Nach Zusammenprall Zusammenstoß mit Gosens - Hätte Pavard vom Platz gemusst?

Stand: 16.06.2021 10:53 Uhr

Der Franzose Benjamin Pavard ging im Spiel gegen Deutschland nach einem Zusammenprall mit Robin Gosens zu Boden und blieb benommen liegen. Trotz der aktuellen Diskussion um Kopfverletzungen im Fußball und der Gefahr von Gehirnerschütterungen spielte er weiter.

Es sah schlimm aus: Der Franzose Benjamin Pavard ging im EM-Spiel gegen Deutschland in der 59. Minute nach einem Zweikampf mit Robin Gosens zu Boden. Der deutsche Linksverteidiger traf Pavard mit voller Wucht mit der Hüfte am Kopf, der Franzose schlug mit dem Gesicht hart auf den Rasen auf.

Der Abwehrspieler in Diensten des FC Bayern München war eigenen Angaben zufolge schwer benommen. "Ich war ein wenig ausgeknockt. Zehn bis 15 Sekunden lang. Danach war es besser", sagte er dem TV-Sender "beIN Sports". Nach kurzer Behandlung kehrte der 25-Jährige auf den Platz zurück und spielte die Partie dann noch zu Ende.

Zuverlässige Diagnose erscheint fraglich

Die französischen Teamärzte waren sich offenbar sicher, dass Pavard keine Gehirnerschütterung erlitten hatte. Doch konnten sie das wirklich sein?  Ob in nur wenigen Minuten eine zuverlässige Diagnose gestellt werden kann, ist sehr fraglich. Hätte Pavard kurze Zeit später erneut einen schweren Schlag auf den Kopf bekommen, hätte das schlimme Folgen haben können. Ärzte warnen vor dem "Second Impact Syndrome", das mit einem Hirnödem oder einer Hirnblutung im Extremfall tödliche Folgen haben kann. 

Spielergewerkschaft FIFPro verlangt Klärung von UEFA

Der Weltverband FIFA unterstützt aktuell das sogenannte SCAT5-Verfahren. Das ist ein standardisiertes Testverfahren zur Beurteilung ob, und wenn ja, in welchem Umfang eine Gehirnerschütterung vorliegt. Der Zeitrahmen dafür beträgt mindestens zehn Minuten.

Die Spielergewerkschaft FIFPro hat dazu eine klare Meinung: "Einen Spieler mit einer Gehirnerschütterung auf das Spielfeld zu lassen, ist extrem gefährlich. Dies sollte um jeden Preis vermieden werden."

Vorgehen bei Pavard: Missachtung der Gehirnerschütterungs-Charta

Aus Sicht der FIFPro stellten die Abläufe bei Pavard eine Missachtung der von allen 24 EM-Teilnehmerverbänden unterzeichneten Gehirnerschütterungs-Charta dar. In der Grundsatzvereinbarung ist festgeschrieben, dass ein Spieler schon beim Verdacht auf eine im Verlauf der Begegnung erlittene Gehirnerschütterung aus dem Spiel genommen werden soll. "Die FIFPro steht mit der UEFA in Kontakt, um herauszufinden, warum die Charta nicht angewandt und Pavard in der Folge nicht vom Spielfeld genommen wurde", teilte die Spieler-Vereinigung mit.

Auch das International Football Association Board (IFAB), das die Regeln des Fußballspiels berät und beschließt, will die Spieler schützen. "Im Zweifel soll der Spieler vom Platz genommen werden", sagte Geschäftsführer Lukas Brud erst zuletzt gegenüber der Sportschau.

Zu erklären ist das Verhalten der Franzosen daher nicht. Trainer Didier Deschamps wollte offenbar im wichtigen Auftaktspiel nicht auf seinen Abwehrspieler verzichten, obwohl er noch gar keine Spieler ausgetauscht hatte. Erlaubt sind fünf Wechsel.

Der Fall Pavard ist nicht die erste Situation bei dieser EM, in der der Umgang mit Kopfverletzungen Fragen aufwirft.

Unklare Frage der Verantwortlichkeit

Um Spieler auch in Situationen schützen zu können, in denen das normale Kontingent bereits oder nahezu erschöpft ist, soll es bald sogar eine zusätzliche Auswechslung geben, wenn der Verdacht auf eine Kopfverletzung vorliegt. Dazu läuft aktuell eine Testphase - allerdings nicht bei der EM. Die Maßnahme, die dafür dafür sorgen soll, dass im Zweifel auch wirklich gewechselt wird, wurde beispielsweise bei der U21-EM getestet.

Das große Problem bei Kopfverletzungen im Fußball ist aber die unklare Frage der Verantwortlichkeit. Wer entscheidet, ob eine Auswechslung nötig ist? "Der Schiedsrichter auf keinen Fall, das sind nur selten Mediziner", sagt IFAB-Geschäftsführer Brud. Auch einen neutralen Arzt könne das Regelwerk nicht vorschreiben. "Wir brauchen einen Ansatz, der in jeder Liga funktioniert", schrieb eine Expertengruppe des IFAB - also auch im Amateurfußball.