Fußball | Nationalmannschaft Datenanalyse: Darum ist Wolfsburgs Nmecha jetzt Nationalspieler

Stand: 10.11.2021 10:37 Uhr

Bei Fußball-Bundesligist VfL Wolfsburg ist er aktuell der Knipser vom Dienst - und jetzt auch erstmals in der A-Nationalmannschaft dabei: Lukas Nmecha. Was macht den 22-Jährigen so interessant für Bundestrainer Hansi Flick und wo liegt der Stürmer der Stunde im Vergleich mit anderen Angreifern? Eine Datenanalyse.

Von Matthias Heidrich

Die vergangene Woche war wohl eine der bislang besten in Lukas Nmechas Karriere: das Siegtor in der Champions League gegen Salzburg erzielt, ebenso wie gegen den FC Augsburg in der Bundesliga und dazwischen kam ein Anruf von Hansi Flick. "Ich habe nicht erwartet, schon jetzt dabei zu sein. Das war ein bisschen ein Schock. Aber ich freue mich", sagte der VfL-Stürmer, der am Donnerstag (20.45 Uhr) ausgerechnet in Wolfsburg in der WM-Qualifikation gegen Liechtenstein sein Debüt in der A-Nationalmannschaft feiern könnte.

"Man spielt ja Fußball, um immer aufs nächste Level zu kommen. Und jeder möchte Nationalspieler werden."
— Lukas Nmecha

Beim Blick auf seine Leistungsdaten wird deutlich, dass Nmechas Nominierung Sinn ergibt. Erst recht wenn es für Flick darum geht, nach Miroslav Klose und Co. eine "neue Neun", also einen Stoß- oder Zielstürmer, für die offensivstarke DFB-Elf zu finden.

Sechs Tore in 17 Saisonspielen

Sechs Saisontore in wettbewerbsübergreifend 17 Spielen hat Nmecha erzielt. Sein "Expected goals"-Wert liegt bei 4,90 Treffern. Der gebürtige Hamburger hat also mehr Tore erzielt, als eigentlich von ihm zu erwarten gewesen wären. Nmechas anhand der GSN-Daten errechneter "Performance-Score", also quasi seine aktuelle Leistungsstärke, steht bei 58,00.

Was ist der "Performance-Score"?

  • Tore, Pässe, Fouls, Schüsse oder auch Abseitspositionen: die Spiel-Basisdaten und weiterführende Analysen wie "Expected goals" oder "Action scores" werden beim "Performance-Score" durch einen Algorithmus in einen übergeordneten Kontext gesetzt - zum Beispiel positionsbezogen.
  • Beim "Performance-Score" sind alle Spieler zunächst einmal auf 0 gesetzt und werden anhand der reinen Leistungsdaten, kombiniert mit Datenmodellen, bewertet.
  • Damit liefert dieser Wert eine Einschätzung, wie gut oder schlecht ein Spieler aktuell spielt.
  • Der "Performance-Score" ist ein Baustein des GSN-Index, der wiederum eine generelle, langfristige Bewertung aller Fähigkeiten, Potenziale und Qualitäten eines Spielers ist.

Im Vergleich liegt er damit im Ranking aller Bundesligastürmer auf Platz 13 und klar über dem Durchschnitt (53,40). Aus deutscher Sicht wird der Wolfsburger in der Eliteliga zurzeit nur von Jonathan Burkardt (58,22) vom FSV Mainz 05 getoppt, der gemessen an den Daten eigentlich auch eine Nationalmannschafts-Nominierung verdient hätte. Wenig überraschend ragen Dortmunds Erling Haaland (82,89) und Bayerns Robert Lewandowski (70,44) in dieser Kategorie heraus.

Nmecha in der Kategorie "internationale Klasse"

Hat Nmecha also lediglich einen Lauf? Ja und Nein. Er ist aktuell ohne Frage gut drauf und hat auch vom Trainerwechsel in Wolfsburg profitiert. Florian Kohfeldt setzt auf den U21-Europameister, auch wenn mit Wout Weghorst der nominelle Topstürmer der "Wölfe" nun zurück auf dem Platz ist.

Datenblatt Lukas Nmecha

Moukoko auf den Weltklasse-Spuren von Mbappé

Der GSN-Index - also die langfristige Bewertung aller Fähigkeiten, Potenziale und Qualitäten eines Spielers -, zeigt, dass Nmecha generell auf höchstem Niveau mithalten kann. Mit einem aktuellen GSN-Index von 72,61 liegt er im Bereich "internationale Klasse" - aber auch schon fast an seinem errechneten Limit von 78,33. Zum Vergleich: Lewandowski (96,02) und Haaland (92,10) sind mit ihren Werten bereits absolute Weltklasse.

Das steckt hinter dem GSN-Index

Vier-Säulen-Prinzip:

  • 1. "fußballerische Eigenschaften": Technik, Spielübersicht oder der erste Kontakt: Einschätzungen über 130 fußballspezifische Eigenschaften von mehr als 300 Scouts weltweit.
  • 2. "fußballerisches Potenzial": Wo werden Spieler besser, wo stagnieren sie oder entwickeln sich zurück? Ein Algorithmus analysiert Daten aus der ersten Säule und vergleicht Spielertypen.
  • 3. "Performance auf dem Spielfeld": Tore, Pässe, Fouls, Schüsse oder auch Abseitspositionen: Die Spiel-Basisdaten und weiterführende Analysen wie "Expected goals" oder "Action scores" werden durch einen Algorithmus in einen übergeordneten Kontext gesetzt - zum Beispiel positionsbezogen.
  • 4. "Spielniveau": Jede Mannschaft oder Liga hat einen Zahlenwert, der ihre Stärke bemisst. Oberliga oder Champions League: Je höher das Spielniveau des Gegners, desto positiver wirkt es sich auf den GSN-Index aus.

