Gegenseitige Schuldzuweisungen "Putsch gegen den Ball" - viel Ärger nach dem Eklat-Spiel zwischen Brasilien und Argentinien

Stand: 06.09.2021 19:06 Uhr

Das Topspiel der südamerikanischen WM-Qualifikation wurde nach weniger als sechs Spielminuten abgebrochen - wegen Corona-Verstößen. Nun schiebt man sich gegenseitig die Schuld in die Schuhe.

"Was für ein Murks!", "Lächerlich!", "Skandalös!", "Brasilien ist Weltmeister der Peinlichkeit!" Argentiniens Zeitungen überschlagen sich am Montag (06.09.2021) nach dem Eklat beim Topspiel der südamerikanischen WM-Qualifikation. Die linksgerichtete Zeitung "Página 12" ließ sich sogar zum Titel: "Putsch gegen den Ball" hinreißen.

Auf der Titelseite Lionel Messi und Neymar, die beiden Superstars von Paris St. Germain, jeweils im Nationaltrikot, beide fassen an die Stirn, scheinen sich ein Lachen zu verkneifen. Die Fußballwelt schüttelt derweil noch immer ungläubig den Kopf über die Szenen beim Superclasico der beiden Schwergewichte Brasilien und Argentinien.

Kaum fünf Minuten waren im Stadion von Sao Paulo gespielt, als Beamte der staatlichen Gesundheitsbehörde Anvisa, flankiert von der brasilianischen Bundespolizei den Rasen betraten. Wild gestikulierend dahinter Verbandsfunktionäre im Anzug, Spieler, Schiedsrichter - Chaos und Kontroversen. Und plötzlich verschwinden Argentiniens Spieler einfach in der Kabine. 50 Minuten später bricht Schiedsrichter Jesus Valenzuela die Partei endgültig ab. Das war’s.

Falschangaben und Versäumnisse

Grund für das Chaos: vier argentinische Spieler, die Brasiliens Quarantäne-Auflagen umgangen haben sollen. Konkret geht es um die Premier-League-Profis Emiliano "Dibu" Martinez, Emiliano Buendia (beide Aston Villa), Cristiano Romero und Giovani Lo Celso (beide Tottenham Hotspur). Sie sollen auf ihrem Einreiseformular ihren Aufenthalt in England unterschlagen haben - das Land steht auf Brasiliens roter Pandemieliste. Das hätte bedeutet: 14 Tage Zwangs-Quarantäne.

Martinez, Romero und Lo Celso liefen stattdessen in der Startelf der "Gauchos" auf. "Warum haben sie (die Anvisa, Anm. d. A) nicht früher gehandelt", fragte ein sichtlich ratloser Messi, der sich in aller Hektik aus Versehen ein Fotografen-Leibchen überstreifte und nochmal zurück auf den Rasen gekommen war. Eine berechtigte Frage.

Soziale Medien laufen heiß

Darüber, wer es an diesem Sonntag verbockt hat, herrscht dies und jenseits des Rio de la Plata natürlich größte Uneinigkeit. Während sich Brasiliens Journalisten über das "typische Tricksen und Schummeln" der Argentinier echauffierten und auf Einhaltung der Corona-Regeln pochten, trendete in argentinischen Medien der Hashtag #Cagones (Feiglinge). Suggeriert wurde, die Brasilianer hätten sich vor der Partie gedrückt, aus Angst eine erneute Niederlage einstecken zu müssen, wie vor knapp zwei Monaten im Finale der Südamerikameisterschaft Copa América.

Dazu kommt: Brasilien fehlten einige Starspieler, ebenfalls aus der Premier League - Trainer Tite hatte sie zunächst auf der Liste, doch die britischen Klubs gaben sie nicht frei. Dass die Isolationspflicht also für Brasilianer nicht gegolten hätte, macht das Paradox für die Argentinier komplett, schließlich schütze ein Reisepass nicht vor dem Virus.

Natürlich durfte dabei auch Maradona nicht fehlen: Das Bild seines legendären Abgangs bei der WM 1994, als er von einer Krankenschwester an der Hand vom Rasen zur Dopingkontrolle gebracht wurde, hatte einst ganz Argentinien in Schockstarre versetzt – nun wurde es zur Collage, statt Diego ist da nun Torwart "Dibu" Martinez zu sehen.

Chaos-Kommunikation

Auch auf institutioneller Ebene schiebt man sich den schwarzen Peter gegenseitig zu. Man sei zu "keinem Zeitpunkt" davon unterrichtet worden, dass sie nicht spielen dürfen, erklärte Argentiniens Coach Lionel Scaloni, der Verband AFA verwies auf den südamerikanischen Verband CONMEBOL: Man habe das Okay gehabt, dass das Quartett spielen könne. Schließlich einigten sich die Mitgliedsländer im vergangenen August auf ein Protokoll, das in besonderen Fällen Ausnahmen von den nationalen Quarantäne-Verordnungen vorsieht – übrigens auch, damit die Copa América in Brasilien ausgerichtet werden konnte.

Die Gesundheitsbehörde Anvisa widerspricht. Man haben bereits am Samstag Vertreter der CONMEBOL, der CBF und des argentinischen Verbandes AFA über die Quarantäne der vier Spieler unterrichtet. Einen zulässigen Ausnahmeantrag habe es vonseiten der Argentinier auch nicht gegeben. Laut Internetportal "UOL Esporte" hätten sich die Argentinier am Sonntag im Hotel und gar in der Umkleidekabine eingeschlossen, um sich dem Zugriff der brasilianischen Behörden zu entziehen.

Fest steht: Die Kommunikation verlief alles andere als professionell. "Inkompetenz, Trickserei und Nachlässigkeit", so fasste es einer der wichtigsten Fußballkommentatoren von Brasiliens Zeitung "Globo" zusammen. "Das ist verrückt", erklärte FIFA-Präsident Gianni Infantino in einer Videobotschaft auf der Generalversammlung der Europäischen Klubvereinigung ECA, betonte jedoch: "Wir müssen mit diesen Herausforderungen umgehen, die zur Corona-Krise hinzukommen."

Der Ball liegt nun beim Weltverband, vermutlich fällt die FIFA ein salomonisches Urteil angesichts des engen Kalenders. Die beiden Eliminatorias-Spitzenreiter liegen ohnehin klar auf WM-Kurs. Zumindest in einem ist man sich in Brasilien und Argentinien einig: So etwas kann nur im südamerikanischen Fußball passieren. Am 16. November stehen sich dann beide Mannschaften im Rückspiel wieder gegenüber.