Niklas Kaul bei der Leichtathletik-WM in Eugene

Leichtathletik-EM DLV-Starter wollen WM vergessen machen

Stand: 15.08.2022 07:49 Uhr

Rund drei Wochen nach der WM wollen die DLV-Starter bei der EM in München eine Leichtathletik-Party steigen lassen und das Debakel in Eugene vergessen machen. Die Vorfreude auf das Heimspiel bei den European Championships ist riesig.

Von Bettina Lenner, München

Beim Klettern am Königsplatz stehen die Fans Schlange, die Bahnrad-Wettbewerbe sind ausverkauft und die Tribünen im Olympiapark wegen Überfüllung geschlossen: Die Metropole an der Isar, in diesen Tagen Gastgeber der European Championships, surft auf einer Welle der Sport-Begeisterung.

Die soll nun auch aufs Olympiastadion überschwappen und die deutschen Leichtathleten beflügeln, die ab Montag (15.08.2022) ins EM-Geschehen eingreifen. "Es ist für uns Athleten etwas ganz Besonderes, im eigenen Land zu starten. Das Publikum steht zu 100 Prozent hinter einem und man kann diese Energie aufnehmen", schildert Malaika Mihambo.

Aufatmen: Mihambo kann nach Corona starten

Der Weitsprung-Weltstar, in München nicht nur das Gesicht der deutschen Leichtathletik, sondern der gesamten Veranstaltung, kann diese Energie brauchen: Nach ihrem WM-Titelgewinn vor rund drei Wochen in Eugene setzte Mihambo eine Corona-Infektion außer Gefecht. Erst kurzfristig verkündete die Titelverteidigerin ihren EM-Start.

Was bleibt, ist ein "leichtes Gefühl der Unsicherheit, zu welcher Leistung man imstande ist". Der Weg zum Gold führt aber wohl trotz allem nur über die Heidelbergerin, die sich auf den Wettkampf an historischer Stätte freut, wo vor 50 Jahren Heide Rosendahl Olympiasiegerin wurde: "Hier treffen Geschichte und Gegenwart aufeinander, und das ist schön."

Lückenkemper verteidigt Athleten

Mihambo, für die am Dienstag (9.50 Uhr) die Qualifikation ansteht, hatte in Eugene aus einer insgesamt desolaten Mannschaft herausgeragt. Nur zwei Medaillen und sieben Top-Acht-Platzierungen - die WM lief für das DLV-Team historisch schlecht.

Gina Lückenkemper, die mit der DLV-Staffel spektakulär zu Bronze gesprintet war und für das zweite Edelmetall gesorgt hatte, erneuerte dennoch an der Isar ihre Kritik an den Kritikern der Sportler. "Viele Athleten im Team haben gute Leistungen gebracht, aber sie können einfach mit dem unfassbaren aktuellen Weltniveau nicht mehr mithalten. Wir hinken tatsächlich im Moment etwas hinterher, aber das hat Gründe."

Die Athleten haben alle hart dafür gearbeitet und sich den Arsch aufgerissen, um dort zu stehen.
Gina Lückenkemper über Eugene

Unzulängliche Förderung und Unterstützung, die Vize-Europameisterin über 100 Meter hat unlängst eine Diskussion angestoßen, die sie im Anschluss an die Saison mit den DLV-Verantwortlichen fortsetzen wird. 

"Bock auf diese EM"

Jetzt also München. Die Euphorie aufsaugen, in Energie ummünzen, abliefern. "Hier sind nur Athleten im Team, die Bock haben auf diese EM. Die freuen sich und wollen eine geile Leistung zeigen. Ich glaube, dass da tolle Leistungen auf die Bahn gebracht werden", ist Lückenkemper überzeugt.

Ohnehin hatten viele Athleten wie der ehemalige Zehnkampf-Weltmeister Niklas Kaul die EM schon vorher als eigentliches, "emotionales" Highlight bezeichnet. "Ich glaube, bei den meisten war der Fokus sowieso auf der Heim-EM", konstatiert auch Lückenkempers Staffelkollegin Alexandra Burghardt, die zudem über 200 m starten wird. "Ich hoffe, dass jetzt alle bei sich geblieben sind und auf das große, einmalige Erlebnis München konzentrieren. Eine Heim-EM hat man nicht so oft in seiner Karriere. Es ist ein Privileg, dass man das erleben darf."

Vielleicht wären die Ergebnisse in Eugene besser gewesen, wenn die WM der einzige Höhepunkt gewesen wäre.
Diskuswerferin Claudine Vita

Diskus-Routinier Martin Wierig, in Eugene DLV-Teamkapitän, bringt es im Gespräch mit Sportschau.de ohne Umschweife auf den Punkt: "Jeder, der es in Eugene verkackt hat, will es Zuhause besser machen."

DLV-Präsident hofft auf "zweistelliges Medaillenergebnis"

DLV-Präsident Jürgen Kessing hofft vor den eigenen Fans auf "ein zweistelliges Medaillenergebnis". Das sollte nicht zuletzt in Abwesenheit der ausgeschlossenen Athleten aus Russland und Belarus möglich sein, sofern die deutschen Starter dem Druck vor heimischem Publikum standhalten - oder gar nicht erst an sich heranlassen.

"Wenn man mit sich selbst nicht im Reinen ist, dann erdrückt einen das. Man muss damit umgehen können", weiß Sprinterin Rebekka Haase. 2018 bei der EM in Berlin hatte Deutschland 19 Mal Edelmetall geholt.

Vita: "Müssen die nächsten Jahre ein bisschen aufholen"

Eugene soll nur ein Ausrutscher gewesen sein. Auch in München fehlen im 112-köpfigen DLV-Aufgebot weiter Leistungsträger wie Johannes Vetter und Christin Hussong (beide Speer) oder die zweimalige Hindernis-Europameisterin Gesa Felicitas Krause. Doch es gibt auch einige Hoffnungsträger. Die Stabhochspringer Bo Kanda Lita Baehre und Oleg Zernikel, die Sprint-Staffeln, die Diskuswerferinnen um die Olympia-Zweite Kristin Pudenz, Speerwerfer Julian Weber und Zehnkämpfer Kaul gehören neben Mihambo unter anderem dazu.

"Ich hoffe, dass wir es in München als Team besser machen können", sagt Claudine Vita, die bei der WM mit Platz fünf im Diskuswurf eine der wenigen positiven Überraschungen war. "Aber das zeigt definitiv, dass wir als Team die nächsten Jahre ein bisschen aufholen müssen."