Fußball | Premier League Rangnick bei Manchester United - England ist gespannt auf den Professor

Stand: 30.11.2021 07:48 Uhr

Manchester United lag bei Personalentscheidungen zuletzt oft falsch. Für die Personalie Ralf Rangnick bekommt der Klub viel Applaus. Rangnick bleibt nicht lange - und könnte den Klub doch prägen.

Von Hendrik Buchheister (Manchester)

Zur Begrüßung des neuen Interimstrainers hat Manchester United die Archive durchsucht. Englands Rekordmeister stellte eine Sammlung von Aussagen auf seine Internetseite, die Ralf Rangnick im Laufe seiner Karriere zu Coaching, Taktik, seinem Führungsstil und seiner Vision des Fußballs getätigt hat.

Sie stießen auch auf diese Aussage: "Um die eigene Mannschaft zu entwickeln, zu erziehen und zu trainieren muss man sich sicher sein, welche Art von Fußball man spielen muss. Das haben alle Top-Trainer in Europa gemeinsam. Sie wissen, wie ihr Fußball aussieht."

Bei Rangnicks Vorgänger, dem allseits beliebten Ole Gunnar Solskjaer, war das nicht der Fall. Er hatte keine konkrete Vorstellung davon, wie Manchester United unter ihm spielen sollte. Zwar predigte er ein offensives und dominantes Auftreten, so wie damals, als Sir Alex Ferguson auf der Trainerbank im Old Trafford saß und Solskjaer sich den Ruf als Super-Joker erwarb. Doch das waren nur Worthülsen. Eine echte Philosophie war nicht zu erkennen.

Das mit der Stoppuhr interessiert sie in England

Die Vorträge des roten Ensembles unter Solskjaer waren oft chaotisch und von Zufällen geprägt. Nach Platz sechs, Platz drei und Platz zwei in den vergangenen drei Spielzeiten reichte die Qualität des teuer zusammengestellten Kaders in dieser Saison nicht mehr, um die Konzeptlosigkeit des Trainers zu kaschieren. Manchester United ist Tabellenachter und hat schon fünf Punkte Rückstand auf die Champions-League-Ränge.

Englands Öffentlichkeit geht davon aus, dass Rangnick schnell Ordnung in die unsortierte Truppe bringen wird, denn er hat eine klare Idee von seinem Fußball. Der ehemalige Bundesliga-Trainer und Vordenker der Red-Bull-Klubs, der zuletzt als Sportdirektor bei Lokomotive Moskau angestellt war, gilt als Pate des Gegenpressings. Die schnelle Rückeroberung des Balls und der direkte Weg nach vorne sind seine zentralen Stilmittel.

Das lässt er im Training sogar mit Stoppuhr üben, wie viele englische Zeitungen mit Erstaunen notiert haben. Es ist nicht ausgeschlossen, dass er Manchester United ähnlich schnell auf Kurs bringt wie es Thomas Tuchel beim FC Chelsea gelungen ist. Tuchel übernahm die Londoner Ende Januar und führte sie vier Monate später zum Gewinn der Champions League.

Fußball-England wartet auf den Professor

Tuchel ist einer von vielen deutschen Trainern, die maßgeblich von Rangnicks Lehre beeinflusst wurden, ein anderer ist Jürgen Klopp vom FC Liverpool. Beide habe sich in den vergangenen Tagen voller Hochachtung über den Neuankömmling in der Premier League geäußert, und ihre Worte haben Gewicht in England. Nachdem sich Rangnicks Ankunft im Old Trafford seit ein paar Tagen abgezeichnet hatte und aufgeregt kommentiert wurde, ist die Öffentlichkeit auf der Insel nach Bekanntgabe der Personalie gespannt, den sagenumwobenen Fußball-Professor endlich in Aktion zu erleben.

Wann genau Rangnick die Arbeit aufnehmen kann, hängt allerdings noch von seiner Arbeitserlaubnis und einem negativen Corona-Test ab. Sein Debüt in der Premier League wird er aber wohl am Sonntag (05.12.2021) gegen Crystal Palace geben.

Nach Ferguson passte nicht viel

Für Rangnicks Verpflichtung für den Rest der Saison bekommt Manchester United gerade viel Lob. Zum ersten Mal seit langer Zeit liegt der Verein nach allgemeinem Empfinden richtig mit einer wichtigen Personalentscheidung. Dem Rekordmeister wird seit Jahren der Vorwurf gemacht, sich mehr für kommerziellen Erfolg zu interessieren als für sportlichen Fortschritt. Die wirren Trainer-Entscheidungen seit dem Abschied von Sir Alex Ferguson 2013 dienen dafür als Beleg.

Der von Ferguson selbst bestimmte David Moyes war der Aufgabe nicht gewachsen, Louis van Gaal und José Mourinho waren nicht mehr zeitgemäß, Solskjaer lebte vor allem von seinem Status als Klub-Ikone. Rangnick wird im Vergleich dazu als Geniestreich gesehen.

Er hat die Chance, Manchester United zu prägen, denn er wird dem Verein nach der Saison als Berater erhalten bleiben, laut Vertrag für zwei Jahre. Unter anderem soll er helfen, den neuen Trainer zu identifizieren, der ab der kommenden Saison Regie führt im Old Trafford. Im Gespräch sind Mauricio Pochettino von Paris Saint-Germain, Erik ten Hag von Ajax Amsterdam und Brendan Rodgers von Leicester City.

Spannende Personalie Cristiano Ronaldo

In den kommenden sechs Monaten allerdings ist Rangnick für die sportlichen Geschicke verantwortlich, und es wird besonders spannend zu beobachten sein, wie er mit Cristiano Ronaldo verfährt. Zwar ist der Portugiese im Stande, Spiele dank seiner individuellen Klasse alleine zu entscheiden, auch im Alter von 36 Jahren noch. Zu Rangnicks Pressing-Fußball passt er aber nicht.

Als Ronaldo bei Manchester Uniteds 1:1 am Sonntag beim FC Chelsea nur auf der Bank saß, vermuteten einige Beobachter, dass Rangnick hinter der Entscheidung steckte. Michael Carrick, der die Mannschaft zuletzt betreute, wies das zurück. Im Studio von "Sky Sports" stritten die Ex-Profis Roy Keane und Jamie Carragher leidenschaftlich über Ronaldo.

Das Video davon verbreitete sich in den sozialen Medien rasend schnell. Ob Rangnick von diesem Expertenstreit mitbekommen hat, ist nicht bekannt. Doch ihm dürfte auch so klar sein, dass sein Umgang mit Ronaldo das Thema hitziger Debatten sein wird – ganz egal, wie dieser Umgang aussieht.