Konstanze Klosterhalfen bei den Olympischen Spielen in Tokio
analyse

Busemanns WM-Orakel Mittel- und Langstrecke: Es wird schwer für Krause und "Koko"

Stand: 15.07.2022 17:30 Uhr

Gesa Krause gibt sich kämpferisch, aber es wird schwierig für sie bei der WM in Eugene. Nicht weniger für Konstanze Klosterhalfen, die eine Corona-Erkrankung abschütteln muss. Die Mittel- und Langstrecken-Vorschau von ARD-Leichtathletik-Experte Frank Busemann.

800 Meter

Schaut man sich die Ergebnisse dieses Jahres an, drängt sich kein Favorit auf. Das macht das Finale auch so spannend. Wie sagte einst Nils Schumann: Im Finale kann jeder gewinnen. Der richtige Spurt zur richtigen Zeit kann wahre Wunder wirken. Die zwölf schnellsten Zeiten 2022 sind von zehn verschiedenen Athleten gelaufen. Und wir sprechen hier nicht über den Marathon. Marc Reuther muss seinen Vorlauf klug gestalten und taktisch keine Fehler begehen, dann könnte er sogar eine Runde weiterkommen.

Mus Stern geht gerade erst auf

Bei den Frauen hat sich im vergangenen Jahr der Stern der Athing Mu auf den Weg gemacht - und er wird noch lange nicht sinken. Die grazile Amerikanerin kann schnelle 400 Meter, ist es gewohnt, die Läufe von vorn zu regeln und einfach verdammt gut und richtig schnell.

Will frau Gold, muss sie an ihr vorbei. Das wird aber nicht klappen. Erste Jägerin ist die ebenfalls erst 20 Jahre alte Britin und Silbermedaillengewinnerin von Tokio, Kelly Hodgkins, die allerdings nicht über derartige Spurtqualitäten wie Mu verfügt. Diese beiden werden in nicht allzu ferner Zukunft sogar den Weltrekord anvisieren.

Christina Hering lechzt danach, einmal mehr die Zwei-Minuten-Schallmauer zu durchbrechen, was ihr in ihrer Karriere schon diverse Male gelungen ist. Dafür bedarf es aber eines Laufes, der sozusagen aus einem Guss ist und bei großen Meisterschaften kommen öfter mal kleine Störungen dazwischen.

Majtie Kolberg hat 2021 Jahr die zwei Minuten durchbrochen und läuft scheinbar nach Belieben 2:01er-Zeiten. Auf der guten Basis kann in Eugene eine neue Saisonbestzeit rausspringen. Beide deutschen Athletinnen können das Halbfinale erreichen.

1.500 Meter

Kann Jakob Ingebrigtsen seinen Sieg von Tokio wiederholen? Zuzutrauen ist es ihm, allerdings wird sich die kenianische Phalanx um Titelverteidiger Timothy Cheruiyot zusammenrotten, dass so etwas nicht noch einmal passiert.

Meisterschaftsrennen sind oftmals von großer taktischer Finesse geprägt, aber mit solchen Spielchen kann man dem Norweger nicht kommen. Er kann alles. Und das macht es schwierig für die anderen und spannend für uns. Selbst anfangs verbummelte Rennen haben hier eine besondere Klasse.

Einfach schön ist, dass wir mit Christoph Kessler auch hier einen Ausdauervertreter am Start haben. Als schnellster Deutscher über 800 Meter in diesem Jahr verfügt er über die Grundschnelligkeit, auch hinten raus scharfe Antritte mitgehen zu können und den Vorlauf schadlos zu überstehen.

Bei den Frauen ist das eine Maß der Dinge Doppel-Olympiasiegerin Faith Kipyegon, die in Doha vor drei Jahren allerdings "nur" Zweite wurde, da sie kurz vorher zum ersten Mal Mutter wurde. Jetzt wird sie von Jahr zu Jahr stärker und man kann gespannt sein, wie schnell sie noch laufen wird.

Das andere Maß der Dinge, Doppel-Olympiasiegerin und Titelverteidigerin Sifan Hassan, geht nach ihrem Triple-Start von Tokio in Eugene "nur" über 5.000 und 10.000 m an den Start. Natürlich achten die Veranstalter darauf, dass gute Athletinnen sich richtig in Szene setzen können und so kann der Doppelstart von Gudaf Tsegay über 1.500 m und 5.000 m stattfinden.

Der Fokus von Katharina Trost liegt in diesem Jahr mehr auf der "langen" 1.500-m-Strecke. Im vergangenen Jahr lief sie die 800 Meter deutlich unter zwei Minuten. Diese Fähigkeiten kommen ihr bei Meisterschaftsvorrundenläufen zugute und sie wird wie Hanna Klein ins Halbfinale einziehen können.

