Gina Lückenkemper bei den Olympischen Spielen in Tokio
analyse

Busemanns WM-Orakel Staffeln: Jugendliche Leichtigkeit schlägt routinierte Konstanz

Stand: 16.07.2022 03:17 Uhr

Sauschnnelle Nationen gibt es viele bei der WM in Eugene, aber wer behält die Nerven? Die Staffel-Vorschau von ARD-Leichtathletik-Experte Frank Busemann.

4x100-m-Staffel: Deutsches Quartett macht Hoffnung

Wieder einmal dürfen wir hoffen - zu Recht: Die deutsche Sprintstaffel der Männer lief in diesem Jahr mit 37,99 Sekunden das erste Mal unter 38 Sekunden und ist gespickt mit jungen, hungrigen Raketen - Platz vier in der deutschen Bestenliste ist momentan 10,12 Sekunden. Das war sonst oft der Schnellste. Uiuiui, gut, dass ich kein Mathe kann, sonst würde ich nervös.

Zum einen ist das ein Vorteil, weil die sauschnell flitzen können, ohne, dass sie wissen, warum sie plötzlich so schnell waren. Aber ihnen fehlt die Ruhe eines alten, etablierten Hasen. Was ist jetzt besser? Vollkommen egal, jugendliche Leichtigkeit schlägt routinierte Konstanz.

Und seit Italien im vergangenen Jahr wissen alle Nationen, dass die USA und Jamaika auch nur mit Wasser kochen. Die hatten mit Jacobs zwar den Olympiasieger in ihren Reihen. Aber es heißt ja nicht 1x4x100 Meter, sondern benötigt noch drei andere schnelle Jungs.

Die Briten haben auch eine Menge Sub-10er in ihren Reihen und machen nach vorn gehörig Druck. Eine Medaille ist für unsere Jungs vermessen, aber der Endlauf ist Formsache. Wenn die Wechsel klappen. Und die Nerven halten. Und die anderen nicht schneller sind. Staffel hat eigene Gesetze. Nach oben und nach unten.

Jamaika bei den Frauen das Maß der Dinge

Bei den Frauen kann es einmal mehr nur die eine Staffel geben, die das Ding nach Hause läuft. Jamaika ist nicht nur in der Addition der vier Einzelleistungen das Maß der Dinge. SAFP (Shelly-Ann Fraser-Pryce) und ETH (Elaine Thompson-Herah) müssen den Angriff der wiedererstarkten Amerikanerinnen abwehren, indem sie den Stab schnellstmöglich ins Ziel bringen.

Die US-Girls sind sauschnell, allerdings bringen sie nicht die Erfahrung der Konkurrenz mit. Kann egal sein, die männlichen Vertreter der Zunft waren früher so gut, dass sie mit Schul-AG-Wechseln das Ding nach Hause liefen. Wechsel sind Feintuning, Speed muss auf die Bahn. Das haben sie, aber es reicht (noch) nicht.

Was machen die deutschen Mädels um die wiedererstarkte Gina Lückenkemper? Mit der doppelten Olympiateilnehmerin Alexandra Burghardt braut sich eine interessante Mischung mit Erfahrung und großmeisterschaftlicher Routine zusammen. Der Endlauf ist in der Konstellation meist das erklärte Ziel - und die Erfahrung, gepaart mit individueller Klasse, kann die Mädels an einem Strang ziehend weit nach vorn spülen. Eine für alle, alle für eine!

4x400-m-Staffel: USA kaum zu schlagen

Die amerikanischen Viertelmeiler müssen einmal mehr als das Maß der Dinge angesehen werden. In den USA steht scheinbar an jeder Bushaltestelle einer, der die Viertelmeile unter 45 Sekunden rennt. Deshalb sind sie im Kollektiv auch schwer zu schlagen, obwohl das in den vergangenen zehn Jahren zweimal passiert ist.

2017 waren Trinidad & Tobago und 2012 die Bahamas schneller. Soso. Alle fünf Jahre also… Aber wer soll die US-Boys kitzeln? Die Wechsel sind nicht so wichtig wie in der kurzen Sprintstaffel. Die individuelle Klasse zum Quartett summiert, ist erdrückend. Und der Weg ist ausgeschildert. Verlaufen wird sich keiner. Also die USA. Mal wieder.

Bei den Frauen ist das Durchbrechen der amerikanischen Vorherrschaft zuletzt 2015 Jamaika gelungen. Die Leistungsdichte ist nationenmäßig bunter, allerdings braucht man für eine Staffel mindestens vier Athletinnen, eher sechs, und da macht den Amis keiner was vor.

Für Deutschland startet dann die deutsche Meisterin Corinna Schwab, die in dieser Saison über 200 und 400 Meter mit vorzüglichen Zeiten besticht und ihre Konzentration auf die Staffeln legt. Trotzdem wird das Erreichen des Finals unglaublich schwer.

4x400-m-Mixed-Staffel: Die Chance für Außenseiter

Da hat das Orakel und der ARD-Leichtathletik-Experte (in Personalunion) im vergangenen Jahr aber vollends danebengehauen. "Wer soll die Amis schlagen?", fabulierte und orakelte er. "Nichts und Niemand!" gab er sich selbst die Antwort.

Polen zum Beispiel, wurde er belehrt. Und die Dominikanische Republik auch noch. Wie geht sowas? Ganz viele Jungs unter 45 und ganz viele Mädels unter 51 in einer Nation ergeben ganz viel Puffer gegen die anderen.

War wohl nix. Kleinere Nationen haben nicht fünf gleichgeschlechtliche Supersprinter, aber zwei mal zwei bekommt man mal zusammen. Und die mischen die Amis auf. Allerdings hatten die bei den Olympischen Spielen auch irgendwie Sand im Getriebe und die Besten laufen halt bei denen in den Spezialstaffeln und nicht in der die Gleichberechtigung fördernden Disziplin einer Mixed-Staffel.

Das macht den Reiz dieser Staffel aber auch aus. Die Amis sind schlagbar. Zumindest einmal. Nochmal wird das nicht klappen. Sagt das Orakel. Und der ARD-Experte auch. Aber der haut ja öfter mal daneben. Und wir müssen den anderen Nationen ja nicht verraten, dass die Amis, bei denen die große Allyson Felix einen großen Abschied feiern will, eigentlich unschlagbar sind. Nachher glauben die das noch. Und das wäre doof…

Hier liegen für Deutschland die besten Chancen in der Vier-Runden-Staffel. Wieder einmal auf Corinna Schwab ruhen die Hoffnungen, das gewisse Etwas herauszulaufen, um ins Finale einzuziehen und da vielleicht noch eine Staffel hinter sich zu lassen.

Dieses Thema im Programm: Das Erste | Sportschau | 15.07.2022 | 20:20 Uhr