Debakel in der Bundesliga Warum sich Hertha BSC in Leipzig blamierte

Stand: 25.09.2021 21:18 Uhr

Mit 0:6 verliert Hertha BSC das Auswärtsspiel bei RB Leipzig. Die Gründe dafür reichen von der falschen Aufstellung über fehlende Mentalität bis zu einer desolaten Kaderplanung. Die Spieler stellen sich trotzdem hinter Trainer Dardai.

Als die Fans des Gastgebers RB Leipzig Mitte der zweiten Halbzeit begannen, aus voller Kehle die Hertha-Hymne zu singen, passte auch die Akustik im Zentralstadion zum schwachen Auftritt der Berliner Fußballer. Der Hohn der Leipziger ergoss sich über elf völlig überforderte Herthaner, die mit der 6:0-Niederlage in der Messestadt insgesamt noch gut bedient waren.
 
"Es war ein Scheißtag", schimpft Stürmer Davie Selke. Minuten nach dem Abpfiff bleibt ihm im Field-Interview bei Sky nicht viel übrig, außer sich bei allen Blau-Weißen für die peinliche Leistung der Mannschaft zu entschuldigen. An Diskussionen über Chefcoach Pal Dardai will er sich nicht beteiligen. Die Spieler stünden hinter dem Trainerteam, so Selke.

Herthas Zustand ist desolat

Der Rückhalt der Mannschaft scheint Dardai gewiss, Debatten über seine Weiterbeschäftigung wird er sich trotzdem stellen müssen. Er ist der sportlich Verantwortliche einer Bundesligamannschaft, die ihrem Gegner offensiv, defensiv, in den Zweikämpfen und auch sonst in allen Belangen hoffnungslos unterlegen war. Auch im sechsten Saisonspiel ließ Dardais Mannschaft jede Idee im eigenen Ballbesitz vermissen.
 
Erneut musste der Ungar in der Pause umstellen und damit eingestehen, dass sein taktischer Plan schief gegangen war. Allerdings: Obwohl Leipzig deutlich mehr Ballbesitz hatte, liefen die Herthaner fünf Kilometer weniger. Im Spaziertempo: Denn verglichen mit den 206 Sprints der Leipziger wirken Herthas 169 Antritte fast mickrig. Das fehlende Engagement der Truppe zeigt sich in absoluten Zahlen sehr deutlich: Herthas insgesamt zurückgelegte 103,5 Kilometer liegen neun Kilometer unter dem eigenen Saisondurchschnitt.

Die zweite Klatsche in den ersten sechs Spielen

Natürlich ist die Laufleistung kein Parameter, nach dem man den Einsatz und die Mentalität einer Mannschaft abschließend bewerten kann. Dass Hertha sich nach der 0:5-Klatsche in München nun aber am Samstag bereits zum zweiten Mal in der laufenden Saison kampflos ergeben hat, wirft ein schlechtes Bild auf die Kaderplanung des neuen Geschäftsführers Fredi Bobic.
 
Der hatte die Abgänge der drei Topscorer Jhon Cordoba, Mateus Cunha und Dodi Lukebakio damit gerechtfertigt, dass er eine Mannschaft mit Mentalitätsspielern aufbauen wolle. Im Spiel in Leipzig suchte man diese vergeblich. Das, die verlorene sportliche Substanz und einige Verletzungssorgen führten fast folgerichtig zum 0:6, das deutlich höher hätte ausfallen können. Selke gibt zu: "Wir haben es auf dem Platz verzockt."

Pal Dardai verzockt sich mit seinen Umstellungen

Aber auch Trainer Pal Dardai verzockte sich. Zum Beispiel bot er gleich drei Spieler auf ungewohnten Positionen auf. Mit Suat Serdar und Jurgen Ekkelenkamp mussten zwei zentrale Mittelfeldspieler als Flügelstürmer aushelfen und der Sechser Lucas Tousart rückte wegen diverser Ausfälle in der Abwehr in die Innenverteidigung. Beide Experimente gingen nach hinten los. Ekkelenkamp und Serdar fehlte die Bindung zum Spiel, Hertha gelang es deshalb in der ersten Halbzeit nicht, die durchaus wacklige RB-Defensive bei Kontern vor Probleme zu stellen.
 
In den seltenen Fällen, in denen es ihren Mitspielern gelang, Ekkelenkamp und Serdar anzuspielen, verloren die beiden fast postwendend den Ball. Insbesondere, weil Herthas Sieg in Bochum erst dadurch ermöglicht wurde, dass Serdar im Laufe des Spiels in die Zentrale beordert wurde, ist Dardais Entscheidung in Leipzig schwer zu verstehen.

Hertha bietet Leipzig zu viel Raum

Noch schwerer jedoch wog die Leistung der Innenverteidigung um Lucas Tousart. Die Leipziger erzielten gleich mehrere Tore, indem sie zwei einfache Pässe direkt durch die Mitte spielten. Zu keinem Zeitpunkt hatte die Berliner Defensive die Leipziger Emil Forsberg und Christopher Nkunku im Griff. Obwohl bereits nach wenigen Minuten klar war, dass die beiden sich am liebsten in den Räumen zwischen Mittelfeld und Innenverteidigung anspielen lassen, verteidigte Hertha die meiste Zeit mit einer flachen Abwehrkette und ließ genug Platz für die Gegenspieler. Im seltenen Fall, dass ein Innenverteidiger vorrückte, um einen Leipziger bei der Ballannahme in diesem Raum zu stören, fehlte die Staffelung dahinter.
 
Vor dem Führungstreffer der Gastgeber musste der Leipziger Yussuf Poulsen nur den Ball durch die eigenen Beine lassen, um einem Zweikampf mit Marton Dardai zu entgehen und Nkunku freie Bahn auf Herthas Tor zu ermöglichen. Erst als Dardai nach der Pause auf eine Viererkette setzte und Tousart zurück ins defensive Mittelfeld rückte, wirkte dieser Raum besser abgedeckt. Hertha musste trotzdem drei weitere Gegentreffer hinnehmen.

Wo steht die Mannschaft?

Sechs Punkte aus den ersten sechs Spielen garantieren derzeit einen Platz in der Tabellenmitte. Die Siege gegen die Aufsteiger Bochum und Fürth zeigten, dass Herthas individuelle Klasse genügt, um die schwächsten Gegner zu schlagen und so den Klassenerhalt auch in dieser Saison zu erreichen. Mit Niederlagen in München und Leipzig planten wohl die meisten Herthaner realistischerweise schon vor der Saison. Doch die blamable Art und Weise macht Sorgen: Weder zeigte die Mannschaft die von Bobic versprochene Mentalität, noch zahlten sich Dardais taktische Entscheidungen aus. Der Trainer selbst gibt sich stoisch. Man müsse aus der Niederlage lernen und sie vergessen, kommentiert er. Wie lange Dardai die Spieler dabei noch als Lehrer unterstützen darf, ist trotz Selkes Unterstützung fraglich.

Sendung: rbb24, 25.09.21, 21:45 Uhr