Trainerin der deutschen Fußballnationalmannschaft: Martina Voss-Tecklenburg
analyse

Deutschland nach der Gruppenphase Voss-Tecklenburg und ihr Team überzeugen vollends

Stand: 17.07.2022 08:27 Uhr

Mit dem 3:0 gegen Finnland hat sich die deutsche Mannschaft warmgemacht für das Viertelfinale am kommenden Donnerstag gegen Österreich. Mittlerweile haben alle Feldspielerinnen Einsatzzeit bekommen - und Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg darf sich bestätigt sehen.

Von Florian Neuhauss (Milton Keynes)

Lena Oberdorf tanzte gedankenverloren über den Rasen des EM-Stadions in Milton Keynes. Das letzte Gruppenspiel ihres Teams hatte die Mittelfeldspielerin gelbgesperrt verpasst, ließ sich die gute Laune aber nicht verderben, sondern genoss bei lauter Musik den ausklingenden Sommerabend. Und trug dabei das Trikot der nach wie vor Corona-Positiven Lea Schüller.

"Die neun Punkte kann man auf jeden Fall feiern", sagte die 20-Jährige wenig später und erklärte auf die Frage, warum dieses Mal sie das Trikot ihrer fehlenden Mitspielerin getragen hatte: "Nach dem Spiel gegen Spanien hatte Poppi das Trikot. Diesmal war ich zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Ich hoffe aber, dass Lea das Trikot bald selbst wieder tragen kann. Auch wenn es dann ausgeleiert ist, weil es mir ein bisschen zu eng war."

MVT: Eine zweite Reihe? Gibt es nicht!

Mit neun Punkten und 9:0 Toren sind die DFB-Frauen durch die Vorbereitung geeilt - und nahezu alle Pläne der Bundestrainerin sind aufgegangen. Dominant und spielbestimmend gegen Dänemark, abwartend und mit Nadelstichen gegen Spanien - und gegen Finnland nun die Bestätigung, dass die Spielerinnen, die bisher nicht so viel Einsatzzeit bekommen haben, nicht als "zweite Reihe" zu bezeichnen sind, worauf MVT großen Wert legt.

Wie Oberdorf und Schüller fehlten diesmal auch Felicitas Rauch (gelbgesperrt) sowie Lina Magull (Oberschenkelprobleme). Und weil sich Voss-Tecklenburg auch noch erlaubte, im sportlich bedeutungslosen Duell mit Finnland Kathrin Hendrich zu schonen, war die Startelf im Vergleich zum Auftakt auf gleich fünf Positionen verändert. Und auch wenn dem Team zunächst kein Tor gelang, zeigten weitere Spielerinnen ihr großes Potenzial.

Anyomi feiert bärenstarkes Debüt

Allen voran Nicole Anyomi, die zur zweiten Hälfte für die angeschlagene Giulia Gwinn als Rechtsverteidigerin ins Spiel kam, hinterließ mächtig Eindruck. "Ich habe mich sehr für sie gefreut, dass sie ein Tor geschossen hat", sagte Voss-Tecklenburg und berichtete: "Ich habe ihr vor dem Spiel gesagt, dass mein Bauchgefühl sagt, dass sie ein Tor macht." Gesagt, getan.

Die Frankfurterin gerät allerdings so ein bisschen in die Zwickmühle. Denn eigentlich würde die 22-Jährige lieber offensiver spielen. "Sie fremdelt noch ein bisschen mit der Position. Aber solche Spiele helfen ihr sicher auch für die Zukunft", meinte die Fußball-Lehrerin.

Anyomi selbst erklärte, dass sie noch immer Probleme habe, sich als Rechtsverteidigerin defensiv, aber auch offensiv taktisch richtig zu verhalten. Lachend sagte sie: "Ich sehe mich eigentlich als Offensivspielerin und hoffe, dass ich in Frankfurt weiterhin vorne spielen darf." Sollte Gwinn, wovon Voss-Tecklenburg trotz "Pferdekuss" und Verband am Oberschenkel nicht ausgeht, am kommenden Donnerstag (21.07.2022/21 Uhr, live im Ersten und bei sportschau.de) gegen Österreich fehlen, Anyomi wäre ein starker Ersatz.

