Machtwechsel in Afghanistan Fußball-Entwicklungshelfer - "Machen uns größte Sorgen"

Stand: 17.08.2021 10:49 Uhr

Fußballtrainer Klaus Stärk war für den DFB, DOSB und das Auswärtige Amt in vielen Fußball-Entwicklungsländern aktiv und hat dort Strukturen aufgebaut. In Afghanistan war er von 2004 bis 2008 tätig. Er hat dort Trainer ausgebildet, geholfen, Verbandsstrukturen aufzubauen, die Männer-Nationalmannschaft trainiert und den Mädchenfußball gefördert. Nach dem vierjährigen Projekt hat er die Fußball-Entwicklung dort weiter verfolgt und war immer wieder vor Ort.

Herr Stärk, welche Gefühle löst es in Ihnen aus, wenn Sie die aktuellen Entwicklungen in Afghanistan verfolgen?

Klaus Stärk: Ich bin in größter Sorge um viele Menschen, die ich in Afghanistan kennen gelernt habe. Wir hatten vor Ort während der Fußballprojekte natürlich viele Helfer und Mitarbeiter, die jetzt in höchster Gefahr sind. Momentan gibt es nur die Hoffnung, dass sie irgendwie mit dem Leben davonkommen.

War die Entwicklung in Afghanistan ihrer Erfahrung nach absehbar?

Stärk: Als ich die Meldung gehört habe, dass die US-Truppen abziehen, war mein erster Gedanke: 'Jetzt ist Afghanistan verloren!' Es hat dort gebrodelt, seit die westlichen Nationen dort nach dem Krieg eingegriffen haben. Wir haben selbst gespürt und immer davon gehört, dass die Taliban im Hintergrund immer stärker werden und sich formieren. Die westliche militärische Präsenz hat diese Aktivitäten natürlich gebremst. Aber mit dem Abzug war klar, dass der Weg für die Taliban sofort frei sein würde. Das haben im Übrigen auch immer unsere örtlichen Helfer vorhergesagt. Die haben immer darauf hingewiesen, dass sie in größter Gefahr schweben, wenn wir einmal weg sein sollten.

Wie kam es zum deutschen Fußball-Engagement in Afghanistan?

Stärk: Nach dem Sturz des Taliban-Regimes in der Folge des Terroranschlags in New York 2001 war es Kollege Holger Obermann, der dort 2003 ein erstes Fußballprojekt begann. Vorangegangen war ein Besuch des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder, der gemeinsam mit Franz Beckenbauer auch den dortigen Fußballverband kennen lernte. Es gab damals nur ein baufälliges altes Stadion und eine Art Clubraum mit einer einsamen Glühbirne. Es wurde beschlossen, hier zu helfen. Und so kam ich im Auftrag des Auswärtigen Amtes, des Deutschen Olympischen Sportbundes und des DFB für ein vierjähriges Aufbauprojekt ins Land.

Wie waren Ihre Arbeitsbedingungen?

Stärk: Es war außergewöhnlich. Gleich in meiner zweiten Nacht in Kabul schlug in meinem Nachbarhaus eine Rakete ein. Die US-Truppen hatten die Kontrolle übernommen, aber die Lage war völlig unübersichtlich. Afghanistan ist ein völlig heterogener Staat mit unzähligen Bevölkerungsstämmen. Es gab neben den Taliban daher viele weitere oppositionelle Gruppen mit unterschiedlichen Interessen. Wir wurden auf Schritt und Tritt bewacht, durften uns wegen drohender Anschläge eigentlich nur zwischen Unterkunft, Sportplatz und Schulen bewegen. Zuerst konnten wir unter dem Schutz von Soldaten auch noch ins Land fahren, das war ab 2007 auch nicht mehr möglich. Zu gefährlich. Aber ehrlich gesagt habe ich mich damals an die ständige Lebensgefahr gewöhnt.

War das Fußballprojekt trotzdem sinnvoll?

Stärk: Sicher. Wir haben mit unserer Arbeit damals viele Leute glücklich gemacht. Das war auch immer die Rückmeldung aus der Bevölkerung. Wir haben Fußballprojekte in den Schulen eingeführt, Turniere und ein Ligensystem organisiert und uns vor allem in der Entwicklung des Mädchenfußballs engagiert. Dass die Entwicklung des Fußballs nach dem Projekt nicht wirklich weiterging, ist den politischen und religiösen brisanten Gegebenheiten in Afghanistan geschuldet. Einfach ausgedrückt: Die Menschen haben dort andere Probleme als Fußball.

War Mädchenfußball unter den religiösen Begebenheiten akzeptiert?

Stärk: Es gab unter den Mädchen und jungen Frauen ein riesiges Interesse am Fußball. Natürlich hatten viele der Spielerinnen daheim Probleme, dass ihr Fußballspiel akzeptiert wird. Aber sie haben darum gekämpft. Viele fußballbegeisterte junge Frauen haben das Land dann auch verlassen. Millionen Afghanen leben ja über die ganze Welt verteilt und haben sich woanders eine Existenz aufgebaut. Das sind die Glücklichen, die heute außer Gefahr sind.

Das Gespräch führte Olaf Jansen