Nach dem Halbfinaleinzug Jorginho bringt Italien zum "Ticken"

Stand: 05.07.2021 13:03 Uhr

Jorginho, Italiener mit brasilianischen Wurzeln, bestimmt den Takt der "Squadra Azzurra". Der 29-Jährige fällt zwar kaum auf, aber Trainer Roberto Mancini sieht in ihm den wichtigsten Spieler seines Teams.

Es ist fast schon ein wenig tragisch, dass er so selten zu sehen ist. Wenn der Ball im letzten Drittel des Gegners ist, dann ist Jorginho nicht mehr präsent. Zumindest in den Augen der Menschen vor den Fernsehschirmen. Der italienische Mittelfeldspieler überlässt anderen die Show: Insigne, Immobile, Chiesa. Der 29-Jährige kümmert sich lieber um die Organisation seiner Mannschaft.

Solche Spieler sind Lieblinge der Trainer, nicht die der Massen. Roberto Mancini zählt zu diesen Verehrern. Während alle Positionen seines Teams in jedem Spiel neu erkämpft werden müssen, ist die "Acht" für Jorge Luiz Frello Filho, wie Jorginho mit bürgerlichem Namen heißt, fest vergeben. Er schreit, dirigiert, gibt die Richtung der Italiener vor - bisher in einer Weise, bei der sich die Tifosi die Augen reiben, weil sie einen derart attraktiven Fußball ihres Nationalteams wohl noch nie gesehen haben. "Ich rede tatsächlich immer", sagt Jorginho, weil er von seiner Position aus den besten Überblick habe.

Wenig Spektakel, viel Sicherheit

Von allen italienischen Feldspielern stand "Jorgi", wie Jorginho auch genannt wird, bisher am längsten auf dem Platz (465 Minuten). Er ist zweikampfstark (65 Prozent gewonnene Duelle) und enorm ballsicher (95 Prozent seiner Zuspiele zum Mitspieler kommen an). Alles Werte, die wenig Spektakel, aber viel Sicherheit versprechen. "Er ist für uns ein sehr wichtiger Spieler, da er das Tempo vorgibt und die ganze Mannschaft zum Ticken bringt", sagt Mancini über seinen wichtigsten Spieler.

Jorginho hat seine Wurzeln in Brasilien, wuchs in Imbituba bei seiner Mutter auf, die ebenfalls Fußball spielte. Mit 15 ging Jorginho nach Italien zu Hellas Verona, das damals drittklassig in der Serie C beheimatet war. Ein italienischer Unternehmer hatte den technisch versierten, aber viel zu hageren Jungen empfohlen. Er kam in ein Kloster, musste mit sehr wenig Geld überleben, einen Vertrag hatte er nicht. Ob er es zum Profi schaffen würde? Nicht mal er selbst hatte wohl daran geglaubt. Aber: Seine Mutter ermutigte ihn am Telefon, dort zu bleiben - trotz des großen Heimwehs.

Einer wie Motta

Jorginho schaffte tatsächlich den Sprung zu den Profis. Er wechselte zum SSC Neapel, wo Maurizio Sarri die Fähigkeiten des damals sehr jungen Mannes besonders zu schätzen wusste. Italien hatte schließlich bereits einen ähnlichen Spieler wie Jorginho erlebt. Thiago Motta, ebenfalls mit brasilianischen Wurzeln und in der italienischen Nationalelf aktiv, agierte auf dieser Position ähnlich vorausschauend und spielintelligent wie Jorginho.

Jorginhos Verbundenheit zu Italien war irgendwann so groß, dass er die italienische Staatsbürgerschaft annahm, auch weil sich tief in der Ahnengalerie väterlicherseits italienische Wurzeln versteckt hielten.

Nach dem Desaster 2018 kam Jorginho gerade recht

Der italienische Fußball, der nach dem Debakel der Nicht-Qualifikation für die WM 2018 in Russland einen Neustart unter Mancini begonnen hatte, hatte durchaus Verwendung für Jorginho, der 2016 sein Debüt in der A-Nationalelf gegeben hatte.

Mittlerweile hat Jorginho mit dem FC Chelsea die Champions League gewonnen. Sarri hatte seinen "Liebling" einst mit auf die Insel genommen, Trainer Thomas Tuchel schätzt die Fähigkeiten Jorginhos ebenfalls sehr.

Nun soll auch die Krönung mit Italien und dem EM-Titel folgen. Vielleicht wird Jorginho dann wenigstens mit dem Pokal in der Hand prominent ins TV-Bild rücken.