FIFA-Kongress in Bangkok FIFA vor Statutenänderungen - "Rückkehr in alte Zeiten"
Die FIFA will bei ihrem Kongress in Bangkok eine Änderung ihrer Statuten beschließen. Ein Experte sieht eine weitere Abkehr von den Reformen.
Die großen Skandale der FIFA mit dem Höhepunkt in Zürich 2015, als zahlreiche Funktionäre verhaftet wurden, sollten der Vergangenheit angehören. Der aktuelle Präsident Gianni Infantino spricht immer wieder von der "neuen FIFA", die nun am Werk sei. Doch der Weltverband ist nach Ansicht eines Experten auf dem Weg zurück zu alten Zuständen.
2016 gab die FIFA an, Vertrauen wiederherstellen zu wollen und setzte mehrere Reformen in Kraft. "Aber diese werden immer weiter zurückgedreht", sagt Miguel Maduro im Gespräch mit der Sportschau. Der portugiesische Jurist war von 2016 bis 2017 Chef des Governance-Komitees der FIFA, er wachte über korrektes Verhalten im Verband, bis er nach zehn Monaten entlassen wurde.
Er blickt kritisch auf den FIFA-Kongress am Freitag (17.05.2024) in Bangkok, bei dem mehrere Statutenänderungen vorgenommen werden sollen. "Es ist eine Rückkehr in alte Zeiten. Die Mächtigen haben keine Sorge mehr davor, dass ihr Bild oder das der FIFA in der Öffentlichkeit leiden könnte."
Miguel Maduro, früherer Leiter der Governance-Abteilung der FIFA
Zahlreiche neue Gremien - zahlreiche neue Posten
Die Änderungen sehen eine drastische Erhöhung der Zahl an Kommissionen, Komitees und Expertengruppen vor. Aus bisher sieben Gremien sollen 35 werden. Bei den Reformen 2016 war die Zahl dieser Gremien von 26 auf neun reduziert worden. Aus gutem Grund.
"Früher hat man Stimmen gekauft", sagt Maduro. "Hier eröffnet sich ein cleverer anderer Weg: Die Menschen in den Gremien werden bezahlt. Wer in Abstimmungen das Gewünschte tut, kann hier belohnt werden. Und je mehr Posten zu vergeben sind, um so mehr Macht haben die Mächtigen bei Abstimmungen. Es ist ein großartiges Instrument, um Wahlen und Stimmverhalten zu kontrollieren."
Miguel Maduro (r.) bei einer Sitzung mit FIFA-Präsident Gianni Infantino (2.v.r.)
Die FIFA teilte auf Anfrage der Sportschau zu der Kritik an der Einrichtung der neuen Gremien mit: "Durch die Einrichtung von Ausschüssen können mehr Interessenvertreter des Fußballs in den demokratischen Entscheidungsprozess einbezogen werden." Auch mehr Frauen könnten beteiligt werden. Die Gremien seien nötig, da sich der Aktivitätsbereich der FIFA stark ausgeweitet habe. Es gehe um "Wettbewerbe, Nachwuchsförderung, Fußballtechnologie, Frauenfußball, Antidiskriminierung und vieles mehr".
Eine weitere wichtige Änderung: Der Generalsekretär sollte den Reformen zufolge im Tagesgeschäft der FIFA die entscheidende Rolle spielen, um zumindest in der Theorie eine Machtkonzentration im Präsidentenamt zu verhindern. Das wird mit den Änderungen rückgängig gemacht. Die Position hat seit Mittwoch nun ein enger Vertrauter Infantinos inne: Mattias Grafström.
Der FIFA-Generalsekretär Mattias Grafström
Werden künftig mehrere Turniere auf einem Kongress vergeben?
Ein Teil der Reform war außerdem, die WM der Männer im Kongress zu vergeben und dass auf einem Kongress nur eine WM vergeben werden darf. Künftig will die FIFA bei Bedarf mehrere Turniere bei einem Kongress vergeben können, wenn der FIFA-Rat das erlaubt. "Das ist nur eine Bestätigung der Praxis, die bereits gelebt wird", sagt Maduro. Denn die beiden Weltmeisterschaften der Männer 2030 und 2034, an denen Milliarden von Euro hängen, sind de facto bereits im FIFA-Rat vergeben worden.
