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European Championships München Auftakt der Turn-EM: "Alle sind ausgerastet"

Stand: 12.08.2022 08:33 Uhr

Der erste Medaillensatz bei der Turn-EM im Rahmen der European Championships 2022 in München ist vergeben, Asia D'Amato ist Mehrkampf-Europameisterin im Turnen. Wer den kompletten Wettbewerb sehen wollte, brauchte etwas Sitzfleisch, sah eine starke deutsche Mannschaft, roch Popcorn und hörte einen kuriosen Musik-Mix. Eindrücke von der ersten Entscheidung aus der Olympiahalle.

Von Johannes Kirchmeier, München

Asia D'Amato schickte noch ein "Danke an alle" in die Halle, mehr brachte sie gar nicht mehr heraus am Donnerstagabend (11.08.2022) um kurz nach 20 Uhr am Arenamikrofon der Olympiahalle München, es flossen auch ein paar Tränchen der Freude über ihr Gesicht. Die Emotionen wurden ihr wohl schlicht zu groß, nach all den Umarmungen und all der Feierei samt ihrer Landesflagge.

Denn die Italienerin D'Amato kürte sich kurz zuvor im Turn-Mehrkampf zur ersten Europameisterin der European Championships 2022 in München, im Anschluss daran erlebte sie auch gleich noch einen weiteren einmaligen Moment dieser Spiele in München. Denn die Goldmedaille der 19-Jährigen blieb ja die erste und gleichzeitig einzige dieser neun Sportarten umfassenden Multi-EM am ersten Wettkampftag.

Kim Bui beste Deutsche im Mehrkampf

D'Amato siegte vor der Britin Alice Kinsella und ihrer Landsfrau Martina Maggio. Kim Bui wurde im Einzel als stärkste Deutsche Achte. Der Wettbewerb diente zudem auch als Qualifikation fürs Team-Finale am Samstag und die Spezialgeräte-Finals am Sonntag. Die Mannschaft des Deutschen Turner-Bundes wurde Vierter und qualifizierte sich sicher für den Endkampf.

Sitzfleisch gefragt in der Olympiahalle

Um dafür alles mitzubekommen, brauchten die Turnfans aber etwas Sitzfleisch in der mit blauem Teppich ausgelegten Olympiahalle: Um 10.00 Uhr ging die Entscheidung los - und sie endete erst um kurz vor 20.00 Uhr, als Frankreich als letzte der 27 Auswahlen mit dem Mehrkampf durch war.

Mix aus Chart-Hits und klassischer Musik

Es war ein Tag, an dem sich in einem zehnstündigen Mix Chart-, Techno- und klassische Musik abwechselten, da war mal was von Parov Stelar aus den Lautsprecherboxen zu hören, wilde Gitarrensoli, aber auch "Sweet Dreams" in der Akustikversion. Der Hallen-DJ Lukas konnte dafür nichts, die Playlist gestaltete sich ganz nach den Vorlieben der jeweiligen Athletinnen beim Bodenturnen - und war daher natürlich zu Recht so divers ausgewählt.

Popcornduft ohne Popcorn

Und es war ein Tag, in der allem Anschein nach fast niemand im so begeisterungsfähigen wie auch sportlich informierten Publikum Popcorn aß, Geruchsfetzen davon aber deutlich in der Halle lagen. Eigentlich ist die EM-Stätte der Turn-Elite ja eine Event-Arena, in der Kabarettisten, Orchester und Bands auftreten, die Sängerin Tina Turner immerhin schon mehr als 20 Mal. So ganz bekommt das so eine Halle offenbar nicht aus den klappbaren Stoffsitzen und Lüftungsschächten. In den Gängen um den Innenraum, wo sich Schließfächer aneinanderreihen, riecht es übrigens eher nach Schulturnhalle.

