Fordern das Establishment heraus: Union Berlin und SC Freiburg

Bundesliga-Spitzenspiele am Sonntag Union Berlin und SC Freiburg - der Angriff aufs Establishment

Stand: 14.10.2022 09:55 Uhr

Mit Superlativen ist das im Fußball so eine Sache. Sie werden zu schnell und zu oft eingesetzt. Die inflationäre Benutzung erscheint oft nur Marketingzwecken zu gehorchen, wer aber vor dem 10. Bundesliga-Spieltag nun einen Super-Sonntag ausruft, der bekommt die Bestätigung per Tabelle: erst Union Berlin gegen Borussia Dortmund (Sonntag 17.30 Uhr), dann FC Bayern gegen SC Freiburg (Sonntag 19.30 Uhr). Erster gegen Vierter, Dritter gegen Zweiter. Mehr geht nicht.

Die "Eisernen" aus Berlin-Köpenick und der Sport-Club aus dem Breisgau halten sich allen Unkenrufen zum Trotz - und trotz der Doppelbelastung durch die Europa League - weiterhin auf jenen Top-Rängen, die eigentlich für die Branchenführer reserviert sind. Wenn Bayerns Vorstandschef Oliver Kahn nach dem Spitzenspiel zwischen Dortmund und Bayern (2:2) anmerkt, man könne nicht immer darauf hoffen, dass die anderen nur unentschieden spielen, ist damit alles gesagt. Jeder macht auf seine Weise vor, wie eine nachhaltige Entwicklung geht. Die jüngsten Erfolge auf internationaler Bühne - SC Freiburg siegt beim FC Nantes (4:0), Union Berlin gegen Malmö FF (1:0) - sprechen für sich.

Christian Streich bleibt bescheiden

Beide Teams haben mehr als rote Trikots in Längsmusterung gemeinsam: Kontinuität bei den handelnden Personen. Schließlich liegen die beiden Vereine an der Spitze, die mit ihren Trainern schon länger als drei Jahre zusammenarbeiten. "Kontinuität in einem Verein gibt es nur dann, wenn eine Mannschaft Ergebnisse erreicht, die über den Erwartungen liegen", sagt Freiburgs Cheftrainer Christian Streich, der dem Team eine hohe taktische Disziplin beigebracht hat. Seine Spieler sind anpassungsfähig, beherrschen verschiedene Stilformen. Ballbesitzfußball inklusive. Ein wichtiges Erfolgsgeheimnis sind Standardsituationen, denn in dieser Kategorie liegt Freiburg seit Jahren vorne. Typische Trainerarbeit.

Lehrmeister Streich sieht sich aber nur als einen Teil, der zum großen Ganzen beiträgt. "In Freiburg gibt es in vielen Bereichen Kontinuität." Der 57-Jährige übernahm die Cheftrainerrolle im Dezember 2011, Jochen Saier begann 2013 als Sportdirektor und ist inzwischen Sportvorstand. Zeitgleich begann auch Klemens Hartenbach als Sportdirektor. Was die Troika auszeichnet, ist eine enge Anbindung an die südbadische Region. Streich beherrscht den Zungenschlag, kennt die Menschen - seine Haltung passt zur politisch eher linksgerichteten Studentenstadt mit seinem jungen Oberbürgermeister Martin Horn, der ohne Parteibuch regiert. Vermutlich wäre Streich sein ärgster Konkurrent gewesen, wenn er kandidiert hätte.

Urs Fischer arbeitet unaufgeregt

So tief taucht Urs Fischer in der Hauptstadt nicht ein, was bei einem Emporkömmling wie Union Berlin gar nicht geht. Im Osten eine große Nummer, ganz gewiss, aber Berlin ist schlicht zu groß, hat zu viele Angebote und mit Hertha BSC einen anderen Bundesligisten, der allein wegen seiner Turbulenzen viel Aufmerksamkeit bindet. Dass die 2019 aufgestiegenen "Eisernen" inzwischen sportlich die klare Nummer eins sind, kann niemand mehr bestreiten. Und daran hat der 2018 verpflichtete Schweizer Fischer großen Anteil: Der 56-Jährige arbeitete mit seiner unaufgeregten Art anfangs unter dem Radar, nach mehreren personellen Häutungen an der Alten Försterei genießt der Fußballlehrer bundesweit Respekt.

Der Klub hat den Vertrag gerade verlängert und Präsident Dirk Zingler gesagt: "Urs Fischer ist ein exzellenter Trainer, der unsere Mannschaft in die sportlich erfolgreichste Phase unserer Vereinsgeschichte geführt hat." Die zweite internationale Teilnahme spricht Bände, erstmals überwintert der Verein nun auch im Europapokal. Spiele von Union Berlin sind indes selten ein Augenschmaus. Das Team begnügt sich mit 43 Prozent Ballbesitz (drittschlechtester Wert der Bundesliga), liefert nur 203 Sprints pro Spiel (zweitschlechtester Wert) und hat nur 165 Ballkontakte im gegnerischen Strafraum (drittschlechtester Wert). Heißt: Die Grundordnung ist eher defensiv ausgerichtet, Punkte werden oft mit einem nüchternen Stil verbucht. Der Zweck heiligt die Mittel. Effizienz steht über allem

Den breiten Kader mit vielen Optionen (und bundesligaerprobten Spielern) hat Geschäftsführer Oliver Ruhnert zusammengestellt. Seit er 2017 nach sechs Jahren als Leiter der "Knappenschmiede" des FC Schalke 04 bei Union anheuerte, ging es steil bergauf. Der 50-Jährige ist nach wie vor in seiner Heimat Sauerland als Lokalpolitiker der Linken engagiert. Im ZDF-Sportstudio sagte Ruhnert zuletzt zur aktuellen Situation: "Es ist gerade ein bisschen wie ein Märchen und man hofft, dass man nicht aufwacht." Und weiter: "Wir wissen natürlich, wo wir herkommen."

Wirschaftlich steht der Sport-Club besser da als Union

Union Berlin verfügt nicht über die lange Erstliga-Basis wie der SC Freiburg. Der Sport-Club ist auch finanziell kerngesund, hat zuletzt den Umsatz auf 114,9 Millionen Euro gesteigert, einen Jahresüberschuss von zwei Millionen ausgewiesen, das Eigenkapital auf 95 Millionen Euro gesteigert. Und das alles in der dritten Saison trotz der Pandemie, in der auch noch das neue Stadion entstand, das zukünftig deutlich höhere Spielerträge ermöglicht. Hier zeigen sich gleichzeitig die größten Unterschiede zum aktuellen Spitzenreiter, der Pläne zum Ausbau seiner Spielstätte längst in der Schublade hat.

Wirtschaftlich ist vieles bei Union Berlin trotz der Hochphase auf Kante genäht - der Verein befindet sich im Grunde in einer Investitionsphase. Das negative Eigenkapital belief sich laut den von der Deutschen Fußball Liga (DFL) bekannt gegebenen Finanzkennzahlen auf 29 Millionen Euro. Zuletzt betrug der Jahresfehlbetrag sogar 10,3 Millionen. Die Verbindlichkeiten sind sogar auf 72 Millionen gestiegen. Die roten Zahlen seien aber gewollt, erklärte Zingler bei der digitalen Mitgliederversammlung und sprach dennoch von der "sportlich und wirtschaftlich erfolgreichsten Phase der Vereinsgeschichte". Seine Sichtweise: "Unser reales Vermögen übersteigt unsere realen Verbindlichkeiten bei Weitem." Wenn die Entwicklung so weitergeht, dann besteht daran sicher kein Zweifel.