Gina Lückenkemper
analyse

Busemanns WM-Orakel Sprint: Vorfreude auf die wiedererstarkte Lückenkemper

Stand: 16.07.2022 03:15 Uhr

Was zeigt die wiedererstarkte Gina Lückenkemper, wer triumphiert im Beef-Duell Elaine Thompson-Herah vs. Shelly-Ann Fraser Pryce und kann irgendjemand Fred Kerley stoppen? ARD-Leichtathletik-Experte Frank Busemann mit seinen Einschätzungen zum Sprint bei der WM in Eugene.

100 Meter: Bolts Schatten noch immer lang

Wir befinden uns immer noch in der Post-Usain-Bolt-Ära. Der Schatten des Jamaikaners ist lang und die Vergleiche sind nicht nur aufgrund seiner Weltrekorde noch immer da. Der Italiener Marcell Jacobs nutzte im vergangenen Jahr das Machtvakuum und schnappte sich den Olympiasieg.

Die US-Amerikaner schicken sich auch in diesem Jahr wieder an, bei der Heim-WM zu glänzen. Doch reichen schnelle Zeiten im Vorfeld um am "Judgement-Day" zu liefern? In Tokio hatte fast die gesamte US-D-Zug-Abteilung eher Schmiere am Fuß. Waren es die Nerven? Fehlende Erfahrung? Ungewohnter Druck?

Olympiasieger Jacobs fordert Kerley heraus

Das soll dieses Jahr nicht passieren. Jacobs zog sich Anfang Juni eine leichte Verletzung zu, freut sich aber schon auf das Duell mit US-Meister Fred Kerley, der Sub-9,80er-Zeiten nach Belieben zeigt. Da muss sich Jacobs aber beeilen, zumal er auch sein Comeback verschieben musste. Ohnehin waren die US-Trials eine imposante Darstellung zeitgenössischer Sprintdarbietung, als alle Finalisten schneller als 10 Sekunden waren. Die Jamaikaner waren bei ihren Trials nicht minder langsam und werden die Amis gehörig unter Druck setzen wollen.

In Deutschland können wir uns an schnelle Zeiten so langsam gewöhnen. Julian Wagner wird die deutschen Farben im Einzel vertreten und hofft, im Konzert der Großen gut mithalten zu können. Eine Bestätigung seiner Vorleistungen ist in einem Weltklassefeld um einiges schwerer. Deshalb wird es für ihn darum gehen, wichtige Erfahrung zu sammeln und schon im Vorlauf Topleistungen zu zeigen.

Dampfhammer Thompson-Herah vs. Pocket Rocket Fraser Pryce

Bei den Frauen wird es wieder einmal zum jamaikanischen Duell Thompson-Herah vs. Fraser Pryce kommen - Dampfhammer versus Pocket Rocket. Die Girls von der Insel hatten die vergangenen Jahre immer die Nase vorn und haben offenbar nach Belieben der Schnelligkeit ihren Willen aufgezwungen.

Das Einzige, das die Tokio- und Rio-Olympiasiegern Elaine Thompson-Herah sowie die London- und Peking-Olympiasiegerin Shelly-Ann Fraser-Pryce gemein haben, ist das Trikot. Das wissen wir, seit in Tokio die unterkühlten Giftblicke das Stadion durchzuckten. Ein herrlicher Beef für jegliches Format im Trash-TV. Und die neue jamaikanische Meisterin Shericka Jackson will den Streit bestimmt ein bisschen schlichten, indem sie schneller läuft.

Jamaika wird sich noch einmal goldig ins Ziel retten

Und was macht Newcomerin und US-Meisterin Melissa Jefferson? Ist sie schon so weit, sich in die Medaillenentscheidung einzuschalten? Gibt es eine Überraschung? Selbst die britische Europameisterin Dina Asher-Smith ist national von Daryll Neita geschlagen worden. Da geht die Post ab. Schnelle Zeiten sind garantiert und vonnöten, um gewinnen zu wollen. Jamaika wird sich aber noch einmal goldig ins Ziel retten können.

Halbfinale für Lückenkemper Pflicht

Aus deutscher Sicht freuen wir uns auf die wiedererstarkte Gina Lückenkemper, die endlich wieder ins Rollen kommt und nun gegen starke Konkurrenz zeigen will, dass die 10,99 Sekunden von den deutschen Meisterschaften zur richtigen Zeit viel Wert sein können. Das Halbfinale ist Pflicht, mehr bei der derzeitigen Situation ein Wunder. Alexandra Burghardt kommt nach dem Bob-Silber von Peking hoffentlich rechtzeitig in Fahrt und will im Halbfinale wie Lückenkemper gut abschneiden.

200 Meter: Jungstar Knighton sorgt für Erstaunen

Wow, wow, immer wieder wow! So wird es allen Zuschauern 2004 gegangen sein, als sie den jungen Usain Bolt gesehen haben. Jetzt ist da dieser Erriyon Knighton. 18 Jahre jung, der im April dieses Jahres 19,49 Sekunden auf die Bahn schrubbte. Wer soll ihn schlagen? Er selbst? Da werden einige Athleten etwas dagegen haben. Allen voran der Titelverteidiger und Master of Magic Noah Lyles. Er wird ruhiger, aber ist immer ein Hingucker. Vielleicht bündelt er seine Energie jetzt auf das Projekt Titelverteidigung.

