Der deutsche Zehnkämpfer Niklas Kaul
analyse

Busemanns WM-Orakel Mehrkampf: Weltmeister Kaul als Underdog

Stand: 15.07.2022 11:07 Uhr

Ein Zehnkampf hat seine eigenen Gesetze und gewinnen kann nur, wer das Ziel erreicht und unterwegs keinen Unfug treibt, weiß ARD-Leichtathletik-Experte Frank Busemann. Seine Einschätzungen zu den Chancen von Weltmeister Niklas Kaul und dem Siebenkampf mit Herrscherin Nafissatou Thiam.

Zehnkampf, der Kampf der Giganten. Der Name ist Programm und die Namen sind ein Ohrenschmaus für jeden Zehnkampf-Liebhaber. Es treten an: die besten Athleten des Planeten, die mit einer Ausnahme alle im Kampf um die Medaillen dabei sind.

Allen voran der kanadische Olympiasieger Damian Warner, der vierte Mann mit mehr als 9.000 Punkten, der in Tokio den Fluch durchbrach und sich endlich aus dem Schatten der Überzehnkämpfer befreite und selbst einer wurde.

Dann ist da noch Kevin Mayer, der Weltrekordhalter, der spartanisch mit Wettkämpfen umgeht und meist nur bei den Saisonhöhepunkten auf den Punkt da ist. Garrett Scantling hingegen steht nicht im Team USA. Der ehemalige Footballer, der bei den Trials in die Nähe des legendären Dan O'Brien kam, ist nicht nominiert, was für allgemeine Verwunderung sorgt.

Kyle Garland - Ein Mann der Zukunft

Kyle Garland, der Youngster, der beste U23-Athlet aller Zeiten, ein Kraftpaket, das nichts nicht kann. Ein Mann der Zukunft. Da ist Ash Moloney schon angekommen. Olympia- und Hallen-WM-Bronze pflastern seinen jungen Weg.

Da wirkt ein amtierender Weltmeister namens Niklas Kaul beinahe wie ein Underdog. So ist es auch. Chancen hat er keine auf eine vordere Platzierung. So hieß es 2019 auch. Aber ein Zehnkampf hat seine eigenen Gesetze und gewinnen kann nur der, der das Ziel erreicht und unterwegs keinen Unfug treibt.

Historisch: Vier deutsche Zehnkämpfer dabei

Die Jahre seit der Goldmedaille von Doha waren keine leichten, die Big Boys da vorn nehmen ein wenig die Sicht auf die Hoffnung. Deshalb gilt es für den jüngsten Weltmeister aller Zeiten gesund durch den Zehnkampf und vielleicht unter die Top acht zu kommen. Das wäre gut. Wir wissen aber auch, dass bei einer WM immer kälter abgeliefert wird, als die Vorleistungen erwarten lassen.

Und wir erleben Historisches: Vier deutsche Zehnkämpfer machen sich auf Richtung Ziel. Neben Titelverteidiger Kaul haben es Routinier Kai Kazmirek sowie Tim Nowak und Leo Neugebauer geschafft.

Für Kazmirek geht es darum, seine Trainingsleistungen auf die Bahn zu bekommen und im Bereich der WM-Norm ins Ziel zu kommen. Der in Doha zehntplatzierte Nowak machte vor drei Jahren einen soliden Zehnkampf, stand aber im Schatten des Weltmeisters.

Schattenspender im deutschen Team könnte der in den USA studierende Leo Neugebauer werden, der mit 8.362 Punkten momentan bester Deutscher ist und noch ganz am Anfang seiner Möglichkeiten steht.

Siebenkampf mit Herrscherin Thiam

Der Siebenkampf hat Nafissatou Thiam aus Belgien als unumstrittene Herrscherin der Allroundprüfung. Amtierende Weltmeisterin ist sie hingegen nicht. In diesem Jahr hat die Doppel-Olympiasiegerin noch keinen Mehrkampf bestritten, was bei ihrer Erfahrung und Klasse allerdings kein Manko ist und nur den interessierten Zuschauer ein wenig im Unklaren lässt ob ihrer diesjährigen Form.

Ausgewählte Einzeldisziplinen passen und gesund ist sie - im Gegensatz zu Weltmeisterin Katarina Johnson-Thompson aus Großbritannien, die in Doha vor drei Jahren an der 7.000er-Marke kratzte und sich danach die Achillessehne riss.

Annouk Vetter aus den Niederlanden hat sich in den vergangenen Jahren als ganz zuverlässige Medaillenkandidatin aufgedrängt, die als Weltbeste des Jahres in die Titelkämpfe von Eugene geht.

Die US-Amerikanerinnen bestechen wie die Herren meist in den Trials mit hohen Punktzahlen, wobei US-Meisterin Anna Hall in diesem Jahr lediglich mit 6.458 Zählern zu Buche schlägt. Eugene wird ihr vierter Siebenkampf in diesem Jahr und vielleicht können die US-Girls ihren Heimvorteil nutzen und bei der WM Jahresbestwerte erzielen. Das wäre in diesem Jahr viel wert.

Sophie Weißenberg hat nichts zu verlieren

Vanessa Grimm hat sich im Vorfeld der WM leider verletzt und Carolin Schäfer ist noch nicht so weit, dass sie in Eugene bestehen kann. Da bleibt einzig Sophie Weißenberg übrig, die vollkommen befreit den Weg Richtung Bestleistung aufnehmen kann und vielleicht sogar mit dem Gefühl der großen, weiten Welt im Rücken große Weiten bei den Weltmeisterschaften erzielt. Sie ist eine, die eher 6.400 als 6.200 Punkte draufhat. Zu verlieren hat sie nichts. Ein Genuss-Siebenkampf pur.

Dieses Thema im Programm: Das Erste | Sportschau | 15.07.2022 | 20:20 Uhr