Deutsche Turner liefern beeindruckende Vorstellung

Die deutsche Mannschaft musste gleich um 10.00 Uhr loslegen. Und sie erwischte einen fulminanten Wettbewerb mit allerlei passenden Sprüngen, Drehungen, Schrauben und Salti: Bui, Emma Malewski, Pauline Schäfer-Betz, Elisabeth Seitz und Sarah Voss sind als Quali-Vierte fürs Finale am Samstag an Schwebebalken, Boden, Sprung und Stufenbarren gerüstet. Es war eine beeindruckende Vorstellung – und man merkte, wie sich die Freude aufs Münchner Publikum übertrug.

Bui und das "Gänsehaut-Feeling"

"Ich bin auf jeden Fall zufrieden", sagte die 18-jährige Malewski und sprach da für alle: "Als wir heute Morgen reinmarschiert sind, war das schon ein Gänsehaut-Feeling", fand Bui, die nach den European Championships ihre lange Karriere beendet. Seit der WM 2005 ist sie dabei.

Visser erhält Szenenapplaus für furiose Stufenbarren-Übung

Die Zuschauer haben geklatscht und angefeuert, vor allem eine laute Mädchengruppe ganz oben in Block M. Und vom Start weg waren Deutschlands Turnerinnen dann stark drauf - lediglich Voss erlaubte sich einen Patzer beim Abgang vom Schwebebalken. Da ging kurz ein Raunen der mitfühlenden Sorte durch die Halle. Aber alles gut, sie stand gleich wieder.

Den ersten Szenenapplaus holte sich schon weit zuvor Visser nach ihrer formidablen Übung am Stufenbarren ab. Sie war mit 14,266 Punkten die Zweitbeste an dem Gerät - insofern war das schon ein Fachpublikum zwischen den Niederlande-, Slowakei-, Österreich- und Deutschlandfahnen in der Olympiahalle.

Schmetterling irritiert Schäfer-Betz

Die war vielleicht nur zu einem Fünftel gefüllt, sorgte in den richtigen Momenten aber auch für Stille und große Lautstärke, an einem Wochentag wohlgemerkt. "Die Stimmung war top. Es kann sich ja nun nur noch steigern. Samstag, Sonntag dürfte voll sein", sagte Voss.

Aha-Moment: Als in der gesamten Halle nur Schäfer-Betz turnte, sie nach ihrer Landung vom Schwebebalken beide Hände an die Ohren legte - und der anfangs zaghafte, sich dann aber steigernde erste "Oly-Roarrr" der Zuschauer dieser Spiele auch mit Hilfe des Basses aus den Lautsprecherboxen Fahrt aufnahm. Es war ein Vorgeschmack auf einen möglichen Sound dieser Spiele.

Schäfer-Betz hatte zuvor Bekanntschaft mit einem Schmetterling gemacht. Der Falter hatte sich vor ihrer Übung auf dem Schwebebalken genau dort niedergelassen, wo sie ihren Fuß hinsetzen wollte. Danach ist er offenbar weggeflogen. Näheres zu seinem Verbleib ist nicht bekannt.

Bui lobt Publikum - Fenton turnt neue Übung

Ein lautes "Jaaaa!" wiederum entwich Bui nach ihrer letzten Landung, sie hatte den stärksten deutschen Eindruck in der Quali hinterlassen. Und ein noch viel lauteres "Jaaaa!" schrien ihr die Zuschauerinnen und Zuschauer an die Matte vorm Stufenbarren entgegen. Bui zeigte die Faust. "Nach der Barrenübung sind sie gefühlt alle ausgerastet. So bitte weiter!", sagte sie hinterher.

Später wurde es dann noch zweimal fast so laut, als die Britin Georgia-Mae Fenton um 18.38 Uhr eine neue Übung am Stufenbarren kreierte, das künftig ihren Namen trägt - und als die Siegerin D'Amato feststand. Für Bui und ihr deutsches Team bleibt nach dem Start: Es hat sich seine Medaillenchancen gewahrt - am Samstag mit der Mannschaft und vor allem am Sonntag an Schwebebalken (Schäfer-Betz und Malewski) und Stufenbarren (Bui und Seitz).