Oder der Olympiasieger Andre De Grasse. Schnell war er schon immer, konnte mit Bolt auch mal ein Schwätzchen kurz vor Zieleinlauf halten, aber so richtig ernst wird er erst genommen, seitdem er in Tokio die US-Boys in die Schranken wies.

Owen Ansah braucht Bestleistung fürs Halbfinale

Aus deutscher Sicht freuen wir uns auf Owen Ansah, der mit konstant guten Zeiten besticht, aber im Bereich seiner Bestleistung abliefern muss, um ins Halbfinale zu kommen. Und das könnte er sogar schaffen, da er in dieser Saison krasse Bestzeiten abliefert und in Topform ist, was die 10,04 Sekunden über 100 m von Anfang Juli zeigen.

Mboma, Ofili oder Jackson - Dreikampf bei den Frauen um Gold

Bei den Frauen haben wir ein ähnliches Bild, wie über die 100 Meter, aber es ist doch ganz anders. Zum einen tobt sich da die 19 Jahre alte namibische Olympiazweite Christine Mboma aus. Sie verletzte sich allerdings Anfang Mai und hofft, in Eugene wieder zu alter Stärke zu finden.

Dann gibt es da noch die der Jugendklasse soeben entsprungene Favour Ofili aus Nigeria, aber vor allem Staffelolympiasiegerin Shericka Jackson. Die hat als jamaikanische Landesmeisterin auch das Gefühl des Triumphes gegen die Ladies of speed ausprobiert und kann mit der drittschnellsten Zeit in der ewigen Weltrangliste eher ins Jahr 1988 als nach zu den hinter ihr laufenden Athletinnen zurückschauen. Was läuft sie bei perfektem Rückenwind?

Eugene als Belohnung für Kaden und Wesseloy

Und dann ist da noch das schnelle US-Girl Abby Steiner, die - erstmal in Fahrt - nur schwer aufzuhalten sein wird und die Weltmeisterin Dina Asher-Smith aus Großbritannien. Jede kann gewinnen. Fast jede. Meistens gewinnt nur eine. Und die stand noch nie ganz oben.

Für Lilly Kaden wird nach bestandenem Formtest Eugene eine Belohnung für die seit Jahren stete Aufwärtsentwicklung sein, genauso wie für Jessica-Bianca Wessoly mit ihren guten Vorleistungen. Wessoly sollte wie schon in Doha vor drei Jahren den Sprung ins Halbfinale schaffen.

400 Meter: Was zeigen die Routiniers?

Das war ein Statement von Michael Norman, der in 43,56 Sekunden die US-Trials mit Weltbestzeit dominierte aber von Champion Allison gejagt wurde, der seine Bestzeit auf 43,70 Sekunden pulverisierte und 1,7 Sekunden schneller ist als ein Jahr zuvor. Das ist viel. Sehr viel. Der alte Haudegen Kirani James hat wie immer Kontakt zu den Jungs ganz vorn und auch der Olympiazweite Anthony Jose Zambrano kann wieder in die Medaillenränge laufen. Olympiasieger Steven Gardiner wird es nicht können - Sehnenentzündung, WM-Aus. Es gibt trotzdem viele Namen und nur drei Mal Edelmetall.

Wie viel hat Wayde van Niekerk noch im Tank?

Norman wird den fünften Platz von Tokio vergessen machen lassen wollen und den Heimvorteil nutzen. Spannend wird das Comeback von Weltrekordler Wayde van Niekerk sein. Beim Premierenlauf am 2. Juli schaffte er 44,58 Sekunden. Wie viel ist da noch im Tank und schafft er es ins Finale?

Gold geht nur über die Regentin Shaunae Miller-Uibo

Bei den Frauen ist die bestimmende Regentin die hochgewachsene Shaunae Miller-Uibo von den Bahamas. Immer mal wieder gibt es Angriffe auf ihre Vorherrschaft, aber sie weiß sie abzuwehren. Einzig in Doha, bei der WM vor drei Jahren, konnte ihr Salwa Eid Naser mit der schnellsten Zeit seit 34 Jahren enteilen. Nachher stellte sich heraus, dass die Athletin aus Bahrain es mit den Dopingkontrollen nicht so genau genommen hatte, weshalb sie in Tokio fehlte und auch in Eugene nicht dabei ist.

Corinna Schwab trumpfte im Vorfeld der Weltmeisterschaften mit tollen Zeiten auf, konzentriert sich bei der WM aber auf die Staffel. Alica Schmidt versucht, im Vorlauf eine neue Bestleistung aufzustellen und wieder einen weiteren Schritt in ihrer Entwicklung zu nehmen.

Dieses Thema im Programm: Das Erste | Sportschau | 15.07.2022 | 20:20 Uhr