Handball | Bundesliga Wochen der Wahrheit: Abstiegskampf-Check in der Handball-Bundesliga

Stand: 10.06.2021 23:30 Uhr

Vier Spieltage vor Saisonende geht es im Keller der Handball-Bundesliga eng zu: Der TVB Stuttgart, die Eulen Ludwigshafen und Balingen-Weilstetten kämpfen um den Klassenerhalt. Wer hat die besten Karten und wer das schwerste Restprogramm? SWR Sport sprach mit den Trainern und präsentiert die Teams im Abstiegskampf-Check.

Dem TVB geht die Puste aus

Nach einem tollen Saisonstart und der zwischenzeitlichen Tabellenführung verlor der TVB Stuttgart im Saisonverlauf die Form und ist mittlerweile kurz davor, in den Abstiegsstrudel zu rutschen. Aktuell steht der TVB nach 34 absolvierten Spielen mit 27:41 Punkten auf Tabellenplatz 14. Bis zum ersten Abstiegsplatz sind es nur noch drei Punkte Vorsprung.

Dass der TVB in dieser Saison doch noch um den Klassenerhalt zittern muss, liegt an einer schwachen Rückrunde, fehlender Konstanz und zu vielen enttäuschenden Auftritten gegen direkte Konkurrenten. Und, so Trainer Jürgen Schweikardt, an der Stärke jener Konkurrenten: "Vor der Saison hätte jeder gesagt, mit 27 Punkten ist man durch. Man muss den Eulen und Balingen aber auch einfach Respekt zollen. Die machen enorm Druck auf uns."

Die Leistung der eigenen Mannschaft schwankte seit dem Jahreswechsel zwischen Hurra-Handball und kollektivem Zusammenbruch. Sinnbildlich dafür stehen die Erfolge gegen die Rhein-Neckar-Löwen oder Frisch auf Göppingen - genauso wie die Niederlagen gegen eben jene Eulen Ludwigshafen, den HSC 2000 Coburg oder TuSEM Essen.

X-Faktor Johannes Bitter

Die sinkende Formkurve hing auch mit der Verletzung des Kapitäns Johannes "Jogi" Bitter zusammen. Der Torhüter fehlte dem TVB aufgrund einer Meniskusverletzung mehrere Monate. Bei der 25:28-Niederlage gegen die Füchse Berlin saß der 38-Jährige, der zum Ende der Saison den TVB nach fünfeinhalb Jahren verlassen wird, zumindest wieder auf der Bank.

"Er hilft uns vor allen Dingen auch durch seine Aura und durch seine Mentalität", so Schweikardt. Die Präsenz und das Leistungsvermögen des Routiniers fehlten dem TVB in der Rückrunde enorm und könnten die Schwaben in der entscheidenden Phase der Saison beflügeln.

Auch auf die Leistungen von Viggó Kristjánsson wird es in den kommenden Wochen ankommen. Der Isländer kam vor der Saison von der HSG Wetzlar und ist aktuell viertbester Werfer der Liga. Mit Patrik Zieker und Adam Lönn stehen zwei weitere Leistungsträger in der Pflicht, die eigene ansteigende Form der letzten Spiele zu bestätigen.

Abstiegswahrscheinlichkeit: 5 Prozent

Zwar ging der Mannschaft von Trainer Schweikardt, der zur neuen Saison von Roi Sánchez beerbt wird, im Laufe der Saison die Leichtigkeit verloren, doch die Rückkehr des Kapitäns und die ordentlichen Auftritte gegen die Füchse Berlin und den TSV Hannover-Burgdorf machen Mut für die kommenden Aufgaben.

Um auch die letzten Restzweifel zu beseitigen, wird es darauf ankommen, die Leistungsschwankungen und die schwachen Anfangsphasen in den Griff zu bekommen.

HBW trotz starker Saison nur knapp über dem Strich

Der HBW Balingen-Weilstetten spielt nach der abgebrochenen letzten Saison seine erste vollständige Bundesliga-Spielzeit seit dem Wiederaufstieg 2019. Mit keiner anderen Erwartungshaltung als dem Klassenerhalt gingen die Verantwortlichen des HBW in die aktuelle Saison. Zumal mit Martin Strobel (Karriereende) ein Routinier und Europameister den Verein verließ und nur wenig namhaftes Personal den Kader verstärkte. In der Vorbereitung verletzte sich dann auch mit Marcel Niemeyer (Fußbruch) noch einer der wenigen Erstliga-Erfahrenen langfristig.

