Fußball | Präsidentsuche beim DFB Amateurvereine in der Krise: "Corona hat die Herausforderung nochmal deutlich erhöht"

Stand: 22.11.2021 14:00 Uhr

Im zweiten Teil des Sportschau-Interviews spricht Gerd Thomas über Vereine, die vor dem Crash stehen, seinen gescheiterten Wahlkampf mit Gaby Papenburg, Sucuk vom Grill und einen DFB-Präsidenten Gerd Thomas.

Sie haben vor drei Jahren im Interview mit der Sportschau prognostiziert, in den kommenden zehn Jahren werde es viele Crashs bei Amateurvereinen geben. Das war weit vor Corona. Wie sieht das Zwischenfazit aus?

Thomas: Ich glaube, der Wagen fährt weiter knallhart auf die Wand zu. Corona hat die Herausforderung nochmal deutlich erhöht. Gerade im Jugendbereich ist es total schwierig, Leute zu finden. Da spielen ganz viele Faktoren eine Rolle, einer sind die Eltern. Die Erwartungshaltung ist unfassbar hoch und gleichzeitig hinterfragt niemand, was Vereine überhaupt leisten können.

Der Klassiker also: Macht doch dies und das so und so, aber mitmachen will niemand.

Thomas: Genau. Es gibt Ausnahmen. Klar, auch in den Vorständen sind teilweise Eltern. Aber es ist schon interessant, wie sich das so hochgeschaukelt hat. Alle glauben, sie haben Ahnung vom Fußball. Alle - oder viele - glauben auch, sie haben mehr Ahnung als der Trainer, da wird unheimlicher Druck aufgebaut. Nächste Woche habe ich wieder ein Elterngespräch, das aus solchen Geschichten resultiert. Eine Mannschaft, die ganz hervorragend steht in der höchsten Spielklasse. Trotzdem gibt es dann wieder: Mein Sohn spielt nicht mit, warum dann eigentlich nicht? Oder der spielt auf der falschen Position. Ich war ja auch mal Jugendtrainer, ich habe das ja auch alles erlebt. Wenn man Jugendtrainer hat, die vielleicht nicht ganz so stabil oder erfahren sind, dann schmeißen die natürlich auch ganz schnell hin.

Raus aus der 80er-Jahre-Vereinsheim-Attitüde

Im Idealfall würden sich viele für ein Ehrenamt finden, die dann auch noch Diversität verkörpern.

Thomas: Auch bei uns sind die alten weißen Männer in der Überzahl. Wir haben es aber geschafft, in den letzten zwei Jahren diverse jüngere Leute mit in die Verantwortung zu nehmen, zum Beispiel mit dem Thema Nachhaltigkeit im Sport. Und ich glaube, zu mehr Diversität gehören auch unterschiedliche Altersgruppen. Ja klar, wir können auch über Herkunft und familiäre Wurzeln reden, auch über Geschlechter. Aber am Ende ist es speziell der Fußball, aber auch der Sport an sich, der es nicht geschafft hat, sich attraktiv darzustellen und zu sagen: Wir machen auch andere Sachen neben dem Fußball und wir kommen mal raus aus dieser 80er-Jahre-Vereinsheim-Attitüde.

Cola, Wasser, Bier und Bratwurst sind das gängige Angebot auf deutschen Sportplätzen. Ist das schon Ausgrenzung?

Thomas: Es gibt in der Tat noch jede Menge Vereine, wo das so ist. Wir haben hier in Berlin vom Bezirks-Sportbund das sogenannte Eisbein-Essen. Da kann man wählen, ob man Eisbein oder Schweineschnitzel isst. Und ja, das zeigt ja schon eine ganze Menge.

"Hätten ohne Corona auch nicht gewonnen"

Beim FC Internationale gibt es immerhin auch Sucuk vom Grill.

Thomas: Das hat sich auch eher zufällig ergeben. Aber es geht eben genau darum, das Bewusstsein zu schärfen. Es gilt, den Horizont zu erweitern und zu sensibilisieren. Aber da sind dicke Bretter zu bohren, wenn es um Bratwurst oder generell um Fleisch oder nicht Fleisch geht.

Im Berliner Landesverband kandidierte kürzlich Gaby Papenburg. Warum verlor sie die Kampfabstimmung um den Posten als Präsidentin?

Thomas: Ich finde, man muss bei den Gründen immer erstmal bei sich selbst anfangen. Ich bin ja Teil des Wahlkampfteams gewesen und bin ja auch zusammen mit Bernd Fiedler vom Stern 1900 derjenige gewesen, der Gaby gefragt hat, ob sie kandidieren würde. Und wir haben scheinbar einen Wahlkampf geführt, der nicht gut genug war, um zu gewinnen. Das müssen wir hinterfragen.

Gibt es schon Ergebnisse der Analyse?

Thomas: Also sicherlich spielt Corona eine Rolle, aber das wäre zu einfach, zu sagen, ohne Pandemie hätten wir gewonnen - hätten wir nicht. Wir haben es nicht geschafft, den nötigen Aufbruch zu schaffen, das nötige Feuer zu entfachen, damit die Delegierten sagen: Ja, wir wollen mal was Neues. Wir müssen feststellen, dass die meisten Vereine sich doch wohler fühlen mit dem Altbewährten und vielleicht nicht so viel Wille zur Veränderung da ist, wie wir uns das wünschen würden.

Es ging hoch her auf dem Verbandstag, von "persönlichen Attacken" war zu lesen.

Thomas: Es gab durchaus eine Stimmung, die ich in Teilen als feindselig empfunden habe. Es gab von einigen richtig alten weißen Männern ganz, ganz rüde Attacken. Bis hin zu einem, der für seinen Kassenbericht ausgelacht wurde, aber nachher wiedergewählt wurde. Ich habe ihn für seine Attacke ziemlich zurechtgewiesen, habe ihn darauf hingewiesen, dass wir sehr viele junge Leute, auch junge Frauen im Team haben, denen die Zukunft gehört, im Gegensatz zu ihm. Daraufhin bin ich natürlich niedergebuht worden und so ist das. Man darf auch Wahrheiten nur bis zu einem bestimmten Punkt aussprechen.

Wäre Gerd Thomas ein guter DFB-Präsident?

Thomas: Nein, ich habe da auch gar keine Ambitionen. Ich habe Rainer Koch mehrfach angeboten, mich einmzuischen in Fragen, in Diskussionen und sonstwas, wenn sie das wollen. Er hat dann immer gesagt, ich sei ja noch im Berliner Wahlkampf. Aber der Landespräsident Bernd Schultz, der die Abstimmung gegen Gaby Papenburg gewann, war auch die ganze Zeit im Berliner Wahlkampf und hat an irgendwelchen Präsidiumssitzungen beim DFB teilgenommen. Nein, ich glaube, kritische Stimmen von außen, die sind nicht gefragt. Ich glaube auch nicht, dass ich geeignet wäre als DFB-Präsident. Ich wäre genauso wenig für den diplomatischen Dienst geeignet. Und ich glaube, das muss man können als DFB-Präsident.

Den ersten Teil des Interviews mit Gerd Thomas lesen Sie hier.