Auch Kleinherne und Doorsoun überzeugen

In der Offensive tauchte auch immer wieder Rauch-Vertreterin Sophia Kleinherne auf, die die Forderung von Voss-Tecklenburg, bei Flanken immer wieder an den langen Pfosten des gegnerischen Tores durchzulaufen, in der 40. Minute perfekt umsetzte. Ihr Kopfballtreffer ebnete den Weg in einem bis dahin zwar dominanten, aber wenig effektiven Spiel.

Daran, dass die Finninnen gar nicht erst die Chance bekamen, die weiße Weste von Torhüterin Merle Frohms zu beflecken, hatte derweil Sara Doorsoun einen besonders großen Anteil. Mit ihren langen Sprints und dem beherzten Eingreifen verhinderte die zweite Frankfurter Verteidigerin, für Hendrich im Spiel, mehrfach, dass die Gegnerinnen aus aussichtsreicher Position zum Abschluss kommen konnten.

Die deutschen Fußballspielerinnen jubeln zusammen nach dem Sieg und bedanken sich beim Publikum.

Jubel, Jubel, Jubel - drei Spiele, neun Punkte und 9:0 Tore.

"Ich hatte schon vor der Abreise aus London gehört, dass ich spielen würde und habe mich sehr drauf gefreut", berichtete Doorsoun, an deren Seite jeweils eine Halbzeit die Stammverteidigerinnen Marina Hegering und Hendrich agiert hatten. Doorsoun zeigte sich mit der eigenen Leistung zu Recht zufrieden: "Es gibt natürlich immer Sachen zu verbessern, aber ich glaube, es war defensiv ganz gut."

Frohms muss sich im Tor selbst "wach" halten

Weil gegen insgesamt harmlose Finninnen kaum mal ein Ball durchkam, hatte Merle Frohms ganz andere Probleme. "Ich freue mich natürlich, wenn ich nicht so viel zu tun habe. Aber es ist anstrengender, weil ich, auch ohne körperlich gefordert zu sein, die Konzentration hochhalten muss und nicht mit den Gedanken abschweifen darf", erklärte Deutschlands Nummer eins.

Sie hätte zum Beispiel die bisher größte EM-Kulisse für Deutschland samt sehr guter Stimmung genießen können. Erstmals waren bei der Euro 2022 bei einem deutschen Spiel mehr als 20.000 Menschen gewesen. Wohlgemerkt in Milton Keynes, wo sich sonst im Schnitt lediglich 7.500 Fans bei den Heimspielen der MK Dons im 33.000 Plätze bietenden Stadion verlaufen.

So aber sah man Frohms in der zweiten Hälfte vermehrt mit ihren Vorderleuten kommunizieren und Anweisungen nach vorn rufen. Sie habe "jede Situation verfolgen" und mental bereit bleiben wollen, falls doch noch etwas passiert wäre, erläuterte die 27-Jährige.

Nach Corona: Lea Schüller vor Rückkehr

Das deutsche Team hat spätestens gegen Finnland gezeigt, dass es aus viel mehr Spielerinnen als nur elf besteht. "Es ist schön, dass jetzt alle Feldspielerinnen Spielzeit bekommen haben und dass sie es gegen Finnland so gelöst haben", freute sich MVT, die sogar guten Mutes ist, am kommenden Donnerstag gegen Österreich alle Spielerinnen wieder zur Verfügung zu haben.

Die Gelb-Gesperrten sowieso, die angeschlagenen sollen bis dahin wieder "spielfähig" sein. "Auch bei Lea Schüller sieht es gut aus, dass sie schnell einen negativen Test haben wird", sagte Voss-Tecklenburg. Und Zeugwart Steve Smith wird der Mittelstürmerin mit Sicherheit liebend gern ein neues Trikot heraussuchen. Eines, das Lena Oberdorf noch nicht ausgeleiert hat.

Dieses Thema im Programm: Das Erste | Sportschau | 15.07.2022 | 20:15 Uhr