Fußball | 33. Spieltag Kommentar zu Platzstürmen - Kein Gespür mehr für den richtigen Moment

Stand: 09.05.2022 10:54 Uhr

Zwei Platzstürme in der Bundesliga am Wochenende. Dass Fans zum Saisonfinale auf den Platz rennen, ist schon Tradition. Doch während die Aktionen früher spontan waren, wirken sie heute institutionalisiert, fast zwanghaft, meint Jan Wochner.

Es ist mittlerweile schon fast Gewohnheit, so etwas wie eine Tradition, das übliche Prozedere. Ob zuletzt in Frankfurt oder an diesem Wochenende in Köln oder auf Schalke. Bei großen Erfolgen stürmen Fußballfans den Rasen.

Ganz nah dran sein am Ort des Geschehens, ihn hautnah erleben, das wollen sie. Die Spieler berühren, ein Stück Rasen oder Tornetz als Andenken mit nach Hause nehmen, was auch immer man dann damit macht.

Platzstürme haben sich abgenutzt

Aber diese Bilder gehören mittlerweile zum Saisonfinale der Bundesliga dazu, Jahr für Jahr. Nur mittlerweile, das ist mein Eindruck, haben sich die Platzstürme abgenutzt.

Beispiel Köln am Samstag: Der FC verliert gegen Wolfsburg und qualifziert sich doch für den Europapokal, weil die Konkurrenz auf den anderen Plätzen zeitgleich für die Kölner spielt. Tausende Fans stürmen also nach Abpfiff den Rasen, tragen ihren Torjäger Anthony Modeste auf Händen übers Feld und bedrängen Kapitän Jonas Hector.

Dem Moment nicht angemessen

Den Spielern war das alles sichtbar unangenehm. Also haben sie sich schnell verzogen in den Kabinentrakt. Es war einfach ein surreales Geschehen, dem Moment überhaupt nicht angemessen. Draußen wurde gefeiert, drinnen ärgerten sich die Spieler über ihre Niederlage.

Oder am Samstagabend auf Schalke: S04 steigt in die Bundesliga auf, und wieder gibt es den Platzsturm. Nur in der Arena auf Schalke ist das so eine Sache mit Platzstürmen, denn zwischen Rasen und Tribüne geht es mehrere Meter hinunter in einen Betongraben. Viele Anhänger haben also ernsthafte Verletzungen riskiert beim Versuch, auf das Feld zu gelangen.

Dramatische Szenen auf Schalke

Und während auf dem Rasen gefeiert wurde, spielten sich dramatische Szenen am unteren Rand der Ränge ab. Im Schalker Fanblock wurden zahlreiche Menschen durch nachdrängende Fanmassen an die Balustrade gequetscht. Nicht auszudenken, was da alles hätte passieren können.

Längst geht es beim Platzsturm nicht mehr nur um Spontaneität und auch nicht um die Magie des Moments größtmöglicher Freude über einen Erfolg. Mein Gefühl: Hier läuft längst etwas falsch.

Zwang zum Platzsturm

Denn der Platzsturm wirkt mittlerweile institutionalisiert und damit fast wie ein technokratisch vorgegebener Akt, den es zwanghaft zu erfüllen gilt.

Nicht falsch verstehen: Im richtigen Moment, wenn alles passt, kann das gemeinsame Feiern von Fans und Spielern auf dem Rasen unvergesslich sein, so etwas lässt sich aber nicht planen und erst recht nicht erzwingen. So etwas geschieht nur aus der Einzigartigkeit des Moments. Und ich würde mir wünschen, dass Fußballfans wieder ein besseres Gespür für genau solche Momente entwickeln.