Fußball | Champions League Vinicius und Rodrygo - auf der königlichen Achterbahn bei Real Madrid

Stand: 27.05.2022 07:00 Uhr

Die Brasilianer Vinicius Junior und Rodrygo kamen als Teenager für viel Geld zu Real Madrid und hatten es zunächst schwer. Ohne sie wäre jetzt der Einzug ins Finale der Champions League aber undenkbar gewesen.

Ein Jahr eines Fußballers kann sich anfühlen wie sieben Menschenjahre. So viel ist passiert, seit Vinicius Junior im Sommer 2018 als frisch Volljähriger bei Real Madrid aufschlug. Oder als Rodrygo Goes ein Jahr später nach gleichem Muster anheuerte.

Beide galten seither mal als Stars, mal als Mitläufer, mal als Schnäppchen, mal als Millionengräber. Am Samstag spielen die immer noch sehr jungen Brasilianer ihr erstes großes Finale - in der Champions League gegen den FC Liverpool.

Alte Männer und noch älterer Mythos

Der Einzug von Real in den Champions-League-Showdown gegen den FC Liverpool ist weithin beschrieben worden als Triumph von alten Männern und eines noch älteren Mythos. Nachdem sie schon lange abgeschrieben worden waren, rafften sich Karim Benzema, 34, Luka Modric, 36 oder Toni Kroos, 32, noch einmal zu einer glanzvollen Kampagne auf.

Vor heimischem Publikum schafften sie gegen Paris im Achtelfinale, Chelsea im Viertelfinale und Manchester City im Halbfinale wundersame Aufholjagden, die in dieser Häufung wohl nur ein Rekord-Europokalsieger in einer so legendären Arena hinbekommt wie Real in seinem Estadio Santiago Bernabeu.

Es gibt jedoch noch ein weiteres Erfolgsgeheimnis: Ohne Vinicius und Rodrygo, beide 21, würde es dieses Finale für Madrid nicht geben.

Endlich nicht mehr über Ronaldo reden

Linksaußen Vinicius ist der Spieler der Saison beim spanischen Meister, der sich am meisten entwickeln konnte. Dank seiner 21 Tore und 20 Vorlagen musste Real erstmals seit dessen Abgang 2018 nicht mehr über Cristiano Ronaldo reden – weil es wieder mehr als nur einen Spitzenstürmer hat - neben Benzema.

Gemeinsam kommt das Duo mit 65 Toren und 35 Torvorlagen auf 100 Scorerpunkte – ein Viertel mehr als Mohamed Salah und Sadio Mané in Liverpool (75 - 54/21). Trainer Carlo Ancelotti zählte Vinicius' "Beständigkeit" jüngst zu den positivsten Überraschungen seit seiner Rückkehr nach Madrid vorigen Sommer.

Rodrygo ist Reals Edeljoker

Demgegenüber konnte Rechtsaußen Rodrygo die Saison nicht so kontinuierlich prägen. Dafür war er in ausgesuchten Momenten umso wichtiger. Als Einwechselspieler erzielte er gegen Chelsea und City die Tore, die sein Team in die Verlängerung brachten – gegen Manchester gar zwei innerhalb von anderthalb Minuten.

Insgesamt traf er in der Champions League mit fünf Toren sogar öfter als in der Liga (vier). Ob er dafür gegen Liverpool von Beginn an spielen darf oder wieder dem robusten Mittelfeldspieler Federico Valverde weichen muss? "Offiziell muss ich die Entscheidung noch fällen", sagt Ancelotti. "Inoffiziell ist mir schon alles klar."

Vinícius und Rodrygo kosteten jeweils 45 Millionen Euro. Um sie zeitig vom Markt zu nehmen, verpflichtete sie Real schon weit vor ihrer Volljährigkeit und beließ sie dann vorerst noch bei ihren Jugendklubs Flamengo beziehungsweise Santos. Ihre Transfers bedeuteten ein Experiment, einen Strategiewechsel.

In die Herzen der Fans – und zurück auf die Bank

Das war durchaus riskant, und es gab seither viele Momente der Zweifel. Besonders Vinicius' vier Jahre kommen einer ständigen Achterbahnfahrt gleich. Mit seiner rasanten, emotionalen, bisweilen auch provokanten Spielweise kam er beim Publikum in Madrid auf Anhieb gut an.

In der chaotischen Nach-Ronaldo-Saison war er unter dem Trainer Santiago Solari mit seinen Dribblings zwischenzeitlich Reals gefährlichste Waffe. Doch der bald zurückgekehrte Zinédine Zidane vertraute ihm bestenfalls halbherzig: Vinicius wirkte zu fehlerhaft in Passspiel und Torabschluss.

Am Tiefpunkt in Mönchengladbach

Vorige Saison schien er am Tiefpunkt, als Kameras beim Champions-League-Gruppenspiel in Mönchengladbach aufzeichneten, wie Benzema zu Reals Linksverteidiger Mendy sagte, er solle den Ball bloß nicht Vinicius geben ("Der spielt gegen uns"). Alle schienen den Glauben an ihn verloren zu haben – außer ihm selbst.

Mit einer Gala im Champions-League-Viertelfinale 2021 just gegen Liverpool sendete er wieder ein Lebenszeichen, und diese Saison nahm ihm die Unterstützung Ancelottis die letzten Versagensängste. "So darf es noch lange weitergehen", sagt Vinicius.

Mbappés Absage als persönliche Chance

Im Klub sehen sie es nicht anders. Nach der Absage von Kylian Mbappé klammern sich die Zukunftshoffnungen umso mehr an ihn. Im Frust über den Korb des Franzosen erklärte ihn ein bekannter Kolumnist der vereinsnahen Sportzeitung "As" sogar zu "viel besser als Mbappé". Bei den aktuellen Verhandlungen über eine Verlängerung seines 2024 auslaufenden Vertrages wird ihm das gewiss nicht schaden.