Angela Malestein 2020 im Trikot der niederländischen Nationalmannschaft

Interview mit Handballerin Angela Malestein Neue Vorwürfe gegen ehemaligen Handball-Trainer Fuhr

Stand: 28.10.2022 13:38 Uhr

Wie ging Ex-Handballtrainer André Fuhr mit seinen Spielerinnen um? Auch die niederländische Nationalspielerin Angela Malestein erhebt nun im Interview mit dem WDR Vorwürfe. Waren Erniedrigungen, Mobbing und Missbrauch an der Tagesordnung?

Von Sebastian Tischkov

Es sei die schlimmste Zeit in ihrer Handballkarriere gewesen, berichtet Malestein. Zwei Jahre, von 2012 bis 2014, hat sie bei der HSG Blomberg-Lippe unter André Fuhr gespielt. Im WDR-Interview erzählt sie, wie schlecht Fuhr sie immer wieder behandelt habe und sie am Ende weinend darum gebeten hat, den ostwestfälischen Verein verlassen zu dürfen: "Ihr sagt doch, ich bin nicht gut für diese Mannschaft, dann lasst mich bitte gehen. […] Sie sagten: Nein, wir lassen Dich auf gar keinen Fall gehen."

André Fuhr: Ein Handballtrainer, der Erfolge feierte. Die Blomberger Handballfrauen hat er in die Bundesliga gebracht – dazu noch dreimal die Teilnahme im Europapokal, zweimal im deutschen Pokalfinale. Sein inakzeptables Verhalten war schon immer ein offenes Geheimnis im Handballsport, erzählen Spielerinnen, doch auf die Ergebnisse war sein ehemaliger Verein immer besonders stolz. "Die Ära Fuhrs wird in die Geschichte des Vereins eingehen", sagte Geschäftsführer Torben Kietsch beim Abgang Fuhrs. Jetzt macht nur noch Geschichte, wie er mit seinen Spielerinnen umgegangen ist.

Kündigungen brachten Stein ins Rollen

Den Stein ins Rollen brachten die fristlosen Kündigungen zweier BVB-Spielerinnen. Amelie Berger und Mia Zschocke haben dazu die Anlaufstelle für Gewalt und Missbrauch im Sport eingeschaltet. Über die genauen Gründe wurde Stillschweigen vereinbart, die Borussia stellte den Trainer zunächst einvernehmlich vorübergehend frei. Später ging Fuhr dann von sich aus, wieder im Einvernehmen mit dem BVB. Auch sein Amt als Juniorinnentrainer der deutschen Handball-Nationalmannschaft legte Fuhr kurz darauf von sich aus nieder. Eine Recherche des Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" sorgte für weitere Schlagzeilen – mit schwerwiegenden Vorwürfen ehemaliger Spielerinnen, nicht nur aus Blomberg. Uns erzählt die niederländische  Nationalspielerin, die sich gerade auf die Europameisterschaft vorbereitet, ihre Geschichte.

Ex-BVB-Trainer André Fuhr im Dezember 2021

Ex-BVB-Trainer André Fuhr im Dezember 2021

In die Sporthalle zu kommen, das sei immer komisch gewesen, sagt die ehemalige Blombergerin Malestein, die jetzt noch für die niederländische Nationalmannschaft spielt. Mit 18 Jahren hatte sie die Gelegenheit, nach Blomberg zu kommen. Die Gelegenheit, in der Handball-Bundesliga zu spielen. Der Trainer: André Fuhr, zu diesem Zeitpunkt bereits seit zehn Jahren Trainer in Ostwestfalen. Auf Warnungen anderer Spielerinnen habe sie nicht gehört – auch, weil die ersten Gespräche mit Trainer Fuhr und dem Geschäftsführer des Vereins, Torben Kietsch, gut liefen.

Doch dann hat sie schnell gemerkt, dass etwas nicht stimmt, erzählt sie. Fuhr habe bestimmte Spielerinnen immer wieder zum Weinen gebracht. Bis heute liegt Malestein ihre Zeit in Blomberg schwer im Magen. Einmal hätten die Spielerinnen ein Intervall-Lauftraining während eines Gewitters machen müssen. Dabei schlug in unmittelbarer Nähe der Blitz ein, erzählt Malestein, trotzdem hätten sie weitermachen müssen.

Malestein berichtet über respektlose Behandlung

Während einer Halbzeitpause im September 2012 habe der Trainer eine Plastik-Trinkwasserflasche mit dem Fuß so weit getreten, dass eine Spielerin diese gegen den Kopf bekommen hat. "Und er hat auch immer kontrolliert, ob ich zu Hause war. Oder hat seine Freundin, die auch bei uns in der Mannschaft gespielt hat, zu mir geschickt, um zu wissen, was ich mache", berichtet Malestein im WDR-Interview.