3.000 Meter Hindernis

Das war ein Kampf in Berlin bei den deutschen Meisterschaften, als Karl Bebendorf den Norminhaber Frederik Ruppert niederrang. Der pulverisierte Anfang Juni seine Bestzeit auf 8:15 Minuten. Zu hoffen, diese Zeiten zu wiederholen, wäre vermessen. Wichtig ist, nach dem Battle von Berlin ein weiteres Mosaiksteinchen im Bild des Erfahrungsschatzes hinzuzufügen, um dann zum Beispiel schon in München bei der EM davon zu profitieren. In Eugene wäre der Sprung ins Finale ein Riesenerfolg.

Über die 3.000 Meter Hindernis der Frauen gibt es aus deutscher Sicht seit Jahren nur diesen einen Namen: Gesa Krause. Die Überfliegerin ist erst in Stockholm Ende Juni in die Saison eingestiegen und musste mit 9:44 Minuten Lea Meyer und Elena Burkhard den Vortritt lassen.

Eine ungewohnte Sichtweise für sie. In den sozialen Netzwerken zeigte sie sich ernüchtert, doch stolz aufgrund ihrer sechsten WM-Teilnahme - und kämpferisch. Dennoch wird es für sie in diesem Jahr schwierig: Die Vorzeichen stehen alles andere als gut. Und die bloße Nominierung einer Athletin dieser Klasse ist nicht die Zielsetzung. Das weiß sie und versucht das Beste daraus zu machen. Mit ein wenig Glück können Krause und die deutsche Meisterin Meyer ins Finale.

5.000 Meter

Schaut man auf die blanken Zeiten der Siege großer Meisterschaften, liegt Mohamed Mohumed in Schlagdistanz. Einzig den Fakt, dass der Spurt sehr lang und schmerzhaft zum Sieg führt, unterschlagen wir. Mohumed kann auch die 1.500 Meter, das hat er in diesem Jahr als Deutschlands Schnellster bewiesen und gleichermaßen Selbstvertrauen bei den Titelkämpfen in Berlin mit seinem Doppelstart getankt.

Er kann im Endlauf bestehen und das weiß er. Sam Parsons und Maximilian Thorwirth möchten ihre Nominierung mit couragierten Vorläufen bestätigen. Kann Ingebrigtsen die Afrikaner wieder ärgern?

Über diese Distanz und auch die doppelte purzeln die Weltrekorde bei den Frauen wie zu besten Zeiten. Gibt es hier eine Ballung besonderer Athletinnen, neue Trainingsmethoden oder andere Kompetenzen, die die Athletinnen immer schneller werden lassen?

Auf jeden Fall wird auch bei Großereignissen schnell gelaufen und das Heil im Tempo gesucht. Weltrekordlerin Gidey Letesenbet wird sich mit Gudaf Tsegay bis aufs Äußerste duellieren. Und Doppel-Olmypiasiegerin Sifan Hassan wird auch ein Wörtchen mitreden wollen.

Corona-Erkrankung große Herausforderung für Klosterhalfen

Für Konstanze Klosterhalfen lief es bis zur Corona-Erkrankung kurz vor den deutschen Meisterschaften wirklich gut, doch dann kam die großen Unbekannte mit diesem Virus einher, von dem schwer abzuschätzen ist, wie man ihn verpackt.

Da wir hier über eine Lungen- bzw. Atemwegserkrankung sprechen, dürfte es für "Koko" in der unmittelbaren Vorbereitung die größte anzunehmende Herausforderung in Bezug auf eine gute Form sein. Auf die 10.000 m verzichtet sie, das hört sich sehr vernünftig an.

Ähnliche Probleme im Vorfeld hat Alina Reh offenbar überwunden. Nachdem im Frühjahr bei ihr eine Herzmuskelentzündung festgestellt worden war, kam sie eindrucksvoll zurück und konnte mit einer Zeit von 15:06 Minuten in Oslo Selbstvertrauen tanken. Sara Benfares schnuppert internationale Aktivenluft und will sich teuer verkaufen.

10.000 Meter

Über die längste Stadiondisziplin geht der Titel nur über Weltmeisterin und Olympiasiegerin Hassan. Oder über die Weltrekordlerin Gidey Letesenbet.

Die Langstrecken der Frauen bieten auf allen Ebenen tolle Duelle, die bis kurz vor der Ziellinie offen sind. Ein Leckerbissen für jeden Herzschlagenthusiasten. Interessant und der internationalen Vermarktung geschuldet ist wohl die Tatsache, dass die Finals bei Männern und Frauen jeweils zur Mittagszeit stattfinden.

Taktik und gegnerische Tempiwechselverwirrung wird der Schlüssel zum Erfolg sein. Gut, dass es in Eugene im Juli meist nur 27 Grad Celcius im Mittel sind…

Dieses Thema im Programm: Das Erste | Sportschau | 15.07.2022 | 20:20 Uhr