Ein Schwimmbecken

ARD-Doku "Missbraucht" Sexualisierte Gewalt im Sport: Fragen und Antworten

Stand: 18.08.2022 05:00 Uhr

Hier beantworten wir die wichtigsten Fragen zu sexualisierter Gewalt im Sport, wie sie im Film dargestellt wird, und welche Verantwortung Vereine und Verbände tragen.

Von Hajo Seppelt, Arne Steinberg, Josef Opfermann, Bettina Malter

Was bedeutet "sexualisierte Gewalt", was bedeutet "sexueller Missbrauch"?

Es gibt verschiedene Begriffe, die sexuelle Gewalt- und Missbrauchshandlungen gegen Kinder und Jugendliche beschreiben. Alle beschreiben Handlungen, bei denen Täter ihre Machtposition ausnutzen.

Sexualisierte Gewalt bezeichnet jede Art von sexualisierter Handlung, die darauf ausgerichtet ist, Menschen in ihrer persönlichen Integrität zu verletzen. Dazu gehören Grenzverletzungen wie unerwünschte Berührungen bei Massagen, aber auch Handlungen ohne Körperkontakt wie verbale Belästigung oder Text-/Bildnachrichten mit sexuellem Inhalt. Schwere sexualisierte Gewalt mit Körperkontakt umfasst unter anderem Nötigung und Vergewaltigung.

Der Begriff "sexueller Missbrauch" findet in Deutschland ebenso Verwendung. Er beschreibt jede sexuelle Handlung, die gegen den Willen von Kindern und Jugendlichen vorgenommen wird.

Warum werden sexuelle Inhalte in diesem Film explizit geschildert?

Gesellschaft, Politik und auch der organisierte Sport haben lange Zeit zu diesem Thema geschwiegen, auch medial ist wenig passiert. Nachdem ab 2010 Fälle aus den Bereichen Kirche und Schule bekannt geworden waren, hat sich einiges getan: Runde Tische und Kommissionen zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs sind entstanden, die Mitgliederverbände des Deutschen Olympischen Sportbundes haben sich zur Prävention im Problemfeld sexualisierter Gewalt verpflichtet.

Seitdem verändert sich auch das Klima in der Berichterstattung dazu. Deswegen sieht es die ARD als notwendig an, Inhalte und Aussagen von Betroffenen detailgetreu und unverzerrt darzustellen. Durch ihre Schilderungen soll das Ausmaß der Gewalt deutlich werden, sodass Außenstehende in der Lage sind, den Zusammenhang von sexualisierter Gewalt und den traumatischen Folgen zu verstehen.

Ist der Schwimmsport besonders anfällig?

37 Prozent der Athletinnen und Athleten im Leistungssport sagen laut der Studie im Rahmen des Projekts "Safe Sport", dass sie bereits eine Form sexualisierter Gewalt erlebt haben. Die Sportsoziologin Bettina Rulofs von der Deutschen Sporthochschule in Köln hat herausgefunden: Sportarten, die beim Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen eine besondere Relevanz haben, sind häufiger von sexualisierter Gewalt betroffen. Dazu gehöre auch das Schwimmen.

"Wir sehen in den einzelnen Sportarten Rahmenbedingungen dafür, dass sexuelle Gewalt besser ausgeübt werden kann", erklärt Rulofs und verdeutlicht, in welchen Bereichen das passiere: "Wie viel Kleidung trägt jemand, wie häufig sind Umkleide-Situationen auch ein Thema in dieser Sportart? Gibt es überhaupt Umkleiden?" Täter würden von diesen Rahmenbedingungen profitieren. Eine Sportart wie Schwimmen, in der laut Rulofs "viel nackte Haut zu sehen ist, wo auch unter Wasser viel passieren kann", biete ein solches Umfeld.

Welche Maßnahmen unternehmen Politik und Sportverbände in Deutschland, um gegen sexualisierte Gewalt vorzugehen?

Seit Ende Mai 2021 fördert das für den Sport zuständige Bundesinnenministerium (BMI) Verbände nur noch dann, wenn sie eine verbindliche Eigenerklärung zur Prävention und Bekämpfung sexualisierter Gewalt abgeben. Diese Erklärung sieht vor, dass die Verbände über ein Präventionskonzept verfügen und eine/n Beauftragte/n innerhalb der eigenen Verbandsstruktur benennen. Das BMI setzt weiterhin voraus, dass haupt- und ehrenamtliches Personal ein erweitertes Führungszeugnis vorlegt und Verhaltenskodizes eingeführt werden. Insgesamt sind acht Maßnahmen umzusetzen, die im Auftrag des Bundesinnenministeriums von der Kommission Potenzialanalysesystem (kurz: PotAS) und vom Bundesverwaltungsamt geprüft werden.

Wie läuft das in der Realität und konkret beim Deutschen Schwimm-Verband?

Das BMI fördert den Deutschen Schwimm-Verband (DSV) jährlich mit durchschnittlich mehr als 4,3 Millionen Euro. Die acht Präventionsmaßnahmen setzt der DSV laut Bundesregierung erfolgreich um. Das Präventionskonzept hat der Verband online veröffentlicht. Seit April 2020 ist die Psychologin Franka Weber Präventionsbeauftragte.

Transparency International kritisiert Sportverbände allgemein, dass Präventionsmaßnahmen dort rein formaler Natur seien, nach der Umsetzung werde nicht gefragt. Es fehle an einer unabhängigen Beurteilung durch Dritte.

Stehen jetzt alle Trainer im deutschen Sport unter Generalverdacht?

Nein. Die ARD-Recherche zeigt das unethische und strafbare Verhalten einzelner Trainer, um damit auf spezielle Strukturen im Sport aufmerksam zu machen, die Übergriffe begünstigen und Vertuschung ermöglichen können. Dazu gehört zum Beispiel, dass Trainer und AthletInnen gerade im Leistungssport viel Zeit miteinander verbringen und ein Machtgefälle zwischen beiden besteht. Täter machen sich Situationen wie Wettkampfreisen, das Umziehen in der Kabine oder Massagen zunutze, um sexuellen Missbrauch zu begehen.

Für eine Kultur des Hinsehens brauche es Transparenz und Aufmerksamkeit für das Thema, erklärt Sportsoziologin Bettina Rulofs. "Vereine sollten sich in ihren Kommunen vernetzen mit solchen Akteuren, die Ahnung haben vom Thema Kinderschutz und bei der Prävention sexueller Gewalt unterstützen können", sagt sie. Kinder und Jugendliche müssten gestärkt werden, auch um falsche Verdächtigungen zu vermeiden.