WM-Qualifikation Fußball in Nordmazedonien - Ethnische Konflikte, Korruption und Kunstrasen

Stand: 10.10.2021 21:00 Uhr

Ein ethnischer Konflikt stört die Bemühungen Nordmazedoniens, Mitglied der EU zu werden. Bei einem Ortsbesuch schildert unter anderem Harun Isa, ehemals Profi in Deutschland, die Probleme in seiner Heimat. Gerade die Nationalmannschaft sei ein Beleg für die einigende Wirkung des Fußballs. Aber es gibt auch Spalter.

Es ist nicht mal 9 Uhr am Sonntagmorgen (10.10.2021), als auf dem Kunstrasenplatz des Leistungszentrums von KF Vardar Skopje ein Spiel angepfiffen wird. Der letzte Test vor dem Saisonstart in der landesweiten U16-Liga steht an.

Als Meister ist der KF Vardar Skopje aus der ersten mazedonischen Liga abgestiegen. Der Präsident und Gönner, ein Russe, hatte sich im Lauf der vergangenen Saison zurückgezogen. Zum Glück für den Klub war das Leistungszentrum vor den Toren der Stadt schon fertig.

Dortmund gegen Schalke auf nordmazedonisch

Bei der U16 schauen hauptsächlich Eltern zu. Sie stehen hinter dem Zaun, das kniehohe Gras ist triefend nass, es regnet seit Tagen in Skopje. Auch für Montag (11.10.2021), wenn die deutsche Nationalmannschaft im Nationalstadion gegen Nordmazedonien die Scharte der 1:2-Niederlage im Hinspiel auswetzen und sich möglichst schon für die Weltmeisterschaft 2022 in Katar qualifizieren will, ist Dauerregen vorhergesagt.

Harun Isa ist zum Jugendleistungszentrum gekommen, weil sein Sohn Armir spielt. Als dessen Mannschaft dank eines Torwartfehlers in Führung geht, bricht Jubel aus, ungewöhnlich lauter Jubel für ein Testspiel. "Das ist wie Dortmund gegen Schalke", erklärt Harun Isa in perfektem Deutsch.

Isas größter Erfolg: Teilnahme DFB-Pokal-Finale 2001

Er hat lange in Deutschland gespielt, unter anderem für Hertha Zehlendorf und die größere Hertha, auch für TeBe und den FC Erzgebirge Aue. Mit dem 1. FC Union stand er sogar mal im Finale des DFB-Pokals, 2001 war das. Isa traf beim Stand von 0:0 den Pfosten, letztlich setzte sich der FC Schalke 04 mit 2:0 durch.

Armir Isa wird in diesem Monat 15 Jahre alt. Er ist schnell wie der Vater, technisch versiert, körperlich muss er noch zulegen. Sein Verein ist der KF Shkëndija, beheimatet in Tetovo. Die Stadt ist so weit von Skopje entfernt wie Dortmund von Gelsenkirchen, aber die erbitterte Rivalität ist nicht durch die geographische Nähe bedingt.

Tetovo gilt als Stadt der Albaner, Vardar Skopje als Klub der Mazedonier. Offiziell heißt der Staat seit 2018 Nordmazedonien. Dank der Namensänderung wurde formell ein lange schwelender Streit mit Griechenland beigelegt. Das war ein wichtiger Schritt auf dem Weg in die Europäische Union, der aber beschwerlich bleibt, wie sich vor wenigen Tagen beim Westbalkan-Gipfel der EU in Slowenien zeigte.

Junge Menschen verlassen das Land

Unter den knapp zwei Millionen Einwohnern heißt Nordmazedonien weiterhin Mazedonien. Viele junge Menschen haben das Land, das sich 1991 aus dem zerfallenen Jugoslawien löste, verlassen, viele sollen es noch vor haben.

Filip Mishov ist 27 Jahre alt. Der Journalist berichtet für englischsprachige Medien über den Sport in seinem Heimatland. Er ist Mazedonier, lebt aber mit seinen Eltern Zeit seines Lebens im sogenannten albanischen Viertel von Skopje.