Bewertungs-Skala:

  • 85 - 100: Weltklasse
  • 70 - 85: internationale Klasse
  • 60 - 70: Durchschnitt Bundesliga bzw. der Top 5 Ligen
  • 50 - 60: Durchschnitt 2. Bundesliga
  • 40 - 50: Durchschnitt 3. Liga
  • 30 - 40: Durchschnitt Regionalliga

Zwei GSN-Index-Werte:

  • aktueller GSN-Index: zeigt die aktuelle, allumfassende Qualität eines Spielers basierend auf den Daten der vier Säulen und Algorithmus-Berechnungen.
  • möglicher GSN-Index: Künstliche Intelligenz ermittelt anhand der Daten das bestmögliche, zukünftige Leistungsniveau eines Spielers.

Der vom Potenzial her nächste deutsche Mittelstürmer-Superstar heißt hingegen Youssoufa Moukoko. Mit einem möglichen GSN-Index von 97,94 bewegt sich das erst 16 Jahre alte Ausnahmetalent des BVB in Sphären eines Kylian Mbappé (Paris Saint-Germain), der schon bei 95,82 ist und es auf 98,93 bringen kann.

Datenblatt Youssoufa Moukoko

Was macht Nmecha für Flick interessant?

Moukoko gehört die Zukunft, Nmecha allerdings die Gegenwart: Der Wolfsburger ist ein Spielertyp, den das DFB-Team in vorderster Linie seit langem sucht. Leroy Sané, Marco Reus oder auch Timo Werner können Abwehrreihen schwindelig spielen, aber sie sind keine Zielstürmer, die gleichzeitig die körperlichen Voraussetzungen mitbringen, um sich auch gegen starke Innenverteidiger aufzureiben und Präsenz in Zentrum zu zeigen.

Nmecha, 1,85 m groß und 80 Kilogramm schwer, kann das. In der bisherigen Saison hat der 22-Jährige 41,36 Prozent seiner Offensivzweikämpfe gewonnen. Ein guter Wert (Ligaschnitt 38,58) und der beste, wenn es um Bundesligastürmer mit deutschem Pass geht. Wenig verwunderlich, dass der Rechtsfuß in der wertvollen Kategorie "Ballgewinne pro Spiel in der gegnerischen Hälfte" mit 0,64 (Ligaschnitt 0,48) überdurchschnittlich performt.

"Er versucht immer wieder, Räume zu schaffen. Er ist ein bisschen ein anderer Spielertyp als die, die wir derzeit haben."
— Bundestrainer Hansi Flick über Nmecha

Der Wolfsburger bringt viele Attribute für einen guten Stoßstürmer mit, kann aber auch die hängende Spitze wie zurzeit beim VfL geben. Sein Tempo (Topspeed bei guten 34,52 km/h), eine sehr gute Technik und sein starker erster Kontakt machen es Nmecha leicht, taktisch flexibel zu sein. Er bewegt sich regelmäßig aus dem Strafraum heraus und sucht nach Räumen.

Im Kopfballspiel noch Luft nach oben

Luft nach oben hat der Torschützenkönig der jüngsten U21-EM (vier Tore) noch in seinem Pressingverhalten, das mit Blick auf seine Voraussetzungen mutiger sein könnte. Und im Kopfballspiel: 35 Prozent seiner Luftduelle in der laufenden Saison hat Nmecha gewonnen, bei seiner Physis in der Summe zu wenig. Punktuell ist er aber auch hier gefährlich. Den Wolfsburger Siegtreffer gegen Augsburg erzielte Nmecha am vergangenen Sonnabend wie? Genau - per Kopf.

Was ist Global Soccer Network (GSN)?

2013 gegründet ist GSN eine der führenden Datenscouting-Agenturen weltweit mit ca. 100 Klienten auf allen fünf Kontinenten, darunter RB Leipzig, Inter Mailand, Chelsea London, Manchester City, Paris Saint Germain oder Atletico Madrid. Gründer und Geschäftsführer ist Dustin Böttger, der früher als Talentscout unter anderem für TSG Hoffenheim und den SV Sandhausen gearbeitet hat.

Was macht GSN?

Hauptbestandteil der Arbeit von GSN ist das Analysieren und Einschätzen von ca. 500.000 Fußballspielern weltweit sowie aller relevanten Clubs und Wettbewerbe basierend auf Einschätzungen von Scouts, Big Data, Algorithmen und künstlicher Intelligenz.

Was steckt genau hinter den GSN-Daten?

Die GSN-Datenbank greift in seinen Analysen mittlerweile auf ungefähr 35 Milliarden einzelne Datenpunkte zurück. Grob zusammengefasst gibt es dabei vier Bereiche:

  • "Persönliche Basisdaten": Daten wie Größe, Gewicht oder Alter der Spieler werden erfasst.
  • "Scoutingdaten": Ein weltweites Scoutingnetzwerk liefert Einschätzungen zu ca. 130 fussballspezifischen Eigenschaften (technisch, taktisch, physisch, mental) von Spielern.
  • "Performance-Daten": Jede Aktion jedes Spielers während eines Spiels wird erfasst - u.a. Pässe, Torschüsse, Sprints oder auch Fouls.
  • "Advanced analytics": Damit sind Datenmodelle gemeint, die auch mit Hilfe von künstlicher Intelligenz berechnet werden. Diese Modelle sollen den "Performance-Daten" Kontext verleihen. Ein Beispiel ist der sogenannte "Action score", bei dem berechnet wird, wie positiv oder negativ jede Aktion eines einzelnen Spielers für das jeweilige Team ist.

Dieses Thema im Programm:
Sportclub | 07.11.2021 | 22:50 Uhr