ARD-Moderator Frank Busemann
analyse

European Championships Busemanns EM-Orakel - die Sprintwettbewerbe

Stand: 15.08.2022 07:56 Uhr

Sprint-Asse, Hoffnungsträger und solche, die es werden möchten - die Sprint-EM-Vorschau vom Sportschau-Experten Frank Busemann.

Von Frank Busemann

100 Meter: Deutschlands Sprint-Asse und die Ernte von München

Das wird ein Spaß. Deutschland im Finale. USA weg, Jamaika weg und der Rest auch. In Europa geht’s anscheinend gemächlich zu. Im Halbfinale der Weltmeisterschaften standen nur zwei Europäer. Zharnel Hughes aus Großbritannien, Mit-Titelfavorit und Zweitschnellster des Jahres, und der Olympiasieger Marcell Jacobs, der allerdings nicht mehr angetreten ist.

Das eröffnet ungeahnte Perspektiven für alle anderen Sprinter und im Speziellen für Deutschlands Topleute um Lucas Ansah-Peprah und Owen Ansah. Beide können mit schönen Halbfinals in den Endlauf einziehen und wer weiß, vielleicht ist in der Atmosphäre von München und Gegnern auf Augenhöhe ein richtig schneller Lauf möglich. Angst brauchen Deutschlands Sprint-Asse hier nicht zu haben. In Eugene haben sie geübt, hier wird geerntet.

Bei den Frauen wird es auch spannend. Die großen Drei, Asher-Smith, Kambundji und Neita, scheinen vorneweg zu toben. Asher-Smith hatte leichte Probleme im Beuger, so dass sie die Commonwealth-Games auslassen musste, aber in München möchte sie wieder dabei sein. Platz vier hingegen ist vakant. Und den will sich die wiedererstarkte Gina Lückenkemper schnappen.

Mittlerweile kann sie sich auch in einem engen Kampf durchsetzen und im Topspeed locker bleiben. Vielleicht schreit das Heimpublikum die Wahlamerikanerin mit einer Dezibelorgie weit nach vorn. Für Rebekka Haase und Tatjana Pinto geht es bis ins Halbfinale und darum, mit Huldigung des Publikums Saisonbestleistung zu laufen.

200 Meter: Joshua Hartmann und die Gunst der Stunde

Großbritannien, Frankreich oder doch der Italiener und Staffelolympiasieger Filippo Tortu? Das ist hier die Frage. Für Owen Ansah geht es um Wiedergutmachung der WM, als er mit der Innenbahn und Gegenwind alles andere als vom Glück gesegnet war, wirklich gut lief, es aber nicht in Zeiten abzulesen war. Er kommt in München ins Finale. Und da wird er richtig gut laufen.

Joshua Hartmann könnte unter Umständen die Gunst der Stunde nutzen, um den Heimvorteil in eine neue Bestleistung umzumünzen. Dafür benötigt er aber ein wenig Glück und Rückenwind. Robin Erewa muss schon im Vorlauf all-in gehen und zeigen, wie er in Fahrt kommt.

Auch hier tun sich bei den Frauen wieder die üblichen Verdächtigen im Kampf um die Medaillen auf, allerdings muss man nach Dina Asher-Smiths Verletzung schauen, wie frisch sie wieder ist und ob Mujinga Kambundji daraus Profit schlagen kann.

Im Vergleich zu Eugene verstärken Alexandra Burghardt und Corinna Schwab das Team. Schwab ließ in diesem Jahr mit eindrucksvollen Zeiten aufhorchen. Es bleibt abzuwarten, auf welchen Strecken sie letztendlich antritt, man kann aber hoffen, dass sie im Einzel antritt. Jessica-Bianca Wessolly hatte bei ihrem schönen Vorlauf in Eugene zu viel Rückenwind, vielleicht packt sie die Zeit in München ganz regulär.

400 Meter: Sprinterin Schwab macht Spaß und Hoffnung

Matthew Hudson-Smith, der WM-Dritte, wird über die Stadionrunde das Maß der Dinge sein, allerdings mit der Gesamtbelastung der bisherigen Saison in den Knochen nicht mehr mit der Frische ausgestattet sein, die für schnelle Zeiten vonnöten ist. Aber es wird reichen. Deutschlands Viertelmeiler um Patrick Schneider, Manuel Sanders und Marvin Schlegel versuchen im Vorlauf, Saisonbestleistung zu laufen, um ins Halbfinale einzuziehen.

Bei den Frauen haben wir mit Corinna Schwab die schnellste deutsche Athletin seit 20 Jahren am Start. Das macht Spaß und Hoffnung. Der Auftakt in Eugene war in den Staffeln leider nicht so wie erhofft, aber eine schlechte Generalprobe muss ja auch nicht immer schlecht sein. Glücklicherweise wird sie in München das Einzel laufen müssen/dürfen/wollen, was auch vielversprechender ist, als die Kräfte für die Staffel zu schonen.

Für Alica Schmidt ist der Vorlauf gleich ihr Finale und vielleicht läuft sie in München Bestleistung. Femke Bol versucht das Double (mit der Staffel sogar das Triple?), startet in München auch hier als Favoritin und hat der WM-Vierten Lieke Klaver mit ihrem Vorbereitungsläufchen in Polen den niederländischen Rekord sofort wieder abgenommen.

Dazu kommen noch die polnischen 400m-Läuferinnen, die ohne die Viertelmeilerinnen aus der Karaibik alle scharf auf Gold sind. Und vielleicht schafft Schwab trotzdem den Sprung ins Finale.

