Ein Polizist zielt mit Pfefferspray auf einen Liverpool-Fan

Fußball | Champions League Pfefferspray statt Stadion: Liverpool-Fans wütend über Einlass

Stand: 29.05.2022 14:56 Uhr

Mit mehr als 30 Minuten Verspätung begann das Finale der Champions League, weil es beim Einlass von zahlreichen Liverpool-Fans Verzögerungen gab. Die UEFA und die Polizei gaben den Fans die Schuld - doch viele Berichte von Augenzeugen und Journalisten widersprechen dem.

Mehrere Liverpooler Fans berichteten von verschlossenen Zugängen, langen Schlangen, großer Enge und dem Einsatz von Pfefferspray gegen Menschen, die mit Karten vor den Toren warteten. Es habe zudem an den Eingängen keinerlei Informationen über die Gründe gegeben.

UEFA: "Anstoß wegen verspäteter Fans verschoben"

Die UEFA, die das Finale ausrichtete, gab den Fans die Verantwortung. "Wegen der späten Ankunft von Fans am Stadion ist der Anstoß verschoben worden" - diese Nachricht der europäischen Fußball-Union prangte auf der Anzeigetafel des Stade de France. Die UEFA verschob den Anpfiff "aus Sicherheitsgründen" erst auf 21.15 Uhr, dann auf 21.30 Uhr und schließlich auf 21.36 Uhr.

Doch "spät" war trotz der erheblichen Entfernung zwischen dem Pariser Stadtzentrum und dem Stadion in Saint-Denis nördlich von Paris kaum jemand angereist. Zahlreiche Augenzeugen und Journalisten vor Ort bestätigten dagegen, dass eine mangelhafte Organisation beim Einlass der Grund war. Schon weit vor dem Spiel bildeten sich lange Schlangen. Das Gedränge wurde an einer Stelle so groß, dass ein Kontrollpunkt aufgelöst wurde.

UEFA spricht von "Tausenden gefälschten Tickets"

Später lieferte die UEFA in einer Stellungnahme eine andere Begründung als die vermeintlich späte Anreise. "Im Vorfeld des Spiels wurden die Drehkreuze an der Liverpool-Kurve von Tausenden Fans blockiert, die gefälschte Tickets gekauft hatten, die an den Drehkreuzen nicht funktionierten."

Die UEFA verkauft bei ihren Veranstaltungen wie den Endspielen der Europapokalwettbewerbe mittlerweile meist mobile Eintrittskarten, die mit dem Handy vorgezeigt werden müssen. Viele Bilder zeigten Liverpool-Fans mit klassischen Papierkarten. Waren das die besagten "Tausenden" Fälschungen?

Nicht zwangsläufig. Nach Informationen der Sportschau erhielten zumindest Liverpools Fans im offiziellen Kontingent auf Antrag ihres Klubs Papierkarten von der UEFA statt mobiler Tickets. Unklar bleibt damit, wie gesichert die Erhebung von "Tausenden" gefälschten Karten ist.

Die Polizei teilte ebenfalls mit, dass Fans ohne Eintrittskarten oder mit Fälschungen Druck ausgeübt hätten, ohne eine Größenordnung zu nennen. Ein anderes Problem seien laut Polizei einige Menschen gewesen, die über die Zäune kletterten, um ins Stadion zu gelangen.

Pfefferspray gegen wartende Fans

Eine Menge Fans kam so nicht auf ihre Kosten. Viele waren erst kurz vor der Halbzeit im Stadion, wenn überhaupt. Wartende Fans mit Karten wurde mit Pfefferspray besprüht, wie Videos von Journalisten zeigten.

Auch kurz vor der Pause standen Fans noch draußen an, um ins Stadion zu kommen. Ein Fan berichtete beim britischen Sender "Sky", dass er mit mehreren anderen Fans Stunden gewartet habe, um ins Stadion zu kommen. Das gelang ihnen zunächst nicht, sie seien stattdessen mit Pfefferspray angegriffen worden. Viele Fans empfanden das Vorgehen als unangemessen. Tausende von Euros hatten sie für Karten und Anreise ausgegeben.

