Sportpolitik | Menschenrechte WM-Gastgeber Katar profitiert von Russlands Krieg auf allen Ebenen

Stand: 21.03.2022 14:00 Uhr

Deutschland kauft Energie bei Katar ein, um Russland für den Krieg gegen die Ukraine abzustrafen. Die Kritik am Gastgeber der Fußball-WM dürfte dadurch noch moderater werden. Protagonisten aus dem Sport müssen nur noch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck zitieren.

Die ersten Länderspiele des Jahres stehen an. Dann werden sie wieder kommen, die Fragen, wie mit dem Gastgeber Katar umgegangen werden soll. Außer den Verantwortlichen der Nationalmannschaft wird auch der Deutsche Fußball-Bund, allen voran sein neuer Präsident Bernd Neuendorf, Stellung beziehen müssen. Er kündigte das während des Bundestages, auf dem er am 11. März gewählt wurde, schon an, ohne konkret zu werden.

Die "Zeitenwende", von der wegen des russischen Angriffs auf die Ukraine zuerst Bundeskanzler Olaf Scholz sprach, dürfte den Ton vorgeben. Deutschland möchte lieber heute als morgen damit aufhören, Gas bei Russland einzukaufen und somit den völkerrechtswidrigen Krieg mitzufinanzieren.

Weichgespülte Sätze des Ministers

Bei der Suche nach Alternativen reiste Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck am Sonntag (20.03.2022) nach Katar. In einem von seinem Ministerium verbreiteten Video erklärte und rechtfertigte er die Verhandlungen über die Lieferung von Flüssiggas mit einem Staat in einer "politisch interessanten Region".

Im Emirat am Golf werden sie den deutschen Minister und Bittsteller mit Freude gehört haben. Habeck sagte, er habe "großer Überraschung" davon Kenntnis genommen, dass Katar großes Interesse an erneuerbaren Energien zeige. In der Frage nach Menschenrechten und vor allem dem Umgang mit den Millionen Gastarbeitern betonte er, dass diese "häufig zu nicht ganz so guten Bedingungen" arbeiten müssten. Aber: "Früher waren es katastrophale Bedingungen."

Geopolitische Dimension des Sports

Die Verbesserungen führte der Bundesminister auf eine "Dynamik" zurück, die "auf Druck von Deutschland und Europa" in Schwung gekommen sei.

Spätestens an dieser Stelle wurde die geopolitische Dimension des Sports klar, denn dass etwa Frauenrechte, das weiterhin bestehende Verbot der Homosexualität und menschenunwürdige Arbeitsbedingungen in Katar zumindest in Europa breit diskutiert und laut kritisiert wurden, ist nahezu ausschließlich darauf zurückzuführen, dass der Weltfußballverband FIFA die Weltmeisterschaft einschließlich der zumindest damals üblichen Korruptionspraktiken 2010 an Katar vergab.

Zum Vergleich: Die dokumentiert besorgniserregende Lage der Menschenrechte in Bahrain ist - wenn überhaupt - für die paar Tage im Jahr ein Thema, wenn die Formel 1 in Katars benachbartem Golfstaat ihre Runden dreht.

In diesen Zusammenhang passen die Gerüchte, dass Katar den Grand Prix am 25. September veranstalten soll, der Russland weggenommen wurde.

Katar ist in vielerlei Hinsicht ein Profiteur der russischen Aggression gegen die Ukraine. Regte Habecks Parteifreundin und jetzige Bundesaußenministerin Annalena Baerbock im Herbst 2021 noch einen auch sportlichen deutschen Boykott der WM an, falls Katar weiter die Taliban in Afghanistan unterstütze, übernahm der Wirtschaftsminister nun praktisch die Erzählung, die Katar und die FIFA seit Jahren verbreiten: Es wird alles besser, aber es geht nicht so schnell, wie der Westen das möchte.

Die neuen Arbeitsgesetze, so Habeck, seien "geschrieben, aber noch verbesserungswürdig und noch nicht voll implementiert". Der Bundesminister sprach dem Gastgeber der WM sogar eine Vorreiterrolle zu: "Wenn Katar vorangeht, schließt sich möglicherweise der arabische Raum an."

Diese Aussage zeige, dass sich Habeck "kaum tiefgreifend mit der Situation in Katar beschäftigt haben kann", sagte Nicholas McGeehan, Direktor der Menschenrechtsorganisation "Fairsquare", der Sportschau. Für eine Verbesserung der Menschenrechtslage "brauchst du keine Zeit, sondern den politischen Willen, und den sehe ich weiterhin nicht".

Ernsthafte Reformen oder nur Fassade?

Seit vielen Jahren berichtet vor allem das WDR-Magazin "Sport inside" regelmäßig über und aus Katar. Im Dezember 2021 wurde der Beitrag "Schein und Sein" veröffentlicht, der von Gastarbeitern berichtete, die monatelang auf ihren Lohn warteten, der weiterhin karg ausfällt, auch wenn es inzwischen ein Gesetz über Mindestlohn gibt.

Die Zweifel, dass dem autokratisch geführten Überwachungsstaat nachhaltig an einer grundlegenden Verbesserung der Menschenrechte gelegen ist, bleiben. Freie Berichterstattung ist ausgeschlossen, ein inzwischen inhaftierter Whistleblower berichtete "Sport inside", dass der Schein bei weitem überwiege, die vermeintlichen Fortschritte zu einer ausgeklügelten PR-Strategie gehörten.

Beispiele für eine verfehlte Dialogstrategie

Die Beispiele China (Olympia 2008 und 2022) und Russland (Fußball-WM 2018) zeigen, dass der Sport eben nicht die Brücken baute, die am autokratischen und dikatorischen Ende auf den beschwerlichen Weg zu einer nahen Demokratie führen.

Kritiker und Zweifler bezüglich Katars haben es spätestens seit dem Besuch Habecks schwierig. Wie sollen die Fans des FC Bayern bei ihrem Klub auf ein Ende der Sponsorpartnerschaft mit dem Staatsunternehmen Qatar Airways drängen, wenn die Staaten Deutschland und Katar ihre ohnehin schon ertragreichen Geschäftsbeziehungen auf ein neues Level heben?

"Nur weil wir vermutlich Flüssiggas von daher bekommen, ist die Moral nicht dahin", sagte Sabine Poschmann der Sportschau. Die sportpolitische Sprecherin der SPD plädierte dafür, den eingeleiteten Prozess in Katar weiter kritisch zu begleiten und auf Reformen und deren nachhaltige Einhaltung zu drängen. "Wir dürfen den Prozess jetzt aber auch nicht durch überbordende Kritik gefährden."

Poschmann sieht einen Unterschied im Vergleich etwa zu China, da Katar es Menschenrechtsorganisationen und Journalisten erlaube, ins Land zu kommen, um zumindest eingeschränkt ein Bild von den Missständen zu erhalten.

Tonfall von "moderat" auf "moderater"

Die Zeitenwende, die der russische Angriff auf die Ukraine am 24. Februar brachte, dürfte dennoch künftig den Ton bestimmen, von moderat auf noch moderater. Robert Habeck gab am 20. März 2022 in Doha mit einem Satz die Richtung vor, der daher wiederholt wird: "Wenn Katar vorangeht, schließt sich möglicherweise der arabische Raum an."