Das ist auch für Ausländer leicht auszumachen, denn in diesem Viertel hängt neben den vielen mazedonischen Flaggen auch stets eine albanische. "Wenn du hier mit einem Vardar-Trikot aufkreuzt, gibt es Haue", sagt Mishov. Einmal habe er den Fehler gemacht.

Vardar ist der Name des Flusses, der durch Skopje fließt. Die Promenade ist hübsch renoviert, ein Teil des Weges ist nach Mutter Teresa benannt. Der "Engel der Armen" wurde in Skopje geboren.

Kurzer Krieg Anfang des Jahrtausends

In einem modernen Café am Ufer des Flusses sitzt Harun Isa. "Das ist ein mazedonisches Café. Albaner würden hier kaum reingehen." Einer aber sitzt bestimmt gerade da, denn Isa ist Albaner. "Ich bin auch stolz darauf. Aber das heißt doch nicht, dass ich etwas gegen Mazedonier habe. Ich habe gegen niemanden etwas."

Die "Menschen", so Isa, seien auch gar nicht das Problem. "Die Politik" schüre das Misstrauen zwischen den beiden Gruppen, die sich Anfang des Jahrtausends sogar in einem kurzen Krieg gegenüberstanden. Etwa ein Viertel der Einwohner Nordmazedoniens sind ethnische Albaner, wie Isa überwiegend Muslime. Die Mazedonier sind vor allem orthodoxe Christen.

In Vardars U16 spiele ein Albaner, bei Shkëndija zwei Mazedonier, sagt Isa. Allein dass er das weiß, zeigt das Problem. Ein Problem, das im Alltag oft keines sei, weder in seiner Straße zu Hause, in der die beiden Gruppen nebeneinander lebten, noch in der Fußballmannschaft seines Sohnes, schon gar nicht in der Nationalmannschaft, in der es einen Mix aus den beiden Ethnien gebe.

Isa hat keine Lust auf Funktionärskarriere

"Historisch, eine Sensation" bezeichnet Isa die Tatsache, dass mit Muhamed Sejdini erstmals ein ethnischer Albaner an der Spitze des mazedonischen Fußballverbandes stehe. Wie er das geschafft habe? "Keine Ahnung", so Isa.

Isa betreibt in Tetovo mit seinen beiden Brüdern einen Handel für Autoteile. Er war mal Spielerberater, habe aber schnell keine Lust mehr gehabt, sich von Spielern oder anderen Beratern "verarschen" zu lassen. Funktionär beim Verband oder einem Klub sei auch nichts für ihn.

"Von zehn Leuten im Verband sind sieben korrupt, die drei nicht korrupten verlieren immer. In diesem Kreis von Dieben möchte ich nicht sein", wird Isa in dem von der Bundeszentrale für politische Bildung herausgegebenen Buch "Vereint im Stolz" zitiert, das im Untertitel heißt: "Fußball, Nation und Identität im postjugoslawischen Raum".

Ethnische Konflikte und Korruption

Vor dem Nationalstadion in Skopje steht eine Ruine, besprüht mit zahlreichen Hakenkreuzen. Nationalismus und Rechtsextremismus sind ein großes Problem unter Ultragruppierungen auf dem Balkan. Die "Komiti", Ultras von Vardar Skopje, sind zu großen Teilen der rechten Szene zuzuordnen. Sie verachten die Albaner.

Dass der Fußball einigen kann und es auch tut, ist ihnen ein Gräuel. Die Qualifikation zur EURO 2020 und der Sieg in Deutschland hätten kurzfristig Wirkung gezeigt, aber es fehlt an Nachhaltigkeit. 

Ein Problem, das der Fußball nicht exklusiv hat. Die ethnischen Konflikte, im damaligen Jugoslawien teils gewaltsam unterdrückt, torpedieren die Bestrebungen mehrerer Staaten des Westbalkans enorm, Mitglied der EU zu werden. Ein weiteres Problem sei die Korruption, berichtet Mishov.

"Mazedonien ist das Epizentrum der Korruption, genau wie Albanien, Serbien und der Kosovo", sagt Filip Mishov. Er hoffe, dass irgendwann mal ernsthaft etwas dagegen unternommen werde. Allein der Glaube fehlt. Ein Impfzertifikat, zählt er ein aktuelles Beispiel auf, koste derzeit 300 Euro.