André Fuhr habe sie respektlos behandelt. "Halt die Fresse", "Du denkst, du bist die Geilste", "Du bist eine Prinzessin auf der Erbse" – sowas habe Fuhr oft zu ihr gesagt. Fuhr habe ihr am Ende auch gesagt, sie werde niemals zur Weltspitze gehören. Damit lag er wohl falsch. Im vergangenen Jahr wurde die Niederländerin zur besten Rechtsaußen in der Champions League gekürt.

30 ehemalige Spielerinnenn von Fuhr meldeten sich

Bei der Anlaufstelle für Gewalt und Missbrauch im Sport haben sich inzwischen 30 ehemalige Spielerinnen von Fuhr gemeldet. Es fragt sich warum ein Trainer, unter dem offensichtlich viele Spielerinnen sehr gelitten haben, so lange weitermachen konnte. Die HSG Blomberg-Lippe bedauert inzwischen in einer Stellungnahme auf ihrer Homepage, dass Spielerinnen bis heute unter der seelischen Gewalt Fuhrs leiden: "Sportliche Erfolge dürfen keinen Trainer von mutmaßlichem Fehlverhalten freisprechen. Seelische und körperliche Gesundheit steht über allem." Man sei sich der besonderen Verantwortung, gerade gegenüber jüngeren Spielerinnen und ihren Eltern, bewusst.

Auf WDR-Anfrage heißt es weiter: "Im Nachhinein müssen wir zugeben, dass wir hätten genauer hinsehen und eingreifen müssen." Hat der Verein wirklich nicht hingesehen? Doch, sagt die ehemalige Spielerin Angela Malestein. Sie zeigt sich enttäuscht und belastet den Geschäftsführer der HSG Blomberg-Lippe: "Torben Kietsch hat alles mitbekommen." Fuhr war gut 16 Jahre Trainer des ostwestfälischen Vereins, auch für die Jugendarbeit verantwortlich, später auch Sportdirektor. Bei seinem Abschied bezeichnete er die HSG als "sein Baby". Die Trennung 2018: Auf eigenen Wunsch. Beim TuS Metzingen überstand der 51-Jährige danach nur eine Saison, der Vertrag wurde aufgelöst. Die Gründe? Unklar, auch hier wurde Stillschweigen vereinbart und das Ganze vertraglich festgehalten.

Fuhr war trotzdem gefragt – beim BVB, den er zum ersten Meisterinnentitel geführt hat. Aber auch beim Deutschen Handballbund, der ihm 2019 das Amt des Juniorinnentrainers verlieh. Sein "umstrittenes" Bankverhalten sei auch beim DHB bekannt gewesen, heißt es auf WDR-Anfrage. Von schwerwiegenderen Vorwürfen habe man aber nichts gewusst. Erst in diesem Jahr soll es erste Vorwürfe gegeben haben, die dem Handballbund zugetragen wurden. Es habe Gespräche gegeben, mit Fuhr und den Mannschaften. Zwei Monate später erhält der Handballbund nach eigenen Angaben wieder Informationen über ein mögliches Fehlverhalten. Es gibt wieder Gespräche. Diesmal soll eine weitere BVB-Spielerin "eine andere Bewertung" der Situation gegeben haben. Der Handballbund unternahm damals nichts. "Hier wären aus heutiger Sicht [...] eine tiefergehende Analyse und ein weiteres Vorgehen sinnvoll gewesen", schreibt der Deutsche Handballbund dem WDR jetzt.

"Mit 180 Stundenkilometern ganz weit weg von Blomberg"

Angela Malestein zog Konsequenzen – als es mit 19 Jahren eine Ermahnung vom Arzt gab. Rote Flecken am ganzen Körper, Beulen, Juckreiz. Womöglich eine Reaktion auf den Stress. Für die Niederländerin kam nach zwei Jahren schließlich der Zeitpunkt, zu einem anderen Verein zu wechseln. Ab 2014 spielte sie für sechs Jahre bei der SG BBM Bietigheim.

Bei einem ihrer letzten Spiele für Blomberg hat sie den entscheidenden Siebenmeter verwandelt. In der Schlussminute qualifizierte sich der Verein für den Europapokal – da war schon längst klar, dass sie nach Bietigheim geht: "Vor dem letzten Ligaspiel mit Blomberg haben meine Mama und ich dort alles zusammengepackt, Schlüssel abgegeben […] und dann mit 180 Stundenkilometern ganz weit weg von Blomberg gefahren."