Entsprechend holprig verlief der Start in die Saison: Sechs Niederlagen in Serie setzte es zu Saisonbeginn. Doch der HBW hat sich gefangen. Nach zuletzt vier Siegen aus acht Spielen stehen die Balinger auf Platz 16, einem Nichtabstiegsplatz, und verbuchen nach 34 Spieltagen 25:43 Punkte.

Konkurrenz lässt nicht locker

Dass man beim HBW die Füße noch nicht hochlegen kann, liegt vor allem daran, dass die Teams von unten nicht zurückstecken, weiß Trainer Jens Bürkle: "Die Eulen spielen eine Top-Runde, wir spielen eine Top-Runde. Da unten sind nochmal ein, zwei Mannschaften, die sich im Vergleich zum Vorjahr deutlich verbessert haben."

Besonders die Eulen haben die Abstiegssorgen des HBW noch einmal deutlich verschärft. Mit drei Punkten Vorsprung reisten die Balinger am 32. Spieltag nach Ludwigshafen zu den Eulen und verloren 22:27. Damit sind die Eulen wieder bis auf einen Punkt herangerückt. Für Bürkle kein Beinbruch, zumal im Folgespiel mit den Rhein-Neckar-Löwen der Tabellenvierte geschlagen wurde (32:30).

Abstiegswahrscheinlichkeit: 35 Prozent

Im Saisonendspurt spricht für den HBW, dass sich dieser im Abstiegskampf in vertrautem Terrain befindet. Der Verein weiß, wie man in Drucksituationen die Ruhe bewahrt. "Wir können ganz gut mit Problemen umgehen und haben immer wieder Lösungen für schwierige Situationen gefunden. Das ist auch ein Charaktermerkmal dieser Mannschaft", sagt Bürkle und blickt mit Vorfreude auf den Showdown der Handball-Bundesliga.

Eulen Ludwigshafen: erneutes Wunder?

2018 und 2019 sicherten sich die Eulen Ludwigshafen in einem Herzschlagfinale den Klassenerhalt in der Handball-Bundesliga jeweils am letzten Spieltag. Letztes Jahr wurde der Klassenerhalt aufgrund des Ligaabbruchs am Grünen Tisch eingetütet. Jetzt bahnt sich die nächste Sensation an.

Nachdem sich die Eulen zu Beginn der Saison gewohnt schwer taten, schnuppern sie spätestens seit dem Sieg im Kellerduell gegen den HBW wieder am Klassenerhalt. Auch nach dem Unentschieden gegen Leipzig fehlt dem Siebzehnten nur ein Punkt zum HBW und zum rettenden Ufer.

Der Sieg gegen die Balinger war nur das Resultat dessen, was sich seit Wochen angebahnt hatte: eine abermals sensationelle Aufholjagd zum Saisonfinale. Kassierten die Ludwigshafener in der Hinrunde teils deutliche Niederlagen, siegte das Team von Trainer Benjamin Matschke in den letzten zwölf Spielen sieben Mal.

Die Großen warten

Ein Merkmal der Eulen: Sie gewinnen die Spiele gegen die direkten Konkurrenten. Coburg, Stuttgart, Balingen, Essen - allesamt schlug die Mannschaft von Trainer Ben Matschke in der Rückrunde. Eine Eigenschaft, die das Team von den Mitkonkurrenten abhebt, doch im Saisonfinale wenig helfen wird.

Da müssen sie zeigen, dass die beeindruckende Form auch gegen die Großen Bestand hält. Bis auf den TSV GWD Minden spielen die Ludwigshafener nur noch gegen Teams aus der oberen Tabellenhälfte. Darunter auch die Top-Teams aus Magdeburg und Kiel. Trainer Matschke ist von der eigenen Stärke überzeugt: "Wir glauben an uns und sind selbstbewusst."

Abstiegswahrscheinlichkeit: 60 Prozent

Ein Motivationsschub könnte für das Team sein, dass sie der Erfolgsgeschichte unter Trainer Matschke zum Ende hin die Krone aufsetzen könnten. Der 38-Jährige verabschiedet sich nach sechs Jahren Trainertätigkeit und vielen Jahren als Spieler und Kapitän zum Saisonende in Richtung der HSG Wetzlar und wird in der kommenden Spielzeit durch Ceven Klatt ersetzt.

Angesichts des neuen Selbstvertrauens der Eulen durchaus denkbar, dass sie im Saisonfinale auch den Großen die Punkte klauen und Matschke mit einem erneut sensationellen Klassenerhalt den Abschied bereiten, den er verdient hätte.