Handball-EM EM: Corona-Chaos beim DHB-Team - Liga-Chef Schwenker in Sorge

Stand: 20.01.2022 19:45 Uhr

Ein Dutzend Corona-Fälle im deutschen Handball-Nationalteam, eine abgelehnter Antrag auf Spielverlegung und sogar Gedanken über den EM-Rückzug - Omikron wirbelt alles durcheinander. HBL-Präsident Uwe Schwenker spricht von einer wilden "Achterbahnfahrt".

Von Hendrik Deichmann, Christian Görtzen

Als es um die Benennung der drei aktuellsten Nachrücker für das deutsche Handball-Nationalteam ging, kam auch der Liga-Chef kurz ins Schwimmen. "Reichmann, Schmidt und ... äh, wer war der Dritte? Weiß ich jetzt gar nicht. Ach, und Stutzke, die haben ganz individuell für sich entschieden, dass sie der Nationalmannschaft helfen wollen", sagte Schwenker vor dem ersten Hauptrundenspiel des DHB-Teams gegen Spanien, das am Donnerstagabend mit 23:29 (12:14) verloren ging.

Angesichts der Vielzahl der Corona-bedingten Hiobsbotschaften aus dem deutschen Kader und der entsprechenden Nachmeldungen von Profis ist es aber auch nicht verwunderlich, dass selbst der Präsident der Handball-Bundesliga (HBL) den Überblick verliert.

Zwölf Nationalspieler mit Corona-Infektionen

Die Nachnominierungen von Tobias Reichmann (MT Melsungen) sowie David Schmidt und Lukas Stutzke (beide Bergischer HC) waren durch die Corona-Infektionen infolge der Omikron-Welle bei Sebastian Heymann (Frisch Auf Göppingen), Christoph Steinert (HC Erlangen) und Turnierdebütant Djibril M'Bengue (FC Porto) notwendig geworden. Ansonsten wäre für Bundestrainer Alfred Gislason der Kader zumindest für die Spiele gegen Spanien und Norwegen (Freitag) zu klein gewesen.

"Wir sitzen wirklich wie in einer Achterbahn und wissen gar nicht, was in der nächsten Kurve auf einen zukommt. Die Lage ist aber, wie sie ist. Wir haben aktuell zwölf Fälle und wenn man noch einen aus dem Staff hinzurechnet, sind wir bei 13 Fällen", sagte der 62-Jährige.

"Da stellt sich dann schon die Frage nach der Sinnhaftigkeit des Wettbewerbs."
— Uwe Schwenker, HBL-Präsident

Am Mittwoch, dem spielfreien Tag zwischen Vorrunde und Beginn der Hauptrunde, herrschte im deutschen Lager großer Redebedarf. Es ging um das Spiel gegen Spanien und sogar darum, ob das DHB-Team die EM fortsetzen oder aber den Rückzug verkünden solle. Der Antrag der Mannschaftsleitung auf eine Verlegung der Partie gegen Europameister Spanien wurde von der Europäischen Handball-Föderation abgewiesen. Das teilte die EHF am Donnerstagmittag mit, sechs Stunden vor dem Anwurf.

DHB will Lage täglich neu bewerten

Bereits am Mittwochabend hatten sich bei einer Krisensitzung die Spieler, die Verbandsspitze des DHB und Ligavertreter darauf verständigt, es im ersten Schritt mit weiteren Nachnominierungen zu versuchen. DHB-Vorstandschef Mark Schober beschrieb die Situation als "sehr dynamisch". Man werde die Lage täglich neu bewerten. Es könne durchaus sein, dass man bei neuer Faktenlage "wieder eine andere Entscheidung treffen" müsse, so Schober.

"Letztlich ist es auch nicht so, dass der DHB die Möglichkeit hätte, jetzt einfach die Sachen zu packen und von der EM abzureisen."
— Uwe Schwenker

"Wir haben alles aus medizinischer Sicht, gesundheitlicher, wirtchaftlicher und rechtlicher Sicht genau geprüft. Und letztlich ist es auch nicht so, dass der DHB die Möglichkeit hätte, jetzt einfach die Sachen zu packen und von der EM abzureisen", sagte Schwenker. Der Ball liege diesbzeüglich in erster Linie bei der EHF und gegebenenfalls bei den Ausrichtern, beim ungarischen und slowakischen Verband.

"Das haben wir natürlich zu respektieren. Und da haben wir uns die Frage gestellt: Macht es Sinn, weitere Spieler hinzuschicken? Das wurde kritisch und kontrovers diskutiert", so der gebürtige Bremer. Da die drei kontaktierten Spieler erklärt hätten, der Mannschaft helfen zu wollen, und da auch die Clubs ihr Einverständnis gegeben haben, sei der Entschluss zu einer weiteren Nachnominierung gefallen. "Aber ich glaube, das wird nicht unendlich so weitergehen. Dessen sind sich alle bewusst. Die Clubs sind schließlich nicht besonders glücklich mit der Situation."

SG-Trainer Machulla zeigt Verständnis

Von Maik Machulla, dem Trainer der SG Flensburg-Handewitt, gab es hingegen Rückendeckung. "Der DHB tut in Sachen Infektionsschutz weit mehr", als die Europäische Handball-Föderation (EHF) als Veranstalter vorgesehen habe, schrieb der 45-Jährige in seiner EM-Kolumne in den Tageszeitungen des Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlags (sh:z).

"Die Mannschaft lebt im Hotel auf zwei Etagen in einer eigenen Blase, hat einen eigenen Koch dabei", ergänzte Machulla. Der DHB handele vorbildlich, indem er die Bundesligisten mit einer täglichen Rundmail auf dem Laufenden hält. "Wir fühlen uns da sehr gut mitgenommen", sagte der SG-Coach.

Kastening: "Keiner wird zum Bleiben gezwungen"

Schwenker hofft darauf, "dass die Infektionskette irgendwann reißt und dass die infizierten Nationalspieler schnell wieder gesunden und zurückkehren". Er verwies auch darauf, dass es bei sehr vielen Spielern gar keine oder nur milde Symptome gegeben habe. Timo Kastening (MT Melsungen) klagte Anfang der Woche über Hals- und Kopfschmerzen sowie Husten. Wie alle positiv Getesteten ist der Rechtsaußen vom Rest der Mannschaft isoliert und befindet sich allein auf seinem Hotelzimmer.

"Man kann sich hier nicht beschweren", sagte der aus seinem Zimmer in die Live-Übertragung der ARD zugeschaltete Handballer. Alle würden "top verpflegt" werden. Es sei nicht so, wie er es in den Medien als Hölle von Bratislava wahrnehme. "Jeder Mensch war vielleicht auch schon mal ein bisschen krank. Dass man da schreibt, es hat alle umgehauen - so etwas kann ich nicht nachvollziehen", meinte der Handballer.

"Jeder Spieler, der in Isolation sitzt oder nachgereist ist, möchte eine Europameisterschaft spielen. Dafür haben wir uns entschieden", betonte Kastening. Man sei stolz darauf, dass man mittlerweile immer noch im Turnier ist. "Wir wollen das Land so gut es geht vertreten. Keiner wird zum Bleiben gezwungen. Wir sind glücklich, für Deutschland spielen zu können."

Dieses Thema im Programm:
Sport aktuell | 20.01.2022 | 18:25 Uhr