Analyse zu Frankreich - Deutschland DFB-Team - okay reicht gegen Frankreich nicht

Stand: 16.06.2021 06:45 Uhr

Deutschland verliert zum Auftakt der EURO 2020 gegen Frankreich, weil der Plan zu Lasten der Offensive geht. Die Leistungen der meisten Spieler waren befriedigend, aber eben auch nicht mehr. Das galt auch für den Bundestrainer. Die Analyse.

Mats Hummels breitete fragend die Arme aus und wandte sich an die deutsche Trainerbank. Da erstmals nach langer Zeit mal wieder viele Zuschauer ein Spiel der deutschen Nationalmannschaft sehen durften, war nicht zu verstehen, was der Schütze des Eigentores wissen wollte.

Bundestrainer Joachim Löw und sein Assistent Marcus Sorg kamen aufgeregt an die Seitenlinie und deuteten mit den Händen an, wie sich die Mannschaft nach den Einwechslungen von Emre Can und Kevin Volland nun sortieren sollte.

So wild wie die Anweisungen schien die neue Strategie hinter den Wechseln zu sein, die in der 88. Minute auch reichlich spät kamen. Eine gute Viertelstunde zuvor hatte Löw die beiden schwachen Kai Havertz und Serge Gnabry durch Timo Werner und Leroy Sané nahezu eins-zu-eins ersetzt. Auch hier war der Erfolg überschaubar geblieben.

Hauptproblem: Dominant, aber zu wenig Torchancen

Die Arbeitsleistung des Bundestrainers passte am Dienstagabend (15.06.2021) zu der seiner Mannschaft: Es war schon okay, denn der Grundgedanke stimmte, der Plan in seiner 3-4-2-1-Formation auch, aber es war halt auch nicht besser als okay.

"Wir müssen uns den Vorwurf gefallen lassen, dass wir aus unserer Dominanz zu wenig Torchancen erspielt haben", sagte Löw und sprach damit das Hauptproblem an.

Deutschland mit 60 Prozent Ballbesitz

Dieses Problem war auch an den Daten abzulesen. Deutschland kam auf 60 Prozent Ballbesitz. Das war zwar eine geschenkte Dominanz, denn der Weltmeister mit Trainer Didier Deschamps setzte auf eine sichere, teilweise sehr passive Defensive, um dann zu kontern. Aber es war eine Dominanz.

Sie warf nur keinen Ertrag ab. In der Regel laufen Mannschaften mit weniger Ballbesitz dem Gegner hinterher, weil der den Ball zirkulieren lässt, die Seiten verlagert. Frankreich aber lief mit 109 Kilometern fünf weniger als die deutsche Mannschaft.

Den Eindruck, dass der Weltmeister in seiner variablen Mischung aus einem 4-4-2 und 4-3-3 mit vergleichsweise geringem Aufwand kaum Chancen des Gegners zuließ, deckte auch das Spiel.

Es gab zu wenige Situationen, in denen die Seiten verlagert wurden und deutsche Offensivspieler dann unterstützt von den äußeren Mittelfeldspielern in Überzahlsituationen kamen. Selten fanden deutsche Spieler zwischen den französischen Linien Raum, ließen sich dort anspielen und öffneten damit andere Räume, weil ein Gegner gefolgt und damit aus seiner Position gegangen war.

Abwehrdrittel des Gegners als Sperrgebiet

"Natürlich hat Frankreich eine Riesenqualität", sagte Robin Gosens auf die Frage, warum das Abwehrdrittel des Gegners ein Sperrgebiet gewesen sei. Die Antwort lenkte ein bisschen von den eigenen Versäumnissen ab.

Löw sagte, angesprochen auf dasselbe Problem: "Im letzten Drittel konnten wir uns nicht immer so durchsetzen, da müssen wir uns noch ein bisschen verbessern." Er gab auch zu, das Problem in Kauf genommen zu haben: "Wir hatten alle Hände voll zu tun, um gut zu verteidigen."

Die Angst vor einem Konter, der das 2:0 bringt, war groß. Daher änderte der Bundestrainer erst ganz spät die Strategie. So bauten mit den drei Innenverteidigern und dem "Sechser" Toni Kroos oft vier Spieler auf, die dann auch nicht nachrückten, um gegen Konter gewappnet zu sein. Mit wenigen Ausnahmen waren sie das, aber die Vorsicht ging sehr zu Lasten der Offensive. Die Statistik zeigte zwar elf zu vier Torschüsse zugunsten der deutschen Mannschaft an, aber auch hier war es eine Scheindominanz.

Gegentor trotz deutlicher Überzahl in Ballnähe

"Die Qualität von Frankreich wollten wir kompakt verteidigen, das haben wir geschafft. Wir waren unglaublich griffig in den Zweikämpfen", sagte Gosens zur Priorität in Löws Strategie. In der Videoanalyse zur Nachbereitung wird er jedoch sehen, dass dies vor dem entscheidenden Tor eben nicht der Fall war.

Obwohl die deutsche Mannschaft in deutlicher Überzahl in Ballnähe ist, kann der überragende Paul Pogba nach Ablage von Karim Benzema ohne jeglichen Druck den Pass mit dem Außenrist auf Lucas Hernández spielen. Dessen scharfe Hereingabe schoss Hummels ins eigene Tor. "Kann passieren. Alles gut", sagte Gosens. Gegen Portugal muss es aber besser werden.