Fußball-Bundesliga Knopf im Ohr? Nagelsmanns Idee polarisiert

Stand: 04.11.2021 10:28 Uhr

Beim American Football in der NFL ist es bewährte Praxis. Der Trainer gibt dem Quarterback per Headset Anweisungen direkt aufs Ohr. Bayern Münchens Trainer Julian Nagelsmann wünscht sich, dass auch im Fußball Trainer und Spieler per Funk verbunden werden. Die meisten seiner Trainerkollegen reagieren allerdings ablehnend.

Julian Nagelsmann ist ständig in Bewegung, steht nie still. Kürzlich kam der 34-Jährige auf einem Longboard zum Training seiner Mannschaft. Wenn seine Bayern spielen, turnt der jüngste Trainer in der Bundesliga fast ununterbrochen am Rande seiner Coaching Zone herum.

Nagelsmann: "Etwas, was wir im Fußball unbedingt brauchen"

Nagelsmann wirkt nicht nur jung, er ist schlichtweg der Prototyp des modernen Fußballtrainers. Wissbegierig, offen für neue Technik. So überrascht auch der Vorschlag, den der Bayerntrainer kürzlich machte, wenig.

 "American Football ist unglaublich weit bei der Technologie in der Kommunikation mit Spielern. Der Quarterback hört den Trainer auf dem Feld. Das ist etwas, was wir im Fußball unbedingt brauchen", sagte Nagelsmann.

Christian Streich reagiert skeptisch

Konkret schlägt der Bayern-Trainer also vor, die Spieler auf dem Feld per Funkverbindung mit ihren Coaches an der Seitenlinie zu verbinden. "Ich finde es perfekt, sich auf jede Situation vorzubereiten", sagte er. 

Offensive Worte, typisch Nagelsmann. "Julian wirkt eben manchmal fast unterfordert", sagt sein Freiburger Trainerkollege Christian Streich. "Der hätte wahrscheinlich gerne noch drei weitere Informationsquellen. Ich wäre da überfordert."

Beim American Football steckt das Mikrofon im Helm

Es stellt sich allerdings auch generell die Frage der Umsetzbarkeit. Denn im American Football ist der Ohrstöpsel im Helm des Quarterbacks verbaut. Ein klassisches Headset für Fußballspieler auf dem Rasen wirkt auf den ersten Blick wenig realistisch.

Nagelsmann aber sagt: "Das ist auf jeden Fall realistisch. Es gibt Miniatur-Lautsprecher, die praktisch kein Gewicht haben." Für Dortmunds Trainer Marco Rose stellt sich weniger die Frage der Umsetzbar- denn der Sinnhaftigkeit.

"Ich glaube die Jungs müssen eigenständige Entscheidungen treffen. Ich halte wenig davon, Roboter aus den Spielern zu machen, die auf Knopfdruck reagieren", stellte Rose klar.

"Mehr Trainer- als ein Spielerspiel"

Direkte Anweisungen des Trainers auf das Ohr des Kapitäns würden das Spiel massiv verändern, ist sich Stuttgarts Coach Pellegrino Matarazzo sicher: "Es würde mehr ein Trainer- als ein Spielerspiel daraus werden", sagte der VfB-Trainer.

Auch American Footballer reagieren skeptisch auf Nagelsmanns Vorschlag. Andreas Motzkus hatte viele Jahre lang als Quarterback einen Knopf im Ohr. Der heute 54-Jährige spielte für Rhein Fire in der NFL Europe und Birmingham Fire in der World League in den USA. "Der einzige Spieler, bei dem so etwas Sinn machen könnte, wäre der Torhüter", sagt er.

Funk im American Football nur bei Unterbrechungen

Funksprüche während des laufenden Spiels hält Motzkus für wenig praktikabel. Im American Football dürfen die Trainer dem Quarterback auch nur während Unterbrechungen Spielzüge und taktische Anweisungen durchgeben. 15 Sekunden bevor der neue Spielzug startet, schaltet sich die Funkverbindung automatisch aus.

"Der Funk sorgt für Zeitersparnis. Es ist nicht so, dass der Trainer einen während des laufenden Spiels warnen kann: Hey, da kommt einer von rechts oder jetzt nach links passen", erklärt Motzkus. Im Fußball gibt es deutlich weniger Spielunterbrechungen als beim American Football, somit auch weniger Möglichkeiten für den Trainer, Anweisungen durchzugeben.

Nagelsmann: "Zeit für revolutionären Wandel ist gekommen"

"American Football ist eine andere Sportart. Aber die Idee ist gar nicht so schlecht", findet Wolfsburgs ehemaliger Trainer Mark van Bommel. "Wo man sonst schreit oder bis zur Pause warten muss, kann man Dinge sofort ändern."

Noch ist die Einführung von Funk im Fußball nicht mehr als ein Gedankenspiel. Nagelsmann beklagt aber ganz generell, dass sein Sport zu antiquiert daherkomme: "Der Fußball sollte aufhören, sich hinter seinen Traditionen zu verstecken. Die Zeit für revolutionären Wandel ist gekommen."