Fan-Bündnis: "Fans sind die Opfer, nicht die Schuldigen"

"Die Fans sind hier die Opfer eines Versagens der Organisation und sicherlich nicht die Schuldigen", sagte Ronan Evain vom Fanbündnis Football Supporters Europe (FSE) im Gespräch mit der Sportschau. "Sie tragen keine Verantwortung für das Fiasko." Tausende hätten auch nach dem verspäteten Anpfiff außerhalb des Stadions festgesessen und sich trotzdem ruhig verhalten.

Mitreisende Polizeikräfte aus Liverpool bestätigten diese Sicht. "Ich kann es nur als das schlechteste europäische Spiel beschreiben, bei dem ich gearbeitet oder das ich erlebt habe", schrieb ein Beamter. "Ich fand das Verhalten der Fans an den Drehkreuzen unter erschreckenden Umständen vorbildlich. Ihr wart hundertprozentig nicht zu spät."

Viel Kritik gab es an der ersten Kontrolle, die schmal unter eine Brücke stattfand. Tausende Liverpool-Fans sollten hier hindurch. Quer gestellte Einsatzfahrzeuge erzeugten eine große Enge. Danach kam es auch noch vor den Drehkreuzen zu langen Wartezeiten. Peter Moore, früherer Geschäftsführer des FC Liverpool, sprach davon, dass "alle organisatorischen Fehler gemacht wurden, die gemacht werden konnten". Opfer würden zu Tätern gemacht.

Aufarbeitung von der UEFA angekündigt

Für die UEFA und die Sicherheitsbehörden geht es nun um die Aufarbeitung vieler Aspekte wie dem Ablauf der Kontrollen, der Notwendigkeit des robusten Polizeieinsatzes und der Informationspolitik gegenüber den Wartenden. Im Kern bleibt die Fragestellung: Warum ist ein Stadion, in dem mehrere Europapokalendspiele sowie Partien der WM 1998 und der EM 2016 stattgefunden haben, organisatorisch derart überfordert?

"Die UEFA wird diese Angelegenheit gemeinsam mit der französischen Polizei und den Behörden sowie dem französischen Fußballverband prüfen", teilte die UEFA mit. Der französische Innenminister Gérald Darmanin präsentierte bei Twitter bereits ein Fazit: "Tausende britische 'Fans' erzwangen ohne oder mit gefälschten Tickets den Zutritt, manche griffen Ordner an. Vielen Dank an die Polizeikräfte." Sportministerin Amélie Oudéa-Castéra schrieb an die englischen Fans gerichtet: "Gewalt hat in Stadien keinen Platz." Kein Wort gab es zu organisatorischen Fehlern.

Angriffe auf freie Berichterstattung

Neben vielen Fans wurden teilweise auch Medien in ihrer Freiheit eingeschränkt. Ein Journalist der Nachrichtenagentur Associated Press (AP) berichtete, dass Sicherheitskräfte versucht hätten, das Filmen des Einsatzes von Tränengas zu unterbinden. Personal der UEFA habe den Eingriff verhindert.

Ein weiterer AP-Mitarbeiter gab an, dass er von Sicherheitskräften zum Löschen eines Videos gezwungen wurde - ansonsten hätte er nicht zurück ins Stadion gedurft.

Kritik auch an der Organisation des Europa-League-Endspiels

Probleme hatte es auch beim Finale der Europa League in Sevilla zwischen Eintracht Frankfurt und Glasgow Rangers gegeben. Die Eintracht kritisierte, dass es stundenlang kein Trinkwasser für die Fans gegeben habe.

Fans der Rangers berichteten zudem von regelrechten Schikanen: Es habe lange Wartezeiten in der Hitze gegeben, zudem seien Extra-Akkus für Handys einkassiert und entsorgt worden, was bei mobilen Tickets für Stadion und Rückflug problematisch ist. Außerdem sollen Fans sogar Medikamente wie Insulin abgenommen worden sein.