Frauenfußball | Nationalmannschaft WM-Qualifikation: DFB-Frauen proben den Spagat

Stand: 16.09.2021 13:48 Uhr

Für die deutsche Frauen-Nationalmannschaft startet gegen Bulgarien am Samstag (18.09.2021, 16.05/live ARD) die WM-Qualifikation. Gleichzeitig gilt der Fokus aber auch der EM-Endrunde 2022 in England.

Dzsenifer Marozsan liebt das schöne Spiel. Technik, Tricks und Tore – dafür steht die beste deutsche Fußballerin, die aktuell einen Erfahrungs- und Erlebnisprozess in den USA bei OL Reign durchlebt, dem Schwesterklub ihres Arbeitgebers Olympique Lyon.

Wenn der 29-Jährigen auch der körperbetonte Stil in der US-Profiliga NWSL nicht sonderlich gefällt, schätzt sie vor allem eins: "In Amerika gibt's keine tiefstehende Mannschaft, da wird kein Bus hinten geparkt."

Europa hat nur elf Startplätze für die WM

Genau damit wird die 104-fache Nationalspielerin nun aber zum Auftakt der WM-Qualifikation konfrontiert, wenn Deutschland in Cottbus gegen Bulgarien (Samstag 16.05 Uhr/ live ARD) antritt. Der Gegner wird den deutschen Fußballerinnen nicht den Gefallen tun und große Räume anbieten - so wie Maroszan das im Land der Weltmeisterinnen an der Seite ihrer Mitspielerin Megan Rapinoe gewohnt ist. Die Auswahl aus Bulgarien wird ihr Heil in kompromissloser Defensive suchen, weil sie wie die meisten Gegner aus Osteuropa fußballerisch noch großen Nachholbedarf hat.

Auch im nächsten Heimspiel in Chemnitz gegen Serbien (Dienstag, 16 Uhr) wartet eine ähnliche Geduldsprobe. Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg fordert von ihren Spielerinnen, dass sie "ihre Qualitäten einbringen, sich die Automatismen einschleifen".

Europa hat trotz der Ausweitung auf 32 Teilnehmer nur elf feste Startplätze, allein die Gruppensieger lösen das WM-Ticket. Machbar sollte das sein, auch die weiteren Gegner der Qualifikationsgruppe H, Portugal, Israel und die Türkei, sind nicht die Kragenweite der DFB-Frauen.

Einspielen unter Wettkampfbedingungen

Maroszan und Co. müssen einen besonderen Spagat in dieser Saison meistern: einerseits die Pflichtaufgaben auf dem Weg zur WM 2023 in Australien und Neuseeland erledigen, andererseits sich aber für die EM-Endrunde 2022 in England einspielen.

Marozsan sieht darin aber sogar einen Vorteil: "Es geht um was, das finde ich super. Das gibt uns die Chance, als Gruppe zusammen zu wachsen, während wir ein Ziel vor Augen haben." Auch Torhüterin Merle Frohms sagt: "Es ist gar nicht so schlecht, die EM unter Wettkampfbedingungen im Blick zu haben." Doch es fehlen die Vergleiche gegen Kontrahenten auf Augenhöhe.

"Gute Gegner haben wir nur im Februar nächsten Jahres", sagt Voss-Tecklenburg ohne Umschweife, denn dann werden sich die DFB-Frauen bei einem Einladungsturnier messen. Vom 14. bis 24. Februar 2022 tritt die Auswahl von Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg in England gegen den EM-Gastgeber England und Spanien sowie eine weitere noch nicht benannte Mannschaft an.

Experimente werden weniger

Fest steht auch, dass das Trainerteam die Rotation einschränken wird. "Mit Blick auf die EM wollen wir uns einspielen und den Kandidatenkreis enger fassen", verrät Assistenztrainerin Britta Carlson. Auf wen der achtfache Europameister bei der EM (6. bis 31. Juli 2022) trifft, wird übrigens am 28. Oktober in Manchester ausgelost.

Dass Voss-Tecklenburg mit ihrem verjüngten Ensemble besser abschneiden soll als das deutsche Team beim Viertelfinalaus unter einer unglücklich agierenden Bundestrainerin Steffi Jones 2017 in den Niederlanden, steht außer Frage.

Voss-Tecklenburg hat bereits ein Gerüst von "sieben, acht Key-Playerinnen" wie die 53-Jährige sagt, zusammen. Torhüterin Merle Frohms (Eintracht Frankfurt), die Innenverteidigung mit Lena Oberdorf (VfL Wolfsburg) und Marina Hegering (FC Bayern), das mit Lina Magull (Bayern), Sara Däbritz (Paris Saint-Germain) und Dzsenifer Maroszan hochkarätig besetzte Mittelfeld, dazu Offensivallrounderin Svenja Huth (VfL Wolfsburg) bilden den Stamm.

Zu dem würde eigentlich auch Kapitänin Alexandra Popp (VfL Wolfsburg) zählen. Doch wegen eines Knorpelabrisses im Knie fällt die kampfstarke Führungsspielerin noch längerfristig aus. Voss-Tecklenburg will ohnehin, dass sich "mehrere Leaderinnen" herausbilden, weshalb die Persönlichkeitsentwicklung mindestens ebenso wichtig ist.

14 Nationalspielerinnen machen ihren ersten Trainerschein

Hierbei hilft, dass gerade 14 aktuelle Nationalspielerinnen, darunter die meisten Leistungsträgerinnen, parallel ihren ersten Lehrgang für die Elite-Jugend-Lizenz absolvieren - eine überragende Quote. Sich in den Trainerberuf reinzudenken, erklärt Voss-Tecklenburg, eröffne neue Perspektiven: "Ich bin total begeistert".

Und auch bei dem Punkt internationale Erfahrung tut sich was: In der Women’s Champions League mit einem neuen Format mit 16 Teams spielen neben dem FC Bayern auch der VfL Wolfsburg und die TSG Hoffenheim mit, die sich durch die Qualifikation gekämpft haben. Ein starkes Zeichen der Frauen-Bundesliga. Die drei Vereine würden jetzt "permanent englische Wochen" haben, sagt Voss-Tecklenburg, trotzdem will sie "nicht so viel Rücksicht auf Belastungssteuerung" mehr nehmen wie zuletzt.

Denn beim Kampf um mehr Sichtbarkeit des deutschen Frauenfußballs ist sportlicher Erfolg immer noch der wichtigste Indikator, und da spielt die Nationalmannschaft die Schlüsselrolle, wenn sie über starke Auftritte ins öffentliche Bewusstsein rückt. Die Sommer-Turniere 2022 und 2023 werden zeigen, ob Deutschland den von der Bundestrainerin gewünschten "Schritt in die richtige Richtung" unternimmt.