Handball-EM | Corona Mehr als 100 infizierte Spieler - Superspreader Handball-EM

Stand: 23.01.2022 13:45 Uhr

Die Europäische Handballföderation EHF spricht von 70 mit dem Coronavirus infizierten Spielern bei der Handball-EM. Rechnet man die Vorbereitung noch hinzu, dürfte die Zahl von Coronafällen noch weitaus höher ausfallen. Die EHF verteidigt ihr Konzept vehement - und setzt die deutsche Delegation unter Druck.

Die deutsche Handball-Nationalmannschaft macht mit ihren zahlreichen Coronafällen weiter Schlagzeilen. Am Samstag (22.01.2022) stieg die Zahl der infizierten deutschen Spieler bei der Europameisterschaft 2022 in Ungarn und der Slowakei auf 13, hinzu kommt Co-Trainer Erik Wudtke. Mit den verbliebenen Spielern tritt Deutschland am Sonntag um 18 Uhr in der Hauptrunde gegen Schweden an (live im Ersten ab 17.45 Uhr).

Wie groß das Fiasko ist, zeigt das Beispiel von Sebastian Firnhaber: Der Abwehrspezialist des HC Erlangen reist am Dienstag zusammen mit vier anderen Nationalspielern nach. Am selben Tag kommt er gegen Polen als Reservespieler nicht zum Einsatz.

Am Donnerstag wird er kurzfristig aus dem Kader gestrichen, weil sein Erlanger Teamkollege Christoph Steinert nach negativen Tests plötzlich doch spielen kann. Am Freitag sitzt Firnhaber gegen Norwegen auf der Tribüne - und am Samstag erhält er ein positives Testergebnis, Steinert auch. Was für eine EM!

Viele Nationen stark betroffen - laut EHF 70 Positivfälle bei Spielern

Man könnte leicht annehmen, das Coronavirus hätte das deutsche Team deutlich schwerer getroffen als alle anderen. Doch der Eindruck täuscht. Nationen wie Polen, Montenegro, Kroatien, Serbien und Island kommen auf ähnliche Fallzahlen.

Die EHF bezifferte auf Sportschau-Anfrage die während der EM positiv getesteten Spieler auf 70. Hinzu kämen, Stand Samstag, elf positive Tests bei Offiziellen aus den Mannschaftsstäben.

Das Portal "Handball-World" hat schon im Vorfeld die Geschehnisse verfolgt und alle Coronafälle seit Januar zusammengezählt. Es kommt, Vorbereitung und Turnier zusammengefasst, auf deutlich mehr als 100 positiv getestete Spieler im Zusammenhang mit der EM. Und es ist erst die Hälfte des Turniers gespielt.

Infektionsketten mitgebracht

Wie konnte es so weit kommen? Einige Nationen hatten Infektionsketten mit zu den EM-Spielorten gebracht, die Polen zum Beispiel nach Bratislava. Sie verkündeten nach der Ankunft fünf positive Testergebnisse, in der Folge kamen drei weitere hinzu.

Die polnische Delegation ist im selben Hotel untergebracht wie ihre Vorrundengegner Belarus, Österreich und Deutschland. Österreichs Spieler Sebastian Frimmel berichtete im Podcast "Kreis Ab" davon, dass beim ersten Frühstück alle Teams zur selben Zeit im Essensraum waren. "Das war sehr eng und es war viel los."

EHF verteidigt Verzicht auf Turnier-Bubble

Ob es an solchen Details lag, dass Deutschland wenige Tage später seine ersten Fälle verkünden musste, ist Spekulation. Infektionsmöglichkeiten gibt es ohnehin reichlich, denn die EHF verzichtet auf eine Turnier-Bubble wie bei der WM 2021 in Ägypten, wo es während des Turniers kaum zu Ansteckungen kam.

Einen Fehler sieht die EHF darin aber nicht. "Ein Bubblesystem hätte zur Folge gehabt, dass wir in die Zeiten von 2020 zurückgehen", sagte EHF-Generalsekretär Martin Hausleitner am Freitag. "Mit geimpften Spielern war das von vorneherein nicht vorgesehen. Natürlich sind wir konfrontiert worden mit der Omikron-Situation, aber ein Bubblesystem hätte auch bedeutet, dass wir nicht nur ohne Zuschauer spielen müssen, sondern auch ohne Medienvertreter."

Alle Beteiligten der 2G-Veranstaltung Handball-EM sind geimpft oder genesen. Das schützt sie vor schweren Verläufen, und so ist auch nicht bekannt, dass einer der infizierten Spieler ernsthaft erkrankt wäre.

Aber die Virusvariante Omikron gilt als hoch ansteckend und umgeht weitgehend den Infektionsschutz von Geimpften und Genesenen. Selbst Menschen mit Booster-Impfung können sich noch anstecken und das Virus weitergeben.

Hausleitner bezweifelt, dass eine Bubble unter diesen Voraussetzungen geholfen hätte. "Mit Omikron ist absolut nicht sichergestellt, dass wir die Situation verändert hätten. Denn wir haben verschiedenste Arten von Infektionen kennengelernt und jeder weiß, dass es innerhalb einer Mannschaft zu Infektionen kommen kann."

EHF droht mit Aus für WM 2023 und Heim-EM 2024

Der europäische Handballverband hat nur wenige Details aus seinem Hygienekonzept, das noch aus Zeiten vor Omikron stammt, nachgebessert. Erst nach einer Turnierwoche und dutzenden Infektionen verkürzte sie den PCR-Test-Rhythmus von zwei Tagen auf einen Tag.

Die anderen neuen Maßnahmen zielten dagegen darauf ab, dass Teams trotz Corona-Ausbrüchen genügend Spieler zur Verfügung haben. Sie können so viele Spieler nachnominieren, wie sie brauchen. Und Infizierte können sich bereits nach fünf Tagen freitesten.

Deutsches Team: Über Abreise diskutiert

Dies verdeutlicht: Die EHF will ihr Turnier auf jeden Fall durchbringen. Dass sich betroffene Teams vorzeitig zurückziehen, ist nicht vorgesehen - das hat auch der Deutsche Handballbund zu spüren bekommen. Dort wurde nach den zahlreichen Infektionen intensiv über eine Abreise diskutiert.

Aber diese wäre teuer geworden, wenn man die Worte von EHF-Generalsekretär Hausleitner hört. "Ein Ausscheiden aus dem Turnier hätte nach unserem Rechtssystem eine Sperre der Nation bedeutet - also keine Teilnahme an der WM-Qualifikation und schwierige Umstände bezüglich der Ausrichtung 2024. Es hätte wirtschaftliche Konsequenzen gegeben, die wir verpflichtet gewesen wären, auch einzufordern."

DHB unter Druck

Keine Teilnahme an der WM 2023, dazu die Heim-EM 2024 in Gefahr - bei dieser Drohkulisse seitens der EHF blieb dem DHB wohl kaum eine andere Möglichkeit, als im Turnier zu verbleiben. Die wirtschaftlichen Folgen eines Rückzugs wären desaströs gewesen.

Jetzt können auch die Bundesligavereine nur hoffen, dass sich die gesundheitlichen Folgen in Grenzen halten für die infizierten Spieler und für jene, die mit zu wenig Trainingsvorbereitung auf der Platte stehen.