4x100 Meter: Staffel ist Staffel - und alles ist möglich

Die Jungs haben noch eine Rechnung offen. In Eugene sind sie unglücklich ausgeschieden und konnten ihr wahres Leistungsvermögen nicht abrufen, aber in München kann es klappen. Weil ich ja weiß, dass Athleten dieses Orakel nicht lesen (sollen!), kann ich auch einfach mal schreiben, dass sie definitiv um die Medaillen mitlaufen können (wenn sie das nicht schon selbst so planen).

Die Zeit von 37,99 Sekunden und Platz zwei der Europäischen Bestenliste lassen das nicht nur erahnen, aber das Auftreten und wie sie mit sich und ihren Teamkollegen umgehen, das zeugt von größeren Möglichkeiten. Und in der Staffel kann alles passieren. Und mit deutschem Rekord ist man sogar Titelaspirant.

Die Frauen haben in Eugene ihr Meisterinnenstück abgeliefert. Mit Platz drei und die Bronzemedaille hängen die Trauben hoch. Die Britinnen werden sich kein zweites Mal verlaufen, aber Staffel ist Staffel und auch unsere Frauen müssen das Staffelholz erstmal so schnell um die Bahn tragen, wie vier Wochen zuvor. Die Schweizerinnen machen das potentielle Medaillentrio komplett.

4x400 Meter: Mixed-Staffel - wenn das Finale Pflicht ist

Die Männer werden auf europäischer Ebene seit Jahren von der Borlée-Dynastie beherrscht. Belgien wird hier einen glatten Durchmarsch zum Titel machen können. Deutschlands Viertelmeiler stehen momentan auf Platz neun im Ranking, müssen sich für das Finale ins Zeug legen.

Bei den Frauen steht der sechste Platz in der Europäischen Bestenliste zu Buche. Das sind schon mal gute Vorzeichen, um auf den Einzug ins Finale zu hoffen. Aufgrund der Tatsache, dass der eigentliche Saisonhöhepunkt schon gewesen ist, haben solche Zeiten auch erhöhte Aussagekraft. In Eugene entschied man sich, die schnellste Läuferin für die Staffel zu schonen, was leider nicht vom erhofften Erfolg gekrönt war. Bei den kontinentalen Titelkämpfen stehen die Vorzeichen besser.

Die besten Aussichten in den Langstaffeln hat einmal mehr die Mixed-Staffel, konzentrieren sich die großen Nationen doch oftmals mit ihren Topleuten auf die ungemixten Teams. Hier können sich Lücken auftun. Das Finale ist Pflicht.

110 Meter Hürden: Sasha Zhoya und das Spiel mit dem Druck

Das wird spannend. Kann Newcomer und Juniorenweltrekordler Sasha Zhoya im ersten Jahr bei den Großen schon seinen ersten Titel abräumen? Als Europas Bester ist die Last eine große, aber er versteht das Spiel mit dem Druck. Spaniens WM-Dritter Asier Martinez hat in Eugene bewiesen, dass er eben diesen beherrscht. Für Gregor Traber muss es darum gehen, seinen Biss zu finden und im Halbfinale gut zu laufen.

100 Meter Hürden: Deutschlands Frauen nur Außenseiterinnen

Im Hürdensprint der Frauen ereignete sich in Eugene Wundersames. Weltrekord, Landesrekorde, Bestleistungen, wie am Fließband. Wären wir nicht bei einer Weltmeisterschaft gewesen, stünde da ein Sternchen in den Ergebnislisten mit *doubtful timing. In München wird dem wahrscheinlich nicht so sein.

Es sind gerade nicht die Zeiten, in denen deutsche Frauen um Medaillen mitlaufen. Deshalb geht es für Monika Zapalska im Vorlauf darum, internationale Luft zu schnuppern und sich von den Großen nicht einschüchtern zu lassen.

400 Meter Hürden: Joshua Abuaku - die EM könnte seine werden

Nach dem starken Auftreten der deutschen Langhürdler in Tokio konnten wir uns Hoffnung auf ein Feuerwerk in München machen, leider hat der Leistungssport manchmal Unannehmlichkeiten im Repertoire, die weitere Leistungssprünge mit Verletzungen und anderem verhindern. Joshua Abuaku setzte kurz vor Eugene mit starken 48,80 Sekunden wiederum ein Zeichen, konnte aber nicht mehr für die WM berücksichtigt werden. In München soll das anders sein und das Finale ist mit so einer Form und Entwicklung in die richtige Richtung beste Voraussetzung.

Constantin Preis hat die Zeit vor München auch für den Feinschliff nutzen können und versucht trotz kurzer Vorbereitung in München gut zu laufen. Abzuwarten bleibt, ob Weltrekordler Karsten Warholm das "scharfe Training" von Eugene wird nutzen können, um Europas schnellsten Wilfried Happio zu gefährden. Die Zeit läuft für Warholm.

Bei den Frauen ist die unumstrittene Dominatorin Femke Bol nicht schlagbar. Spannender wird sein, ob Carolina Krafzik den Sprung in den Endlauf schafft. Dafür bedarf es einer Saisonbestleistung zur richtigen Zeit am richtigen Ort.

Für Gisèle Wender ist München die erste Station für noch hoffentlich weitere Einsätze in den nächsten Jahren. Bei den Deutschen Meisterschaften rückten sie und Eileen Demes Krafzik dicht auf die Pelle. Vielleicht gibt es in München schon die nationale Wachablösung? Noch wird sich Krafzik des Angriffs erwehren können.