommen. Das sagte sie auch: Sie muss sich und anderen nichts mehr beweisen. Sie weiß, dass im Finale alles wieder bei Null anfängt. Das haben wir in den vergangenen Tagen allzu oft gesehen. Selbst Weltrekordweiten im Einstoßen sind im Finale obsolet. Und der Fokus auf sich selbst und die eigenen Fähigkeiten wurden von Mihambo scheinbar erfunden.

Man sollte vor dem inneren Auge immer sehen, was man gewinnen kann.
Frank Busemann

Olympiasieger Damian Warner, der haushohe Favorit im Zehnkampf, schied im 400-m-Lauf verletzt aus. So schnell kann es gehen. Im vergangenen Jahr war es in Tokio Weltmeister Niklas Kaul. Heute taktierte er und beendete den Hochsprung ohne Fehlversuch. Eine reine Vorsichtsmaßnahme. Auch ein Fokus auf die eigenen Fähigkeiten. Abgerechnet wird im Ziel.

Mihambo hat die besten Chancen. Dann wären wir bei zwei Medaillen. Und wenn dann noch eine Überraschung hinzukommt, könnte man meinen, es war doch alles gar nicht so schlimm. Es kann aber auch in die Hose gehen. Na, und? Auch so ist Leistungssport. Deshalb sind Medaillen, Bestleistungen und gute Wettkämpfe auch so schön. Und am Ende stehen die Sieger und guten Leistungen im Fokus.

Dieses Thema im Programm: Das Erste | Sportschau | 15.07.2022 | 20:20 Uhr