Fußball | Champions League Liverpools Stürmer: Beeindruckende Harmonie zwischen Alt und Neu

Stand: 26.04.2022 21:25 Uhr

Lange gab es beim FC Liverpool keine Konkurrenz für Sadio Mané, Roberto Firmino und Mohamed Salah. Mittlerweile kann Jürgen Klopp aus fünf hochklassigen Stürmern wählen. Der Trainer beaufsichtigt eine Wachablösung.

Von Hendrik Buchheister (Liverpool)

Divock Origi hat das englische Fußballpublikum gerade daran erinnert, dass er auch noch da ist. Im Merseyside-Derby gegen den FC Everton kam der Stürmer des FC Liverpool nach einer Stunde für Sadio Mané ins Spiel und tat kurz vor Schluss das, was er am liebsten tut – er erzielte ein entscheidendes, für die Gemeinde von der Anfield Road besonders wertvolles Tor.

Jordan Henderson flankte von rechts, Luis Díaz legte den Ball per Seitfallzieher in die Mitte, Origi köpfte aus wenigen Metern zum 2:0-Endstand ein und verbannte Everton auf einen Abstiegsplatz, während Liverpool mit dem Sieg den Druck auf Tabellenführer Manchester City konstant hielt und eine gelungene Generalprobe für das Halbfinal-Hinspiel der Champions League an diesem Mittwoch (27.04.2022) gegen Villarreal feierte.

Origi - Ergänzungsspieler und Legende

Origi hat eine einzigartige Stellung in der Mannschaft von Trainer Jürgen Klopp, vielleicht sogar im Weltfußball. Er ist nur Ergänzungsspieler und trotzdem eine Legende, weil er einige der bedeutendsten Tore in der jüngeren Vereinsgeschichte geschossen hat.

Er traf doppelt beim legendären 4:0 im Halbfinal-Rückspiel der Champions League gegen den FC Barcelona 2019 und erzielte in jenem Jahr im Finale gegen Tottenham Hotspur den 2:0-Endstand. Sein Lieblingsgegner ist Everton. Neuerdings steht er bei sechs Treffern gegen den Rivalen von der anderen Seite des Stanley Park - nur Steven Gerrard schoss für Liverpool in der Premier League mehr Derby-Tore. "Er ist unser bester Stürmer, was den Abschluss angeht", sagt Trainer Jürgen Klopp über Origi.

Vier Titel sind möglich

Das dürfte zwar eine Übertreibung sein, aber klar ist, dass Liverpool im Notfall auch auf den Belgier mit Vergangenheit beim VfL Wolfsburg zurückgreifen kann bei dem Unterfangen, als erste Mannschaft im englischen Fußball vier Titel in einer Saison zu gewinnen, nämlich Ligapokal, FA Cup, Meisterschaft und Champions League. Genau darum geht es für Liverpool in den finalen Wochen der Saison.

Wie sehr Origi dabei gebraucht wird, ist aber fraglich, denn Klopp verfügt über eine Offensive, die es so wahrscheinlich noch nie gab. Für die drei Plätze im Angriff hat der Trainer die Wahl zwischen fünf Stürmern, die alle internationale Klasse oder Weltklasse sind, und die er fast beliebig kombinieren kann.

Druck von Diogo Jota und Luis Díaz

Als Liverpool 2019 die Champions League und ein Jahr später die Meisterschaft gewann, wurden die Erfolge von dem herausragenden Angriffstrio aus Sadio Mané, Roberto Firmino und Mohamed Salah getragen. Sie spielten im Grunde immer und waren für den Großteil der Liverpool-Tore zuständig. Wenn sich einer von ihnen verletzte, war das ein Problem. Spieler wie Xherdan Shaqiri, Daniel Sturridge oder Origi waren kein gleichwertiger Ersatz. Interne Konkurrenz für die furiosen Stammkräfte gab es nicht.

