Szene aus dem Fußball-WM-Finale von 1966 im Londoner Wembley-Stadion (Schwarz-Weiß).

Fußball-Klassiker England vs. Deutschland - "Traumfinale" mit viel Brisanz

Stand: 29.07.2022 11:58 Uhr

Am Sonntag wollen die Engländerinnen im EM-Endspiel die seit 56 Jahren andauernde titellose Zeit für die Fußball-Nation England beenden - ausgerechnet in Wembley gegen Deutschland. Das WM-Finale in London 1966 war Ursprung für die große Fußball-Rivalität zwischen beiden Ländern.

Von Uli Petersen

England gegen Deutschland im Wembley-Stadion. Als am Mittwochabend (27.07.2022) um 22.51 Uhr die Endspiel-Paarung der Fußball-Europameisterschaft endgültig feststand, kam es wie aus einem Mund: "Traumfinale". Egal, ob Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), DFB-Geschäftsführer Oliver Bierhoff oder Nationalspieler Thomas Müller, für sie alle stand fest: Diese Partie ist der Höhepunkt der Europameisterschaft; es ist die Begegnung, die dem ganzen Turnier die Krone aufsetzt.

Popp: "Etwas Schöneres gibt es nicht"

Während der WM 2006 sagte der damalige englische Superstar David Beckham: "Es gibt nichts Größeres, als gegen die Deutschen zu spielen." Die aktuelle DFB-Kapitänin Alexandra Popp formulierte es nun vor dem Spiel am Sonntag (31.07.2022, 18 Uhr MESZ, live im Ersten und bei sportschau.de) in Wembley ganz ähnlich: "Wir stehen im Finale gegen England vor 90.000 - ganz ehrlich, etwas Schöneres gibt es nicht." Und Trainerin Martina Voss-Tecklenburg ergänzte: "Es wird ein großartiges Fußball-Fest, es ist ein Klassiker." Franz Beckenbauer lässt grüßen, sein "We call it a Klassiker. It's a classic" in Bezug auf den Fußballvergleich zwischen England und Deutschland ist längst selbst legendär.

"Ewiges" Duell lässt Herzen der Fußballfans höher schlagen

Das Boulevardblatt "The Sun" hatte, als die englischen Fußballerinnen mit dem 4:0 gegen Schweden als erstes Team den Schritt ins Endspiel gegangen waren, getitelt: "Jetzt bringt uns Deutschland (oder Frankreich) nach Wembley!" Die Zeitung sprach damit wohl den meisten Fußballfans aus dem Herzen: Ja, die Französinnen als Endspielgegner hätten sie auch akzeptiert, aber Vergleiche zwischen England und Deutschland lassen die Fan-Herzen einfach viel, viel höher schlagen.

"England gegen Deutschland, im EM-Finale, im ausverkauften Wembley-Stadion. Geliebt, gehasst. Es ist ein Spiel, das die Aufmerksamkeit der Gastgebernation auf sich zieht wie kein anderes, in keiner Sportart, in keiner Arena", schrieb der "Guardian".

"Wembley-Tor" sorgt noch immer für Aufregung

Dass das so ist, liegt in der besonderen Rivalität zwischen diesen beiden Fußball-Nationen begründet. Sie hat ihren Ausgangspunkt auf dem Rasen des (alten) Londoner Wembley-Stadions: Die "Three Lions" gewannen das WM-Finale am 30. Juli 1966 mit 4:2 nach Verlängerung - es ist der bis heute letzte große Fußball-Titelgewinn für England geblieben.

Geoff Hurst erzielte damals in der 101. Minute das legendäre und noch immer umstrittene "Wembley-Tor". Nach diesem Spiel schlich der jüngst verstorbene Uwe Seeler als Kapitän der DFB-Elf tief enttäuscht mit hängenden Schultern vom Platz - das Schwarz-Weiß-Foto dieser Szene ist ebenfalls längst ein Klassiker.

Uwe Seeler und das Foto von Wembley

Lineker: "... und am Ende gewinnen immer die Deutschen"

Alles, was an mehr oder weniger wichtigen Fußballduellen zwischen England und Deutschland danach kam, wurde immer in Bezug gesetzt zu den geschichtsträchtigen 120 Minuten des 30. Juli 1966. Unvergessen sind zum Beispiel das WM-Viertelfinale 1970 in Mexiko (3:2 nach Verlängerung für Deutschland), das EM-Viertelfinale 1972 wieder in Wembley (3:1 für Deutschland) oder die beiden von Deutschland im Elfmeterschießen gewonnenen Halbfinals bei der EM 1996 und der WM 1990. Nach diesem Spiel sagte übrigens der damalige englische Stürmer Gary Lineker den berühmten Satz: "Fußball ist ein einfaches Spiel: 22 Männer jagen 90 Minuten lang einem Ball nach, und am Ende gewinnen immer die Deutschen."