"Alles wurde im Hinterzimmer abgesprochen", sagt Maduro, der die Vergabe bereits im November in der Sportschau kritisiert hatte. Dabei gibt es einen guten Grund, die Turniere an getrennten Terminen zu vergeben: So werden in der Theorie Deals vermieden und ein fairer Wettbewerb zwischen den Bewerbungen gefördert. Legendär bleibt die Doppelvergabe der WM 2018 und der WM 2022 im Jahr 2010 an Russland und Katar.
Mehrere WM-Vergaben bei einem Kongress - der FIFA-Rat habe zwar nun das Recht, Ausnahmen von der weiterhin gültigen allgemeinen Regel zu erlassen, teilte die FIFA mit. Die Verantwortung für die Ernennung der Gastgeber bleibe aber unverändert beim Kongress. Für die WM 2030 und die WM 2034 stimmt der Kongress jeweils nur über eine Bewerbung ab.
"FIFA kann der Schweiz nun mit einem Wegzug aus Zürich drohen"
Eine andere Stautenänderung sieht vor, dass Zürich als genereller Sitz der FIFA aus dem Dokument gestrichen wird. Künftig soll der Kongress darüber entscheiden können, wo das Hauptquartier der FIFA sein soll. "Das ist eine versteckte Drohung an die Schweiz", sagt Maduro. Die Schweiz sei ein attraktiver Ort für Sportverbände, auch die UEFA und das Internationale Olympische Komitee haben ihren Sitz dort.
"Die Änderung sagt: Wenn ihr uns im Ernstfall zu stark verfolgt, können wir einfach gehen", erklärt Maduro. "Für die Schweiz sind die Sportverbände ein wichtiger Wirtschaftsfaktor." Einer Studie der Schweizer Regierung aus dem Jahr 2020 zufolge machte der Sport damals 1,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und 2,4 Prozent der Arbeitsplätze. Rund ein Fünftel davon entfiel auf Sportverbände.
Die FIFA teilte auf Anfrage der Sportschau mit, dass man in den Statuten klarstellen will, "dass der FIFA-Kongress als oberstes Entscheidungsgremium den Standort des FIFA-Hauptsitzes bestimmt". Der Hauptsitz der Organisation bleibe Zürich, "sofern der Kongress nichts anderes beschließt". Bereits jetzt unterhält die FIFA einige Büros in anderen Ländern, beispielsweise in Paris und in Miami.
Noch nicht in Gefahr: Amtszeitbeschränkungen
Die FIFA-Statuten werden bei einem wichtigen Thema vorerst nicht geändert: Die Amtszeitbeschränkungen sollen bleiben. Höchstens zweimal darf der Präsident wiedergewählt werden. Infantino wurde 2016 ins Amt gewählt. Nach seinen Wiederwahlen 2019 und 2023 könnte er 2027 für die Amtszeit bis 2031 noch einmal antreten. Er ließ sich vom FIFA-Rat bestätigen, dass seine erste Amtszeit von drei Jahren nicht zählte, weil das nur der Rest der letzten Amtszeit seines Vorgängers Sepp Blatters war.
Vor dem Kongress der FIFA am Freitag hielt der asiatische Verband AFC ebenfalls in Bangkok seinen Kongress ab. Auch dort gab es Statutenänderungen, AFC-Präsident Scheich Salman Al Khalifa kann nun so oft wiedergewählt werden wie gewünscht - alle Amtszeitbeschränkungen wurden abgeschafft. Der Antrag dazu kam von vier Verbänden: Libanon, Usbekistan, Katar und Saudi-Arabien.
Gianni Infantino (r), Präsident der FIFA, neben Salman bin Ibrahim al-Chalifa, Präsident der asiatischen Fußballkonföderation (2019)
Klaveness: "Es gab keine Debatte darüber"
Über die Statutenänderungen soll im Block abgestimmt werden, wie Norwegens Verbandspräsidentin Lise Klaveness in der dänischen Zeitung Ekstra Bladet bestätigte. "Es gab keine offene Diskussion über die Vorschläge im Vorfeld des Kongresses, auf dem es auch keine Debatte geben wird", sagte Klaveness. Nötig ist eine Zustimmung einer Dreiviertelmehrheit.
Die Reformen der FIFA seien gut gewesen, sagt sie. "Aber jetzt gibt es sie nur noch auf dem Papier."
Lise Klaveness, Präsidentin des norwegischen Fußballverbands