Das änderte sich in der vergangenen Saison, als Liverpool für rund 45 Millionen Euro Diogo Jota von den Wolverhampton Wanderers verpflichtete. Der Portugiese hat sich als echte Verstärkung erwiesen und das etablierte Trio aufgebrochen. Schon in seiner ersten Saison schoss er mehr Tore in allen Wettbewerben (13) als Roberto Firmino (9), obwohl er weniger Einsätze hatte. In der laufenden Spielzeit hat Jota den ehemaligen Hoffenheimer verdrängt und liegt mit 21 Toren in allen Wettbewerben nur hinter Salah (30). Trotzdem stellte das Portal "The Athletic" gerade fest: "Wenn man die Dreierreihe nach Form auswählen würde, wäre Jota wohl draußen. So verrückt ist der Wettkampf um die Plätze."

Dieser Wettkampf hat mit der neusten Anschaffung des FC Liverpool zu tun. Ende Januar verpflichtete der Klub für ebenfalls rund 45 Millionen Euro Luis Díaz vom FC Porto, und er hat sich glänzend eingefügt.

Harmonie in der Sturmreihe

In der Premier League steht der Kolumbianer nach neun Einsätzen bei drei Toren und zwei Vorlagen. Seine Ankunft hat die Statik im Angriff verändert. Díaz kommt auf dem linken Flügel zum Einsatz, Sadio Mané rückt von dort ins Zentrum und entdeckt seine Mittelstürmer-Qualitäten. Unter anderem traf er auf dieser Position im Halbfinale des FA Cups gegen Manchester City (3:2) doppelt.

Wie gut die alten und neuen Angreifer des FC Liverpool harmonieren, bewies das Ligaspiel gegen Manchester United (4:0). Die Tore schossen, in dieser Reihenfolge: Díaz, Salah, Mané, Salah. Die Vorlagen gaben: Salah, Mané, Díaz, Jota.

Gutes Scouting und Klopps Coaching

Dass die Stürmer so gut zusammenpassen und auch die Neulinge Jota und Díaz einschlagen, obwohl sie international vor ihrem Wechsel nach Anfield nur mäßig bekannt waren, hat mehrere Gründe. Liverpool arbeitet mehr als viele andere Vereine beim Scouting mit Daten und Statistiken und legt höchsten Wert darauf, dass neue Profis nicht nur sportlich passen, sondern auch menschlich.

Trainer Klopp ist bekannt dafür, Spieler mit seinem Coaching besser zu machen, als es die Fachwelt jemals erwartet hätte. Beispiele aus seiner Dortmunder Zeit sind Marcel Schmelzer, Neven Subotic oder Kevin Großkreutz. In Liverpool kann man Andrew Robertson oder auch Salah und Jota in diese Kategorie einsortieren. Durch regelmäßige Rotation hält Klopp seine Spieler bei Laune. Außerdem lässt er den Neulingen Zeit bei der Eingewöhnung, denn Liverpools Transfers haben grundsätzlich nicht den Zweck, die Mannschaft kurzfristig auf den Kopf zu stellen. Stattdessen beaufsichtigt Klopp "eine langfristige Wachablösung", wie die "Times" kürzlich schrieb.

Wie lange bleibt der alte Wundersturm noch zusammen?

Mané, Salah und Firmino sind oder werden in Kürze 30, ihre Verträge laufen im kommenden Jahr aus. Während Salahs Zukunft der Gegenstand aufgeregter Debatten ist, ist es um Mané und Firmino vergleichsweise ruhig. Wahrscheinlich kommt dem FC Liverpool in diesem oder dem kommenden Sommer mindestens ein Mitglied des alten Wundersturms abhanden.

Die Verpflichtung von Jota und Díaz ist deshalb ein Geschäft mit Weitblick. "Einzelne Spieler haben möglicherweise Pläne für ihre Zukunft, aber der Verein muss auf alle Szenarien vorbereitet sein", so formuliert Klopp das. Wer Liverpool übrigens wohl schon nach dieser Saison sicher verlässt, ist Divock Origi. Seinen Wunsch nach mehr Spielzeit kann ihm der Verein nicht erfüllen – trotzdem wird sich der Belgier als Vereinslegende verabschieden.