Ausnahmen bestätigen diese Regel: Im letzten Länderspiel unter Bundestrainer Joachim Löw unterlag die DFB-Elf vor 13 Monaten der englischen Nationalmannschaft im EM-Achtelfinale mit 0:2. Diese bislang letzte Partie zwischen einer englischen und einer deutschen Nationalelf im Wembley-Stadion schrieb ausnahmsweise keine größere Geschichte.

Szene aus dem WM-Halbfinale 1990 mit Bodo Illgner, Jürgen Kohler und Gary Lineker.

Auch das WM-Halbfinale 1990 hatte es für Gary Lineker (r.) und Co. in sich.

EM-Finale 2009: Klarer DFB-Erfolg gegen die "Löwinnen"

Die Rivalität aus den umkämpften Begegnungen bei den Männern übertrug sich nahtlos auf die Frauen-Länderspiele zwischen beiden Nationen. Neunmal trafen die Engländerinnen und die DFB-Frauen seit 1990 bei Welt- oder Europameisterschaften aufeinander. Das bislang wichtigste Duell - das EM-Finale 2009 - gewann Deutschland mit 6:2, bei der WM 2015 allerdings behielten die "Lionesses" im Spiel um Platz drei nach Verlängerung mit 1:0 die Oberhand. Auf Revanche dürften im EM-Finale am am Sonntag also beide Seiten aus sein.

Deutschland gewann auch 2019 in Wembley

Erwähnung finden muss vor dem EM-Finale auch, dass es bereits am 9. November 2019 eine Partie der Engländerinnen und der Deutschen im Wembley-Stadion gegeben hat: 77.768 Zuschauer (der bis heute gültige Rekord-Zuschauerzahl für ein Fußballspiel von Frauen im Vereinigten Königreich wird am Sonntag wohl übertroffen) sahen einen 2:1-Erfolg der DFB-Spielerinnen. Alexandra Popp und Klara Bühl trafen für die Gäste, Ellen White für die "Lionesses". Falls Bühl nach ihrer Corona-Infektion rechtzeitig freigetestet wird, steht weiteren Toren dieses Trios am Sonntag nichts im Weg.

Einer, der weiß, wie es ist, ein Tor zum EM-Titelgewinn in Wembley zu erzielen, wird beim Finale übrigens auf der Tribüne sitzen: DFB-Geschäftsführer Bierhoff schoss 1996 im Endspiel gegen Tschechien in der Verlängerung das Golden Goal.

Die deutsche Frauen-Nationalmannschaft 2019 vor einem Länderspiel in Wembley.

So ging die DFB-Elf 2019 ins Freundschaftsspiel im Wembley-Stadion.

Englands Trauma heißt Elfmeterschießen

Was beim Blick auf die Fußball-Rivalität zwischen England und Deutschland nicht fehlen darf, ist der Hinweis auf die Elfmeterschießen: Anders als bei den Männern mit den beiden unvergessenen Entscheidungen vom Punkt 1990 und 1996 in den WM- und EM-Semifinals gab es in den bisherigen Duellen der Frauen noch keine Entscheidung in der "Lotterie" vom Punkt. Allerdings: England verlor sein erstes Europameisterschafts-Finale 1984 - nach damals noch ausgetragenem Hin- und Rückspiel - gegen Schweden im Elfmeterschießen.

"Sicher ist sicher" lautet vielleicht auch deshalb die Devise beim DFB-Team während der EM in England: Die Mannschaft habe im Training in ihrem EM-Quartier in den vergangenen Tagen bereits Schüsse vom Punkt geübt, verriet Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg: "Das gehört einfach dazu."

Wie geht das nächste Kapitel der Fußballgeschichte aus?

Eines aber ist sicher: Englands beste Torschützin Beth Mead (wie Alexandra Popp bisher sechs Treffer) und Co. wollen das Finale sicher vor einem möglichen Elfmeterschießen für sich entscheiden. Noch ein Drama wie das der "Three Lions", die im vergangenen Juli das EM-Endspiel der Männer gegen Italien im Wembley-Stadion im Elfmeterschießen verloren haben, wäre der GAU zum Ende eines aus Sicht der Gastgeberinnen bisher so großartig verlaufenen Turniers - und dann noch ausgerechnet gegen Deutschland. Gleichgültig, wie es endet - am Sonntag wird das nächste Kapitel der deutsch-englischen Fußballgeschichte geschrieben.

Dieses Thema im Programm: Das Erste | Sportschau | 31.07.2022 | 17:30 Uhr