Fußball | Afrika-Cup Sierra Leone ist die große Überraschung beim Afrika-Cup

Stand: 18.01.2022 19:14 Uhr

Sierra Leone ist die große Überraschung beim Afrika-Cup, es winkt das Achtelfinale. Das Land hat eine erstaunliche Fußball-Entwicklung hinter sich - mit einer Frau an der Spitze.

Als Alhaji Kamara am Sonntagabend (16.01.2022) in der Nachspielzeit ins Tor der Elfenbeinküste traf, brachen bei Sierra Leone alle Dämme. Laut jubelnd lag die Spielertraube des Außenseiters gefühlt minutenlang auf dem ramponierten Rasen des Douala-Stadions - mit dem 2:2 gegen den großen Favoriten hatten die westafrikanischen Außenseiter für den zweiten großen Paukenschlag beim Turnier gesorgt. Der erste war ihnen fünf Tage zuvor gelungen, als sie Titelverteidiger Algerien ein 0:0 abgetrotzt hatten.

Die zwei so bereits eingespielten Punkte in der "Todesgruppe E" bergen eine riesige Chance für Sierra Leone: Im letzten Gruppenspiel am Donnerstag gegen Äquatorialguinea können die "Leone Stars", wie das Team in der Heimat genannt wird, mit einem Sieg ins Achtelfinale einziehen. Unter Umständen reicht dazu auch ein Unentschieden - je nach den Ergebnissen der Konkurrenz. Aus den sechs Vorrundengruppen qualifizieren sich die jeweils beiden Erstplatzierten sowie die insgesamt besten vier Gruppendritten für die K.o.-Runden ab dem Achtelfinale.

Zehnjähriger Bürgerkrieg zerrüttete das Land

Dass Sierra Leone zu diesen Teams zählen könnte, hatte vor dem Turnier niemand auf dem Schirm. Nach über zehnjährigem grausamem Bürgerkrieg zwischen 1991 und 2002 mit Kindersoldaten und zehntausenden Toten ist das Land mehr oder weniger verzweifelt immer noch mit dem Wiederaufbau beschäftigt. Die Bevölkerung des Sieben-Millionen-Einwohner-Staates zählt zu den ärmsten der Welt.

Um den Kindern und Jugendlichen in der Hauptstadt Freetown eine sinnvolle Beschäftigung zu bieten, trat 2003 eine Frau auf den Plan: Isha Johansen gründete mit dem FC Johansen einen Verein, der die Kids von der Straße holen sollte. Aus dem Sozial-Projekt entwickelte sich Größeres: Der FC Johansen stieg mit seiner Seniorenmannschaft 2011 in die 1. Liga auf, 2013 gelang der Pokalsieg. Und auch die Vereinsvorsitzende machte Karriere.

2013 - Isha Johansen wird Fußballpräsidentin

Isha Johansen, verheiratet mit dem norwegischen Konsul Arne Birger Johansen, wurde 2013 zur Präsidentin des nationalen Fußballverbandes SLFA gewählt. Acht Jahre lang half sie vehement mit beim Wiederaufbau der Fußballstrukturen im Land. Sie professionalisierte die Jugendförderung und stabilisierte den Profifußball im Land. Was weltweit für große Beachtung sorgte. Eine Frau an der Spitze eines afrikanischen Fußballverbandes war nun einmal keine Selbstverständlichkeit.

Auch der Fußball-Weltverband FIFA sah die Tatkraft der heute 56-Jährigen - 2016 wurde sie sogar als Nachfolgerin des scheidenden Präsidenten Sepp Blatter gehandelt. Aus der Präsidentschaft wurde nichts, Johansen zog aber ins FIFA-Council ein. Eine Verbindung, die ihr auch half, als 2017 erstmals Korruptionsvorwürfe gegen sie und ihre Leute im SLFA laut wurden. Johansen und Co wurden später freigesprochen, 2021 aber kandidierte Johansen nicht ein weiteres Mal für das Präsidentenamt. Die zwischen England und Sierra Leone pendelnde Geschäftsfrau wolle sich nunmehr ganz auf ihre FIFA-Tätigkeit konzentrieren, hieß es.

Mannschaft der "Namenlosen" trumpft auf

Das fußballerische Erbe, das Johansen hinterlassen hat, ist allerdings ein Beachtliches. Das lässt sich gut an der Nationalmannschaft ablesen. Das Team, das vom im englischen Manchester geborenen John Keister trainiert wird, ist eine Mannschaft der "Namenlosen", die aber jetzt beim Afrika-Cup auftrumpfen wie noch nie zuvor.

Torhüter Mohamed Kamara, der seine Karriere 2017 beim FC Johansen begann, ist gerade einmal 1,72 Meter groß, brachte die Stürmer der Elfenbeinküste und vor allem die der Algerier aber schier zur Verzweiflung. Mit seinen unkonventionellen Ausflügen ins Feld und seinen katzenhaften Bewegungen raubte er ihnen den letzten Nerv - nach sieben hochkarätigen Paraden wurde der 22-Jährige schließlich zum "Man of the Match" gekürt.

"Zu kalt" - Musa Kamara nur eine Woche in Schweden

Eine Auszeichnung, die im anschließenden Gruppenspiel auch Musa Kamara verdient gehabt hätte. Der erst 21-jährige Angreifer markierte einen Weltklasse-Treffer, als er beim zwischenzeitlichen 1:1 den Ball mit perfekter Drehung an gleich zwei Gegenspielern vorbeilegte, um die Kugel anschließend aus 16 Metern ins linke Kreuzeck zu dreschen.

Kamara spielt Klubfußball momentan in seinem Heimatland, nachdem ein Ausflug nach Europa schon einmal eher kläglich scheiterte. 2019 unterschrieb er einen Vertrag beim schwedischen Klub Trelleborgs FF, löste diesen aber nach nur einer Woche wieder auf. Es war ihm zu kalt in Schweden. Die internationalen Scouts werden beim anstehenden dritten Gruppenspiel von Kamara und Co. ganz genau hinschauen. Wenn sie wieder eine Show wie bislang bieten, werden ganz sicher einige neue Vertragsangebote hereinflattern.